Geschrieben am 1. September 2023 von für Crimemag, CrimeMag September 2023

Sonja Hartl über C.A. Davids: Verratene Ideale

Sonja Hartl über den Roman „Hoffnung & Revolution“

Gleich vier Erzählstränge verbindet die südafrikanische Autorin C.A. Davids in ihrem ruhigen Politthriller: Beth ist eine südafrikanische Diplomatin, die sich in Shanghai aufhält. Dort begegnet sie ihrem Nachbarn Huang Zhao, von dem sie glaubt, sie höre ihn jede Nacht in seiner Wohnung tippen. Aber als er eines Tages vor ihrer Tür steht, weil er nach einem englischen Wort sucht, streitet er es energisch ab. Sie freunden sich miteinander an, er zeigt ihr Shanghai und erklärt ihr vieles, was sie übersehen würde. Dann ist er plötzlich verschwunden und hinterlässt ihr ein brisantes Manuskript.

In einem zweiten Handlungsstrang erinnert sich Beth an ihre Vergangenheit in Kapstadt, als sie gegen die Apartheid rebellierte. Damals ist etwas mit ihrer besten Freundin passiert und sie versucht im Rückblick zu rekonstruieren, wie es dazu kommen konnte – und welche Rolle sie gespielt hat. Der dritte Handlungsstrang ist Zhaos Manuskript: Darin erzählt Zhao von seinem Leben, von dem Studentenmassaker vom 4. Juni 1989, das Datum, das in China nicht genannt werden darf, das ihn, den systemtreuen Propagandisten/Journalisten aufgerüttelt hat, und insbesondere von seinen Recherchen zu der großen Hungersnot 1958 bis 1962. Das sind hochbrisante Inhalte zu Ereignissen, die es laut offizieller chinesischer Geschichtsschreibung nicht geben sollte. Und sie bringen nicht nur den Autor in Gefahr, sondern auch Beth, die das Manuskript irgendwie aus Shanghai herausschmuggeln will.

Und schließlich der vierte Handlungsstrang: Er besteht aus einem fiktionalisierten Briefwechsel zwischen dem US-amerikanischen Schriftsteller Langston Hughes und einem südafrikanischen Autor, der nicht genannt wird, bei dem es sich aber wohl im Richard Rive handelt. In seinen Briefen erzählt Hughes, wie es als Schwarzer in Shanghai während der kommunistischen Revolution 1933 war, wie es in den USA in den 1950er Jahren ist, in der McCarthy-Ära. Das ist der einzige Erzählstrang, der sich nicht immer in die ambitionierte narrative Anlage fügt – hier stellt sich schon die Frage, warum nicht auch Hughes fiktionalisert wurde. Außerdem hätte „negro“ nicht mit dem N-Wort übersetzt werden müssen, sondern im Original stehen bleiben können.

Abgesehen davon aber fasziniert dieser Roman: man erfährt viel insbesondere über Shanghai, China und Kapstadt und je länger man über ihn nachdenkt, desto mehr Parallelen entdeckt man zwischen den einzelnen Strängen. Sie führen alle ein Leben in Kompromissen – an verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten – und fühlen sich als Verräter*innen. Beth wird sogar vorgeworfen, ihre beste Freundin verraten zu haben und seit dem Ende der Apartheid erkennt sie, dass sie sich am Aufbau eines zunehmend korrupten System beteiligt. Zhao ist Verratener und Verräter: Verraten durch eine Revolution, an die er glaubte, die aber über Leichen ging. Und Verräter weil er diese Revolution jahrelang unterstützt hat, nun aber dieses System angreift. Hier wird sehr deutlich, wie ambivalent solche Positionen sind: ohne seinen tadellosen Ruf, hätte er niemals Zugang zu den Akten bekommen, die er brauchte, um die Skandale aufzudecken. (Auch Zhao erinnert an eine reale Person: der Journalist Yang Jisheng, der mit „Grabstein“ ein Buch über die Ursachen und das Ausmaß der Hungerkatastrophe 1958 bis 1962 geschrieben hat.)

In dem Verlagstext steht, dass „Hoffnung & Revolution“ ein Thriller sei – das könnte Erwartungen wecken, die dieses Buch nicht einlöst. Vielmehr beschreibt das Wort, das Zhao ganz am Anfang sucht, diesen Roman sehr schön: er sucht einen Begriff, irgendwie wie traurig, aber doch etwas anders. Irgendwann kommt Beth darauf, dass er „melancholisch“ meinte.

„How to be a revolutionary“ ist der schöne Originaltitel, der auf den Kern dieses Romans verweist: Die großen Revolutionen, die Beth und Zhao mit vorangetrieben haben, sind offiziell abgeschlossen. Aber  die Ergebnisse sind enttäuschend, repressiv und korrupt – und die enthusiastischen Revolutionäre müssen ein Weg finden, in dieser Gegenwart zu leben und sich treu zu bleiben.

C.A. Davids: Hoffnung & Revolution (How to be a revolutionary, 2022). Aus dem Englischen von Susann Urban. AfrikAWunderhorn 2023. 320 Seiten. 26 Euro.

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