Geschrieben am 18. Juni 2011 von für Carlos, Crimemag, Kolumnen und Themen

Carlos

Post-Pfingst-Gedanken und ein unendliches Frühwerk … have fun!

Liebe Leserinnen und Leser,

ich spüre ganz deutlich den vielfachen Wunsch nach pfingstlicher Heiterkeit! Würzige Ewigkeitsluft wollen wir atmen in diesen frischen Frühlingstagen, doch, doch, das merke ich! Ich merke es konkret an einem leisen Ziehen in der rechten Leiste. Und an einem Knistern im linken Knie. Mir ist auch so brandig weh und mild hinter dem Brustbein. Die linke Ohrwaschel dagegen bebt im Takt einer fernen Klage.
Daher: Teil drei (Teil eins hier, Teil zwei hier) und Ende meines niemals offiziell veröffentlichten Frühwerkes: „Der Fall des Ezechiel Rammsauter“! Möge der Text das seine dazu beitragen, dass in diesen da dumm dumm dumm …

Es ist Sonntag und wir gehen zum Gottesdienst. Inzwischen habe ich mich selbst im Verdacht, uns alle und sowieso die fünf Jungen.
Erschöpft falle ich in die Kirchenbank.
Wenige Besucher, meist Rentner. Eine Oma hat ihre Infusionsflasche an der Hutkrempe befestigt.
„Der heutige Bibeltext“, sagt Rammsauter nach mehreren langen Liedern, „ENTFÄLLT! Stattdessen soll es jetzt ein längeres Gebet als sonst geben. Ein Gebet.“
„AMEN!“, ruft Schmoll.
„Das sagt man hinterher“, wispere ich.

Vor der Kirche erwartet uns der volltrunkene Pater Jesse. Er müsse fort, ja, eigentlich schon weg sein. Hier sei es nicht gut. Man dürfe sich nicht täuschen lassen. Was denn eigentlich los sei. Ob ihm irgendjemand endlich etwas erklären könne. Er habe keinen Plan. Er steige nicht mehr durch. Er tappe im Finstern und fürchte das Unglück. Er habe einen sitzen. Er sei blau. Auf Wiedersehen. Ein schöner Gottesdienst. Die liebe Frau Mutter Gottes werde uns schon Beine machen. In zwanzig Minuten steige der Flieger. Somit sei er schon zu spät. Es sei überhaupt zu spät. Was solle das alles? Prost miteinander. Yeah. Ciao! Und er schwankt davon.

Schmoll verliert die Nerven. Irgendwann in der folgenden Woche: „Verdammt! Wir kommen nicht weiter! Verdammt! Eule, was wenn es Rammsauter ist …“
„Was soll das, er ist der AUFTRAGGEBER!“
„Haha … steinalter Bluff, Eule! Er gibt den Auftrag, damit er aus dem Schuss ist. HOHOHO, Aufträge geben, das sagt doch gar nichts.“

Rammsauter und ich trinken ein Bier. Der Himmel hat sich in ein schiefes und gemeines Blau gehüllt und die Schaumbläschen platzen an meinem Gaumen wie die Wolken an den steilen unendlich hohen Sturmfronten da oben zerbersten. Rammsauters stahlgrüne Augen donnern herrisch über den blanken Holztisch.
Er nimmt seltsam zerquälte, röchelnde Schlucke. „Zufall!!!“, schreit er. „Der totale Protestantismus nimmt den Zufall ernst. UNSER SATAN HEISST ZUFALL, wie unser Gott Liebe heißt, Friedensfürst, wunderbar. Zufall … Zufall ist das Böse …“

Ich liege schwitzend in der leeren Badewanne und vergesse, wer ich bin. Stalin sitzt im Waschbecken und schaut mit zitternden Augen zu mir.

Wir gehen RASCH durch nächtliche Straßen. Ich habe mich immer nur mehr selbst in Verdacht. DIESE ERMITTLUNG WIRD MICH VERÄNDERN. Keine Indizien, keine Geständnisse, Beweise. Das alles verdanke ich Rammsauter. Herrlich umpfeift uns eine stickstoffkalte Nachtluft, lappen die Tropfen auf unsere glühenden Gesichter und spielt selbst das Licht der Stadt einen irren Tanz im Äther. Ein Schlag, ein Aufprall erst, dann ein Bersten, ein Rieseln und Rasseln, ein bombenhaftes Spannungslassen und stechend Plumpsendes, denn wir sind durch eine Schaufensterscheibe gelaufen, Rammsauter voran. Er liegt von innen leuchtend in den Scherben.
„Ich werde jetzt SCHMERZEN haben“, heult er. „Und ich will sie haben, will alles haben, was nicht der ZUFALL ist. Die Vagheiten, ich habe sie absolut satt, Eule, ich habe das Vage und Ungefähre gefressen. Ananke, Ananke, Ananke!!!“
Ich gehe in die Stadtbücherei und lese in Wörterbüchern von Sprachen, die Rammsauter sprechen dürfte: Latein, Hebräisch, Rotwelsch, Griechisch!

