Geschrieben am 1. Mai 2021 von für Crimemag, CrimeMag Mai 2021

Alf Mayer über „Das Star Wars Archiv 1999 – 2005“

Monumentaler Ausflug in die Digitalisierung des Kinos

Und ich hatte mich schon gewundert, was Paul Duncan eigentlich macht. Jetzt wissen wir es. Pünktlich zum „Star Wars Tag“ – was es damit auf sich hat, erfahren Sie ganz unten – erscheint „Das Star War Archiv II 1999–2005“. Wieder ein raumschiffbreiter, meteoritenschwerer, planetenschöner XL-Prachtband aus dem TASCHEN Verlag. Gebunden ist der 6,9 Kilo schwere Band in prunkvoll rotes Halbleinen, mit Goldpunkten durchsetzt. Kinovorhang-Rot. Oscar-Teppich-Anmutung. Sternenstaub. Milchstraße. Universum. In diesem Buch hebt man ab.

Es wird Zeit, dass die Academy of Motion Picture Arts and Sciences, die längst jede Menge Spezialpreise vergibt, endlich auch einen für Filmbücher auslobt. Dieses Buch hätte dafür die besten Chancen. Es widmet sich der Entstehung der Prequel-Trilogie: „Episode I: Die dunkle Bedrohung“, „Episode II: Angriff der Klonkrieger“ und „Episode III: Die Rache der Sith“. (Für den 15. Oktober 21 angekündigt übrigens ist in gleicher Ausstattung die “No Time To Die” Edition der „James Bond Archives“, Hardcover, Format 41.1 x 30 cm, 6.65 kg, 648 Seiten.) 

Paul Duncan – solch einen Verleger muss man haben – konnte zwei Jahre an diesem Buch arbeiten, mit vielen an den Filmen Beteiligten Interviews führen und sich exzessiv aus den Archiven bedienen. Das Ergebnis ist ein Filmbuch der galaktischen Sonderklasse. Besser, praller und größer geht es nicht. Drei Filme werden in diesem Band dargestellt, jeder davon auf je mehr als 180 Seiten. Paul Duncan hat eine äußerst lesbare Erzählmethode entwickelt: „Zitate aus zahlreichen Quellen ergeben eine mündliche Erzählung über die Entstehung der Krieg-der-Sterne-Filme.“ Diese Textebene ist eingebettet in eine – ebenfalls Oscar-würdige – durchgehend flüssige und dynamische Bilddramaturgie, Buchdesign: Josh Baker. Die genaue Zahl kenne ich nicht, vermutlich sind es über 2000 Einzelbilder: Set-Fotos, Modellbauten,  Renderbilder, Produktionskalender, Drehpläne, Konzeptbilder, Figuren- oder Weltenentwürfe, Zeichnungen, Storyboards (interessant, wie früh die bei Lucas schon sozusagen industriell wurden), Choreografie-Szenarios. Kleinste Figurendetails neben gewaltigen Raumschiffen, Todesplaneten und fremden Welten.

All die Fans der Figuren aus dem Lucas-Universum lässt dieser Prachtband im jeweils persönlichen Siebten Himmel schweben. Eine schier unglaubliche Bilderfülle von Originalkonzeptbildern, ­Storyboards und ­Produktionsdokumenten, ungeheuer viele Making-of-Fotos, Skizzen, und Fotos leuchten die Entstehung und das Agieren all der „Star Wars“-Protagonisten und Statisten in Tausenden von Einzelheiten aus. Auf der Fan-Ebene ist dies alles ultimativ.

Aber das Buch geht noch einen extragalaktischen Schritt darüber hinaus. Es befasst sich nämlich durchgehend – unterfüttert mit dem denkbar besten Bild-, Experten- und O-Tonmaterial – mit der Entwicklung des digitalen Kinos. Der Buchaufbau folgt George Lucas’ Unterfangen, das digitale Kino zu begründen und zu einem Standard zu machen, aber es zeichnet auch nach, wie er seine Philosophie in die Prequel­-Trilogie eingebracht hat. Die Gespräche mit ihm bilden den Kern des Kinos.

