Geschrieben am 15. November 2018 von für Crimemag, CrimeMag November 2018

Claudia Schwartz über die Netflix-Serie „Ozark“

Die wunderbare Julia Garner in «Ozark». (Bild- Netflix)

Die wunderbare Julia Garner in «Ozark» (Bild: Netflix)

«House of Cards» war gestern, jetzt ist «Ozark» angesagt

Die Netflix-Serie hat das Zeug zum neuen amerikanischen Epos – von Claudia Schwartz.

Die TV-Serie «Ozark» wirft ein Licht auf Trumps Wähler. Sie blickt in jene amerikanische Problemzone, die von Arbeitslosen, Junkies, versagenden Eltern und Kleinkriminellen bevölkert ist. Und stellt auch die Frage nach der Zukunft der amerikanischen Gesellschaft.

Amerika nach den Midterms. Vor der nächsten Präsidentenwahl. Interessiert sich derzeit noch jemand für die Trump-Unterstützer, den «white trash», die sozial Abgehängten? Der grosse Konflikt nach der Wahl Trumps 2016, als die linksliberalen Eliten realisierten, dass man die Stimmung in den Brennpunkten des Elends jenseits des eigenen elitären Horizontes nicht zur Kenntnis genommen hatte, scheint schon wieder vom politischen Radar verschwunden. Damals hiess es, man hätte eben genauer hinsehen sollen, was jene Klientel, die Trump zum Sieg verhalf, wirklich bewegt. Die Republikaner haben bei den Zwischenwahlen die Mehrheit im Repräsentantenhaus verloren, ja. Aber die Trump-Unterstützer sind damit natürlich ebenso wenig aus der Welt geschafft wie ihre seit langem existierenden Probleme.

Obama bezeichnete bereits in seiner Wahlkampfrede von 2008 die Bewohner jener «seit fünfundzwanzig Jahren» verarmenden Kleinstädte, wo Jobs weggebrochen und durch nichts ersetzt worden waren, als verbitterte Individuen, die sich «Gott, Gewehren und Fremdenfeindlichkeit» zugewandt hätten, «um sich besser zu fühlen». Die Diagnose war nicht falsch, wurde indes in ihrer so selbstgerecht abschätzigen Formulierung 2016 noch übertroffen von Hillary Clinton, die all die «bemitleidenswerten» Trump-Anhänger gleich in einen «basket of deplorables» packte. Diesen Korb bekam die Präsidentschaftskandidatin dann bekanntlich vor die Füsse gekippt.

Drohungen und Erpressungen- Die Byrdes (im Bild links Laura Linney als Wendy) kommen nicht zur Ruhe. (Bild- PD)

Laura Linney (als Wendy) wird bedroht. Bild: Netflix

Amerikanische Problemzonen

Seither liegt bei dem Thema noch Empathie drin. TV-Serien füllen manchmal Lücken. «Ozark» geht zur richtigen Zeit in die zweite Staffel. Die ersten zehn Episoden kamen 2016 just nach der Wahl Trumps heraus. Die Serie lieferte – neben J. D. Vance’ die Bestseller-Listen stürmender Autobiografie «Hillbilly-Elegie» – das Anschauungsmaterial zur aufbrechenden Debatte über das Leben im Abseits, wo die Industrie niederging und der soziale Abstieg kein Ende mehr findet. Es existieren mittlerweile ganze Landstriche, in denen über 40 Prozent der Bevölkerung an Alkohol- und Drogenabusus sterben statt eines natürlichen Todes. War da was?

Manchmal ist die Realität der perfekte Stoff für einen Thriller. In Staffel II dringt «Ozark» weiter vor in jene amerikanische Problemzone, die von Arbeitslosen, Junkies, versagenden Eltern und Kleinkriminellen bevölkert ist. Die Byrdes, Vater-Mutter-Tochter-Sohn, wir erinnern uns, zogen in Staffel I von Chicago nach Missouri um, in die idyllische Seenlandschaft der Ozarks. Hier, in den Einrichtungen zivilisatorischer Zerstreuung, in Bars, Stripteaselokalen und nun bald auch im neuen Kasino, kann Marty Byrde, ursprünglich Finanzberater, all das schmutzige Geld waschen – und wenn möglich auch gleich noch vervielfachen – im Auftrag des mexikanischen Drogenkartells, das ihm die Hölle heissmacht, seit sein (mittlerweile mausetoter) Partner heimlich acht Millionen Dollar abzweigte.