Ananke:
I. Einengung, Einschränkung, Zwang, Nötigung, Notwendigkeit.
1. physisch und moralisch, Naturgesetz, Schicksal.
2. äußerer Zwang der Verhältnisse, Zwangsmaßregel, Zwangsmittel
II. Enge Blutsverwandtschaft

Ist Brüderlichkeit ein Zwang?

Irgendwann, aber auf jeden Fall danach. Wir sitzen zu viert bei José. Rammsauter schaut erloschen in die Runde. „Ich habe kein Geld mehr. Unterstellt, wir sind es nicht, sind es die fünf Jungen. KARDINALSTER SATANISMUS ist es sowieso.“
„Ich habe auch von dem weißen Krokodil geträumt“, fiept Schmoll aufgeregt. „Ich habe es gegessen. Es war ein schöner Traum.“
„Ein schöner Traum, ja“, Rammsauter lächelt Bassmeier an. „Wie sind meine Werte? Leber, Blut, Seele, Gehirn?“
„Fürchterlich“, der Internist senkt den Kopf. „Aber besser als zuletzt.“
„Mir bleibt nicht mehr viel Zeit“, sagt der Hirte müde. „Ich muss den Namenlosen stellen. Ich weiß, dass sie morgen baden gehen, alle fünf. Ich werde mit ihnen reden und ihr gewährt mir Rückhalt. Geht nun, Eule und Schmoll, bleib noch, Bassmeier.“
Und so tun wir es am nächsten Tag.
Wir liegen im Wäldchen und sichern Rammsauter. Eigentlich aber, begreife ich, liegen wir einfach nur da.
Die fünf tollen am Strand des Baggersees in kindlicher Unschuld umeinander. Einer mit vielen Pickeln zupft am Oberteil einer Rothaarigen, die quiekend abdreht. Geile Stechgräser zittern in der müden Brise eines schwülen Nachmittags.
Dr. Bassmeier rollt stöhnend zur Seite.
„Ruhe“, zischt Schmoll.
„Ich liege auf einem toten Fuchs …“ jammert der Arzt.
„Das kann im Wald passieren“, bescheidet ihn Schmoll, „das hier ist ein OPERATIVER Vorgang, da ist der tote Fuchs DAS WENIGSTE.“
Weiter betrachten wir die aufgekratzte Clique. Sie sehen gar nicht so schlimm aus, ganz normal, allenfalls ein bisschen fromm. Für was habe ich mich hergegeben? Was will ich denn?
„Jeder kann es sein“, haucht der Pfarrer und stapft durchs Dickicht zur Badewiese.
Auch Bassmeier erhebt sich nun. „Ich soll wirklich mit?“
„Wie besprochen.“
„Wie was?“, fistelt Schmoll. „Wir sollten sichern? Was geht hier vor?“
Ich begreife es: „RAMMSAUTER, TU’S NICHT!“

Rammsauter zieht eine 44er Magnum: „Tut mir so leid, du Bruder Eule, du kannst uns nicht nimmer bremsen. DAS IST NICHT MEHR DEIN FALL!“
Sie treten ohne Deckung aus der Schonung.
„Schmoll, wir müssen sie erschießen … den Irrenarzt, den Satanspriester …“
„Niemals hatten wir Waffen, Eule …“ Und mein Partner fragt: „Hast du BEWEISE? Auch nur einen Beweis, dass einer schuldig, schuldiger als wir ist?“
„Nein. Nicht einen. Keinen. Du?“
Schmoll neigt das Haupt: „Nichts.“
Rammsauter und Bassmeier sind zu der Gruppe getreten und reden halblaut auf sie ein. Die Jungen verhandeln, bitten, flehen, Bassmeier wiegt, Rammsauter schüttelt das Haupt, gleich einem Hund, der nasses Fell ausschlägt.

Und während RAMMSAUTER sie mit seiner Rechten in Schach hält, rudernd bedroht und grausam bannt, segnet er sie mit der Linken.
Bassmeier reicht Tabletten.
Ein Mädchen weint. Und jetzt kommst du, dann du, sie schlucken’ s. Schnell geht’ s, vorwärts, bald dann: Alle sind sie tot.

Der Tod des 29jährigen Theologiestudenten, der vor einigen Wochen überfahren wurde, ist aufgeklärt. Nach Hinweisen aus der Bevölkerung konnte ein 73 Jähriger überführt werden, den jungen Mann angefahren und dann Fahrerflucht begangen zu haben.

In der Nacht nach der Tat schlafe ich nicht.
Ich denke an Kinder, die zu richten sich ein Vorstadtprediger angemaßt hat, und ich habe mitgetan.

Ich gehe zu Werner Wein und erzähle alles. Er meint, so sei das also und er wäre schon auch selbst so weit gekommen. Statt mich zu fassen, kost er meine Schulter und sagt, nun sind wir quitt. Scheiß auf Studenten. Nix da, nein, er wolle keinen Dank.

Zuhause finde ich Stalin unter der Heizung. Ich ziehe ihn an mich, er zerbeißt mir die Hand, das Gesicht, ich drücke trotzdem seinen dicken pelzigen Katerkopf an mich und schließe die Eulenaugen.

Wieder kein Schlaf und morgens keine Sonne.

Carlo Schäfer

Hier gibt es die Teile 1 und 2 zu lesen.

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