Als Paul Duncan mit dem Schreiben begann, wusste er nur wenig über die technischen Aspekte des digitalen Kinos. Quer durch das Buch lässt er sich das in anschaulicher Manier von Fachleuten und in der Praxis erklären – davon profitieren wir Leser und Leserinnen ungemein. Weil es das alles sinnlich macht.

George Lucas © alle Abbildungen: Verlag Taschen & TM 2021 Lucasfilm Ltd.

„Wir können wieder episch sein“

Wie ein General steht George Lucas neben einem Bühnenbild aus „Die Rache der Sith“, einige Seiten weiter ist er in der tunesischen Wüste, hinter sich eine Filmkulisse. Er trägt ein T-Shirt mit einem Zitat ders„New York Times Magazins“: „a film with comicbook characters, an unbelievable story, no political or social commentary, lousy acting, preposterous dialogue and a ridicously simplistic morality, in other words, a BAD MOVIE.“

Zwar sagt er immer wieder: „Ich bin kein großer Fan von Technologie. Ich bin ein Geschichtenerzähler.“ Studiert hat er Philosophie und Anthropologie, hier liegen seine Interessen. Als Perfektionist und Tüftler aber hat er die Technik des modernen Filmemachens geprägt wie vor ihm kaum ein anderer – eben damit er seine Geschichten erzählen konnte. 

„Unsere frühen Vorfahren mussten schließlich auch erst herausfinden, wie man rote Farbe mischt, bevor sie ergreifende Bilder von sterbenden Bisons an Höhlenwände malen konnten.“

500.000 Dollar investierte er im Alter von 30 Jahren, um am 1. Juni 1975 seine Firma „Industrial Light & Magic“ (ILM) ins Leben zu rufen. Für „Terminator 2“ (1991) lieferte sein Digitalstudio 44 Einstellungen mit 7.675 Einzelbildern, hauptsächlich von dem gruselig-eleganten Flüssigmetall-Cyborg, der teils zu Chrom-Tränen schmilzt und sich aus Metallpfützen wieder zur vollen Gestalt erhebt. Es folgten die Saurier in Steven Spielbergs „Jurassic Park“ (1993) – und natürlich dann über die Jahre der Kosmos der „Star Wars“-Filme.

Und irgendwann kann George Lucas dann sagen: „Es gibt keine Grenzen mehr. Wir können jetzt jede Umgebung kreiern und sie mit großen Massen in beliebigen Kostümen bevölkern. Wir können Filme in anderenEpochen drehen. Wir können wieder episch sein.“

Seine Überzeugung war: „Im 20. Jahrhundert bedeutete Kino Zelluloid; das Kino des 21. Jahrhunderts hingegen wird digital sein. Kinos werden eine bessere Präsentation, bessere Sitzplätze und Unterhaltungsangebote bieten. Und was den Klang und die Bilder auf der Leinwand angeht, wird die Qualität stark ansteigen – vor allem, wenn die Kinos ganz auf digitale Technologie umsteigen. Das Erlebnis, einen Film im Kino zu sehen, wird besser, klarer und realistischer werden…“ Als Visionär glaubte er daran: „Die digitale Technologie wird außerdem die Produktionskosten von Filmen drücken. Mehr Leute werden die Möglichkeit erhalten, epische Erzählungen oder Fantasy-Geschichten umzusetzen. Früher konnten literarische Genres wie Science-Fiction oder Fantasy nie ganz adäquat im Film umgesetzt werden, weil sie zeigen mussten, was in den Büchern nur durch Worte angedeutet wurde. Die Kluft zwischen diesen beiden Medien wird sich nun schließen.“ 

Ein Künstler zu sein, hieß für ihn schon immer, die Grenzen der bestehenden Technologie auszuloten. 