Wo sich die erste Staffel auf den Einzug der Byrdes ins Hillbilly-Land und die Etablierung ihres kriminellen Geschäfts konzentrierte, nimmt die Fortsetzung nun den ganzen finanziellen und zwischenmenschlichen Betrug in den Blick, den das neue Betätigungsfeld eröffnet.

Die Provinz ist in «Ozark» nichts als Provinz – mit ihren eigenen Gesetzen. Neben den Snells, gewöhnlichen Spiessern, die ein ganzes Resort terrorisieren und die Drogen anbauen, an denen die Nachbarn zugrunde gehen, treibt da noch die örtliche Mafia ihr Unwesen. Die lokalen Politiker sind ohnehin korrupte Gestalten. Es ist eine Welt der Randständigen, in der sich jeder auf Kosten des anderen über Wasser hält. Wer hier geboren wurde, der hat noch kaum Alternativen gesehen im Leben.

Die Netflix-Produktion (nach einer Idee von Bill Dubuque und Mark Williams) überzeugt gerade deshalb, weil hier nicht versucht wird, die Realität noch greller auszumalen, als sie ohnehin ist. Die düstere Atmosphäre im Blaugrau des Dämmerlichts stimmt so, die Dialoge vermeiden das Menscheln. Die Gewalt tobt sich nur selten aus – lieber setzt sie auf Drohung, Erpressung. Davon gibt es hier allerdings im Überfluss, und dieses Erzählprinzip hält denn die Byrdes auch kontinuierlich unter Druck.

Eine schrecklich nette Familie- Charlotte, Marty, Wendy und Jonah Byrde (Sofia Hublitz, Jason Bateman, Laura Linney und Skylar Gaertner, v. l. n. r.). (Bild- PD)

Die Familie: Charlotte, Marty, Wendy und Jonah Byrde (Sofia Hublitz, Jason Bateman, Laura Linney und Skylar Gaertner, v. l. n. r. — Bild: Netflix)

Es herrscht Murphy’s Law

Auf der anderen Seite stehen die Einheimischen. J. D. Vance schreibt in seinem Buch über seine Sippe und deren Geschichte, diese hätten ihm das Gefühl gegeben, «zur feinsten Familie der Hillbillys zu gehören», immer sei es um «Gut gegen Böse» gegangen, und seine Familie «stand stets auf der richtigen Seite», «ständig zum Äussersten bereit» und «stets im Dienst einer bestimmten Sache». Liest man Vance’ – unbedingt empfehlenswerte – Schilderungen aus einer Welt der Unterprivilegierten, so kommt die Auslegeordnung in «Ozark» ziemlich genau hin. Mit den Augen der Byrdes betrachten wir diese so befremdliche wie in sich geschlossene Welt. Die Eingeborenen sind misstrauisch, wollen nichts mit irgendjemandem zu tun haben und werden doch zusammengehalten durch ein kompliziertes Netz von Beziehungen und Abhängigkeiten.

Die Byrdes aber müssen mit allen dealen, wollen sie sich aus dem Teufelspakt mit den Mexikanern freikaufen, und es macht ausgesprochen Spass, diesem Filmpaar dabei zuzusehen, wie jeder für sich zwischen Scham und Entschlossenheit sein kriminelles Talent einsetzt, als wäre das alles selbstverständlich. Wo es mit der Ehe schon länger nicht mehr so richtig hinhaute, kommen sich Marty und Wendy beim Aufbau des abenteuerlichen Geldwäscher-Business wieder nahe, überraschen den anderen sozusagen mit einer neuen Seite. Jason Bateman absolviert das sophisticatedly, die wunderbare Laura Linney trägt ein Mona-Lisa-Lächeln auf, und beide sind ziemlich grossartig, wie sie, während sie das Gesetz brechen, an Sex-Appeal zulegen. Eher fassungslos müssen die beiden indes zur Kenntnis nehmen, wie die eigenen Kinder ihre Werte lernfreudig den sinkenden ethischen Standards der Eltern anpassen.

Und immer, wenn hier einer denkt, man sei jetzt über den Berg, taucht ein neues Problem auf. Die Versuche, auf den Weg des moralisch Guten zurückzukehren, werden hilfloser. Es herrscht Murphy’s Law, und während Wendy Pläne für eine Flucht nach Australien schmiedet, weiss man längst, dass es für die Byrdes hier kein Entkommen mehr geben wird. Auf die angekündigte dritte Staffel wartet man gespannt.

