Geschrieben am 10. September 2011 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Alf Mayers „Blutige Ernte“

Alf Mayers „Blutige Ernte“ gehört zu den ältesten deutschen Krimi-Kolumnen überhaupt. Und zu den besten. CrimeMag freut sich, dass sie ab sofort bei uns zuerst zu lesen sein wird.  Regelmäßig unregelmäßig, oft über Bücher, die uns unsere Verlagswelt (noch) vorenthält …

Fehlanzeige – Von Büchern, die nicht bei uns erscheinen

In diesen Schoßgebets-Wochen, in denen die übliche Bauchnabel-Perspektive der „Schönen“ Literatur eine Erweiterung um Darmblähungen, Präejakulate oder Fadenwürmer am Anus erfährt und man uns Lesern das als mutige Expedition ins Ich-weiß-nicht-was verkauft, wird mir wieder einmal klar, warum ich Kriminalliteratur schätze. Wenn dort Fäkalien thematisiert werden, dann die der Gesellschaft. Den größeren (und wichtigeren) Tabubruch, als eine Zweierkisten-Bettwäsche vorm Publikum auszubreiten, finde ich es immer noch, politische Verhältnisse zu benennen und das moralische Urteilsvermögen zu beanspruchen.

In diesem Zusammenhang fällt mir wieder einmal auf, WELCHE Kriminalromane und Thriller es in Deutschland eher nicht auf den Markt schaffen. Jeder, der fremdsprachlich liest, kann hierzu eine eigene Liste beisteuern – ich behaupte, die Marktverengung auf die gängige Ware hat System und sie ist auch wieder systemischer geworden. „Deine Geschichte muss glitschig sein wie ein Zäpfchen, damit sie genommen wird“, hat Roman Polanski das einmal beschrieben.

Gerald Seymour

Im Jahr 2000 ist in Deutschland das letzte Mal etwas von Gerald Seymour erschienen, obwohl der in England hochgeachtete ehemalige Journalist seitdem jedes Jahr ein neues Buch vorgelegt hat und englische Kritiker ihn den besten Thrillerautor der Welt nennen. Elf seiner Romane sind seit 2000 bei uns unbekannt geblieben, sie alle haben mit der Wirklichkeit zu tun, gehen in ihrer politischen wie menschlichen Konflikttiefe und Genauigkeit weit über Techno-Thriller á la Tom Clancy hinaus. Seymours Themen seit 2000 unter anderem: der „Krieg gegen den Terror“, Uranschmuggel in der zerfallenden Sowjetunion, Organisiertes Verbrechen in Europa, die Rekrutierung von Selbstmordattentätern, der von unseren Regierungen geduldete und gewünschte Waffenhandel, die Nachwehen und Narben des Jugoslawienkrieges, der Drohnenkrieg in Afghanistan und die dortigen seltsamen Allianzen.

Sein jüngstes, jetzt im August 2011 erschienenes Buch heißt „A Deniable Death“ und sondiert den moralischen Sumpf der Nach-9/11-Welt. Es geht um die illegale und in vieler Hinsicht dreckige Liquidierung eines Bombenbauers durch westliche Geheimdienste, erzählt wird das weit jenseits des Agenten- und Heroentums. Ein deutscher Verlag dafür: Fehlanzeige.

Michael Robotham

Merkwürdig auch das Schicksal des neuen Buches von Michael RobothamThe Wreckage“. Bisher war der australische Thrillerautor mit seinen Kriminalromanen um den grummeligen Ex-Polizisten Vincent Ruiz und den an beginnendem Parkinson leidenden Psychologieprofessor Joe O’Loughlin beim Goldmann-Verlag wohlgelitten, die letzten beiden („Todeswunsch“ und „Dein Wille geschehe“, hier und hier bei cultmag) erschienen sogar als Hardcover. Nun aber, wenn der ehemalige Journalist Robotham gut recherchiert in den Trümmerhaufen des Irakkriegs stochert, heißt es hierzulande: Fehlanzeige für eine Übersetzung.

Jemand raubt im heutigen Irak Banken aus, im großen Stil verschwindet für den Wiederaufbau des Landes bestimmtes Geld. Zumindest lässt „jemand“ es so aussehen: gesprengte Gebäude, verkohlte Bankbeamte, erschossene Wachleute, eine Spur von Gewalt, der nachzugehen brandgefährlich ist und die für einen irakischen Journalisten zur Obsession wird. Ein gutes Dutzend Figuren (darunter auch Vincent Ruiz in London) verwebt Robotham zu einem in jeder Hinsicht starken Erzählstrang.