George Lucas: „Ich bin ein Filmfanatiker, und ich will Filme besser machen. Sie sollen mehr Spaß machen, leichter und billiger herzu­ stellen sein. Es liegt in meiner Natur, mit den gegebenen Mitteln das Bestmögliche zu erreichen; ich will stolz auf meine Arbeit sein. Ich betrachte mich nicht als Pionier. Ich habe viel Geld in Forschung und Entwicklung gesteckt, und ich habe versucht, das Medium voranzutreiben, weil ich das bestmögliche Bild will, die bestmöglichen Mittel, um meine Geschichten zu erzählen. Bei Zelluloid stößt man immer wieder an Grenzen – die Technologie sagt: „Das kannst du nicht machen, das geht nicht.” Oder es sind die finanziellen Mittel, die sagen: „Das kannst du zwar machen, aber es wird dein Budget auffressen.” Und ich habe das Gefühl, dass man als Künstler frei sein muss. Man sollte nicht daran denken müssen, wie man etwas hinkriegt oder ob man es sich leisten kann. Man sollte seiner Fantasie freien Lauf lassen können, ohne Einschränkungen. Und das ist durch das digitale Filmemachen möglich geworden.“ 

Heute gibt es Computeranimation – computer generated images, kurz CGI – an jeder Ecke. Vor nicht zu langer Zeit war es die Revolution. Am 20. April 2002, kurz vor dem Kinostart von „Episode II“, gab es auf der Skywalker Ranch eine digitale Konferenz mit all den Leuten, die bereits digital gearbeitet hatten: James Cameron, Robert Rodriguez, Michael Mann, Lucas und die Leute von Pixar. Lucas: „Das war’s. Das waren alle, die Erfahrung damit hatten. Wir luden außerdem ein paar Freunde ein, insgesamt waren wir vielleicht 25 bis 30 Leute. Wir fünf, die schon digital gefilmt hatten, erklärten den Prozess, die Probleme, die Tricks, die Vor-­ und Nachteile.“ 

Weil er den besten Sound, die tiefenschärfsten und breitesten Bilder, die wahnsinnigsten Verfolgungsjagden (er war Rennfahrer, verlegte das schlicht und mit viel Vergnügen ins All), die epischsten Geschichten in bestmöglicher Projektion zu den bestmöglichen Vorführbedingungen in den bestmöglichen Kinos zeigen wollte, wurde Lucas einer der Pioniere und Motoren der Digitalisierung der Kinos. Und er war frustriert, wie schleppend langsam es damit vorwärts ging.

Rick McCallum, der als Produzent mehr als zwei Jahrzehnte mit Goerge Lucas zusammenarbeitete, sagt im Buch (wir sind im Jahr 2001): „Damals war Avid eine kleine Größe im Fernsehgeschäft, aber die Filmindustrie verschloss sich davor. Die Argumente der Cutter lauteten stets: „Ich muss einen Film riechen und berühren können, bevor ich ihn schneiden kann.” Heute arbeiten vielleicht noch fünf von 2.400 Cuttern beim Schnitt mit echtem Film. Und mit digitalen Drehs, digitaler Projektion und dem digitalen Vertrieb wird es genauso laufen. 

Nur die wenigsten Leute wissen es, aber die sechs großen Filmstudios geben jedes Jahr 1,2–1,3 Mrd. US­-Dollar für Vertriebskosten aus, und trotzdem hat niemand Maßnahmen ergriffen, um die Qualität zu sichern. Diese Kosten ließen sich pro Jahr um ungefähr 1 Mrd. US­-Dollar drücken, wenn man eine perfekte Filmkopie digital an jedes Kino dieser Erde schicken könnte. Der Film würde dann in derselben Qualität vorgeführt, in der er gedreht wurde. Es ist offensichtlich, dass wir diesen Punkt erreichen müssen. Aber die ganze Infrastruktur ist so festgefahren, dass es Jahre dauern wird, ehe sich der digitale Vertrieb durchsetzt. 

Die Zahl digitaler Kinosäle wird winzig bleiben, solange die Besitzer der Studios und der Kinoketten nicht erkennen, dass sie sich mehr Mühe geben müssen. Und wenn sie es nicht tun, werden sie ihr letztes Hemd verlieren, weil der durchschnittliche Kinobesucher daheim mit einer DVD ein besseres Erlebnis hat als in den meisten Kinosälen. Nichts frustriert mich mehr, als in ein normales Kino zu gehen und meinen Film zu sehen, sagen wir, zwei oder drei Tage nachdem er angelaufen ist. Das hat fast nichts mehr mit dem Film zu tun, den ich abgeliefert habe. Bei einer Technologie, die im 19. Jahr­hundert entwickelt wurde, gibt es keine Qualitätskontrolle. Wir haben mehr als 5.000 Kinos in den USA, mit mehr als 36.000 Leinwänden, und vielleicht 80 davon sind für digitale Projektion ausgelegt.“