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Poster, Spanisch

«Ozark» führt den amerikanischen Zwang zum Erfolg ad absurdum, indem sich hier jedes Milieu auf seine Art über die Ausweglosigkeit hinwegmogelt. Aber die Serie zeigt auch, wie in den zugezogenen Byrdes einerseits und den angestammten Bewohnern andrerseits Welten aufeinanderprallen. Und wo jeder ums Überleben kämpft, da scheint in allen Familien auch das gleiche Geschwür verbreitet, das von dort in die Gesellschaft hineinwuchert. Es heisst: Wir hier drinnen und die da draussen – es ist die Spaltung Amerikas, die sich hier eingefressen hat.

Julia Garner ist brillant

Mit einer Ausnahme allerdings: Die Byrdes werden für die junge Ruth Langmore vorerst zum Hoffnungsanker. Ruth sieht in Martys Business eine Chance, für sich und für ihre in Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit dahinvegetierenden Cousins einen Fuss auf den Boden zu bekommen. Julia Garner geht in dieser Rolle auf in einer wunderbaren Mischung aus Verletzlichkeit und knallharter Entschlossenheit. Sie, blondgelockt, hat den Unschuldsblick einer Monroe drauf und bringt im nächsten Moment das Gewehr, ohne mit der Wimper zu zucken, in Anschlag wie einst Barbara Stanwyck in «Forty Guns».

Ihre Ruth Langmore setzt den Unterprivilegierten ein Denkmal. Fast in jeder Szene stemmt sie sich gegen jenen Pessimismus, der sich im sozialen Abstieg der Arbeiterschicht generationenübergreifend einschlich, wofür die Wissenschaft den Begriff der «erlernten Hilflosigkeit» prägte. Ruths Mutter ist abwesend, der Vater ein aus dem Knast entlassener gemeiner Dieb mit der destruktiven Anspruchshaltung eines Sozialschmarotzers, der Ruth in brutaler Rohheit unter Druck zu setzen versucht. In ihrem Erstarken und ihrem Unabhängigkeitsdrang hält Ruth ihm einen Spiegel seines eigenen Scheiterns vor. Hier ist alles gesagt. Wie sich über Garners Gesicht unendlicher Schmerz legt wie ein Vorhang, der die väterliche Drangsal endgültig ausschliesst, ist grosses Schauspiel.

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Poster, Amerikanisch

An Ruth zeigt sich, was «Ozark» auszeichnet: ein so ehrlicher und schonungsloser, so respektvoller und unsentimentaler Umgang mit den Figuren. Es sind hier alle Antihelden, auch Ruth, wie sie so hoffnungsfroh erklären kann, dass sie nun einen richtigen Job habe «mit Versicherung und so»; und uns dabei fast vergessen macht, dass sie die höheren Weihen der Buchhaltung allenfalls dank Martys Geldwäscherei erlangen könnte.

Anspruchs- und Opferhaltung eines Milieus

D. Vance hat den Finger auf die Wunde gelegt, als er schrieb, dass die ökonomische Unsicherheit nur ein Problem der Arbeiterschicht sei, die Kultur der Hillbillys aber das viel grössere Hindernis aufgrund ihrer kollektiven Anspruchs- und Opferhaltung. Von der linken Kritik wurde er dafür prompt als Rassist getadelt. Dabei zieht sich über jede Seite seines Buches dieser abgrundtiefe Schmerz darüber, dass nur der radikale Bruch mit seiner Herkunft ihm eine Zukunft ermöglicht hat.

So wie «Hillbilly-Elegie» trägt auch «Ozark» einiges zum Verständnis der kulturellen Krise bei, an der die USA leiden. Die Serie wirft ein Licht auf ein Amerika, das allzu lange im Schatten des wirtschaftlichen und politischen Lebens der West- und der Ostküste vegetierte. Dabei werden nicht zuletzt die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Empathie präzise herausgearbeitet, wenn etwa einmal der Vater Ruth die Geschichte vom Geparden und den Gazellen erzählt und sagt, es sei richtig, dass manche Dummköpfe einfach aufgefressen würden. «Ozark» ist eine Parabel über den amerikanischen Traum und darüber, wie schwierig es mittlerweile geworden ist, diesen zu verwirklichen.

Claudia Schwartz

«Ozark», Staffeln I und II, jeweils 10 Folgen bei Netflix.

Weiterführende Literatur: J. D. Vance: Hillbilly-Elegie. Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise. Aus dem Amerikanischen von Gregor Hens, Ullstein Verlag, 2017. 

Dieser Text von Claudia Schwartz erschien zuerst in der Neuen Zürcher Zeitung. Mit freundlichem Dank an Autorin und Verlag. Ihre Texte bei CulturMag hier, ihre Tatort-Jahresrückblicke je in unseren Jahres-Highlights.

 

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