Geschrieben am 1. März 2021 von für Crimemag, CrimeMag März 2021

Das Landei zu Monika Geiers „Voll fiese Flora“

von Anne Kuhlmeyer

Liebes Stadtkind,

so viele Monate sind verstrichen, in denen es unmöglich war, Dich aufs Land einzuladen, dass es Zeit wird für Aufklärung, damit Dir das Draußen nicht abhandenkommt während der pandemischen Isolation.

Es geht um nichts weniger als um die Natur. Also das Grünzeug, das in der Erde wurzelt, manchmal auch anderswo.

Du weißt Bescheid? Wirklich?

Ja, es ist die Platane vor Deinem Haus. Und ja, auch Dein Kaktus, der auf dem Fensterbrett blüht. Durchaus Dein Joint vorm Schlafengehen, wenngleich Du den immer idealisiert hast. Streite nicht! Es ist die Kartoffel aus dem Bioladen ums Eck, ja. Alles liebe Leute – schattenspendend, ästhetisch, berauschend, nährend – Dir zu Diensten.

Aber so sind sie nicht, die Pflanzen und Pilze und Zwischenwesen. Sie sind nicht nur eine Unendlichkeit länger auf der Welt als Du, sie können eine Menge Dinge, von denen Du nicht das Geringste ahnst. Unterwandern, verführen, vergiften, umschlingen können sie, jahrzehntelang schlafen, plaudern, unterstützen, okkupieren, fliegen, sich verbünden, kämpfen … Die sind nicht lieb und arglos, wie Du immer gedacht hast. Seit der Romanik ist Schluss damit! Monika Geiers Buch erzählt davon in Miniaturen so kompakt wie Gedichte – einer Sammlung von Geschichten über Gewächse, die mit ihren Blättern, Sprossen und Blüten in unsere Kultur ragen, ja zutiefst darin verwurzelt sind.

Vom Seidelbast erzählt sie. Du weißt schon, der lila Strauch bei Oma im Vorgarten, den Du nicht anfassen durftest als Kind (also jetzt auch nicht, bitte). „Es [das Lokta-Papier] ist unter anderem deshalb so haltbar, weil das enthaltene Toxin die Verarbeitung zu Papier übersteht und Mäuse und Insekten fernhält.“ Auf diese Weise wurden uralte Schriften bewahrt. Ein freundlicher Frühblüher ist der Seidelbast, doch sein Gift dient vor allem SEINEN Nachfahren.

Den Eisenhut kennst Du. Aus Krimis. Außer für Mord wird er nicht benötigt, nur von sich selbst. Respektiert sei er, der große Blaue, um seiner selbst willen.

Hast Du schon mal die Marmelade vom Schwarzen Nachtschatten gekostet? Nein? Wie auch! Guck mal auf die Halde vom Abrisshaus nebenan, da steht er und auf Seite 46. Dass ihm Unrecht widerfuhr, liest Du dort. Gleichwohl verschafft ihm sein Ruf im Schatten der Tollkirsche ein behagliches Dasein in Europa. 

Da wäre noch die jugendstilistische Zaunrübe, märchenhaft ausufernd, mit ihrem vegetarischen Marienkäferkumpel. Den Aufruf der Autorin: „Pflanzt Zaunrüben“ möchte ich Dir nur weiterleiten, wenn Deine Parzelle zwei, drei Fußballfelder groß ist, sonst gibt’s Ärger mit dem Nachbarn. Aber malen könntest Du sie in einsamen Regennächten.

Monika Geier ist das genial gelungen. Ihre Illustrationen sind so verwunschen, erdig, komisch, romantisch, bunt und energetisch wie das Leben selbst. Erstaunliches wirst Du in ihren Texten finden, über Gifte und deren Besitzer, über ihre und unsere Geschichte, wie das Gute und das Böse beieinander wohnen. Du lernst Wesen aus Perspektiven kennen, die neugierig und es nötig machen, Deinen Platz zwischen ihnen, zu überdenken.

Achte mir, liebes Stadtkind, das Grün als Mitgeschöpf auf Augenhöhe, sei vorsichtig und schwelge derweil in Monika Geiers Geschichten, bis uns der Goldregen schneit.

Dein verwuchertes Landei

Monika Geier, Voll fiese Flora, Argument/Ariadne Hamburg, 96 Seiten, 30 Illustrationen der Autorin, 15 Euro

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