Heute gibt es in den USA vermutlich keine 80 Kinos mehr, die noch analoge Filmkopien zeigen können. Und für Lucas steht fest: „Ich kann wohl mit Gewissheit sagen, dass ich nie, nie wieder auf Film drehen werde … Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, je wieder zur dieser Arbeitsmethode zurückzukehren.“ 

Geschichtenerzählen

Sympathisch ist, wie sehr Lucas immer wieder darauf beharrt, ein Geschichtenerzähler zu sein: Eine digitale Kulisse unterscheidet sich für ihn nicht wirklich von einer echten Kulisse, nur benutzt man eben Zahlen anstelle von Brettern und Bohlen. „Es geht um die Geschichten, die wir erzählen wollen: Sie müssen uns Einblicke in menschliches Verhalten bieten – die Art und Weise, wie wir leben, und wichtiger noch, unsere intellektuellen Vorstellungen und emotionalen Empfindungen. Diese Dinge ändern sich nie, ganz gleich, ob man sie auf einer Bühne wiedergibt oder durch Musik oder durch Worte oder durch Bilder an einer Höhlenwand.“

Und er reflektiert: „Wenn ich alles machen kann, was ich will, warum mache ich dann Star Wars? Weil ich glaube, dass es etwas Wertvolles ist, und weil es Spaß macht. Ich liebe es, Filme zu machen. Dass manche Leute sie nicht für intellektuell stimulierend halten, stört mich nicht, weil sie auch nicht so wahrgenommen werden sollen.“ 

Diesem Buch zu folgen, ist ein wenig wie dem Pyramidenbau beizuwohnen. Die Technologie dafür musste beim Bauen und Machen entwickelt werden. Was damit gemacht wurde, blieben Jahrtausende vorhaltende Einzelstücke. Im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit kann heute schon ein Aldi- oder Autowerbespot im Weltall spielen, kann die Fernsehwerbung in Computeranimations-Collagen schwelgen und unsere Bildwelten im 30-Sekunden-Takt ad absurdum führen. Anything goes, nothing matters. 

In Paul Duncans „Star Wars Archive“ hingegen geht es durch und durch um Substanz.

Alf Mayer

Paul Duncan: The Star Wars Archives. Episoden I – III 1999–2005. „Episode I: Die dunkle Bedrohung“, „Episode II: Angriff der Klonkrieger“, „Episode III: Die Rache der Sith“. Deutsche Ausgabe. Übersetzt von Andreas Kasprzak. Buchgestaltung Josh Baker. Verlag Benedikt Taschen, Köln 2021. Hardcover, Halbleinen, XXL-Format 41.1 x 30 cm. 6.90 kg, 600 Seiten, 150 Euro. – Verlagsinformationen.

Ab 19. Mai wieder verfügbar: Das Star Wars Archiv. 1977–1983. Deutsche Ausgabe. XXL-Format, 150 Euro. – Verlagsinformationen.

PS:  Der falsch verstandene, berühmte Satz „May the force be with you“ ist schuld daran, dass Fans den 4. Mai als „Star Wars Tag“ feiern. Filmforscher Hubert Zitt erinnert sich an eine Pressekonferenz 2005 mit George Lucas, die auf N24 übertragen wurde. Gebeten, den berühmten Satz doch einmal zu sagen, tat Lucas das. Der Simultandolmetscher übersetzte: „Am 4. Mai sind wir bei Ihnen.“ Er verhörte sich zwischen „force“ (Macht) und „fourth“ (Vierter) und verstand das „may“ (möge) als Monatsnamen.

PPS: Die drei in dem Band dokumentierten Filme beschrieb Georg Lucas einmal so: „Mein ersten Filme folgten noch immer dem Stil der alten Fortsetzungsfilme von Republic Pictures, aber diesmal sind wir in der großen Stadt. Die ersten drei spielten in Kansas, diese drei Star-Wars-Filme hingegen spielen in New York.“ 

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