Die allzu böse Welt – in der wir in den Buchhandlungen kniehoch durch immer wieder neue blöde Varianten von Serienkillern waten –, sie darf über die üblichen Killer-Opfer-Ermittler-Kisten hinaus nicht allzu realitätstüchtig ausgebreitet werden. Dieses unausgesprochene Verbot deutscher Verlagspolitik erwischte Robotham schon einmal, als er inBombproof(2009) einen Kleinkriminellen mit einem Bomben-Rucksack durch London hetzen ließ. Übersetzung: Fehlanzeige.

Stephen Hunter

Ebenfalls seit 2000 vom deutschen Buchmarkt verbannt ist der US-Thrillerautor Stephen Hunter. Der Filmkritiker der „Baltimore Sun“ ist ein ausgewiesener „gun freak“ und schreibt die wohl fachkundigsten Filmkritiken zu all den Baller-Filmen und ihrem unrealistischem, verdummendem und verharmlosendem Waffengebrauch. Mit gehöriger Begeisterung politisch unkorrekt, entwirft er tiefschürfende Porträts eines waffenverliebten Landes. „Die Gejagten“ („Dirty White Boys“) hieß sein letztes bei uns erschienenes Buch. Seitdem: Fehlanzeige.

Michael Genelin

Drei Mal schon hat Michael Genelin mit seiner Kommissarin Jana Martinova aus Bratislava die Grauzonen des östlichen, modernen Europa erkundet (in „Siren of the Waters“, „Requiem for a Gypsy“ und „Dark Dreams“). Der ehemalige Staatsanwalt, in Los Angeles einst Leiter einer Banden-Task-Force, als Korruptionsspezialist in Palästina, Nepal, Indonesien und dem Sudan tätig, international renommiert und für seinen magisch-realistischen Stil bewundert, hierzulande: Fehlanzeige.

Lee Child

40 Monate, von Juni 2008, als George W. Bush noch in USA im Amt war, bis November dieses Jahres wird es gedauert haben, bis der bislang politischste Roman von Lee Child in die deutschen Buchhandlungen kommt. Sein hiesiger Titel „Outlaw“ (im Verlag Blanvalet): Oh, heilige Titelfindung! Im Sommer 2008, mitten im heißen amerikanischen Präsidentenwahlkampf, war der Thriller „Nothing to Loose“ des Bestsellerautors und auch im US-Militär verehrten Lee Child eine eindeutige Stellung- und Parteinahme. Childs Serienheld, der Ex-Militärpolizist Jack Reacher, setzt sich darin nicht nur mit dem moralischen Dilemma auseinander, einem Land dienen zu müssen, das seinen moralischen Kompass verloren hat. Child rechtfertigt hier eindeutig die Befehlsverweigerung und lässt seinen Helden Army-Deserteuren helfen, was – bei amazon.com nachzulesen – Zigtausende treuer Leser verstörte. Noch heftiger fällt aus, wie Lee Child mit dem selbstgerechten und über jede fremde Leiche gehenden, amerikanischen religiösen Fundamentalismus abrechnet. Jack Reacher lässt da einen bibeltreuen Schurken-Unternehmer buchstäblich zur Hölle fahren. 40 Monate später hat solch ein Ende seine Brisanz verloren.

Leider kein Aprilscherz ist auch die Nachricht, dass nach jahrelanger filmischer Entwicklungsarbeit – oder wie immer man solche Zäpfchen-Prozesse in Hollywood nennen soll – nun endlich ein Darsteller für den sechs Fuß fünf Inch  großen Jack Reacher gefunden ist. In der anstehenden Verfilmung von „One Shot“ (deutsch: „Sniper“)  wird der 1,70 cm große Tom Cruise den 1,96 Meter großen Jack Reacher spielen. Mir fällt dazu eine Anekdote über den Schauspieler Audie Murphy (1,65) ein: Weil der eitle Westernstar sich weigerte, auf einen Hocker zu steigen, musste für Maureen O’Hara (1,72) ein Graben ausgehoben werden, damit sie vor der Kamera zu ihm aufschauen konnte.

Lee Child, der das Fernseh- und Filmgeschäft kennt, steht hinter Tom Cruise. Er erklärte, dass der Größenunterschied keinerlei Auswirkungen auf die Konzeption der Figur haben werde: „Reachers Größe in den Büchern ist eine Metapher für eine unaufhaltsame Kraft, die Cruise auf seine eigene Art und Weise darstellen wird.“ Übersetzung ist eben halt so eine Sache …

Alf Mayer

Ein kleines Archiv von Alf Mayers Texten gibt es hier.

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