Geschrieben am 1. Februar 2022 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2022

Bloody Chops Februar 2022

Kurzbesprechungen – fiction

Kurzbesprechungen von Hanspeter Eggenberger (hpe), Joachim Feldmann (JF), Frank Rumpel (rum):

Herbert Heinrich Beckmann: Es sind Kinder
Thomas Christos: 1966
Candas Jane Dorsey: Drag Cop
Candice Fox: 606
Zhou Haohui: 18/4. Der Hauptmann und der Mörder
Michael Jensen: Blutgold
Josef Kleindienst: Mein Leben als Serienmörder
Denise Mina: Totstück
Alan Parks: Bobby March forever
Scott Thornley: Der gute Killer

Starke Figuren

(JF) Susan ist 13, als sie zum ersten Mal schwanger wird. Von einem Mann, der mehr als doppelt so alt ist wie sie. Und der sie auf den Strich schickt. „Auf seine Art war er gut zu ihr“, urteilt Jahrzehnte später ihre Schwester Nikki. Susan ist zu diesem Zeitpunkt schon lange tot. Mit 18 war sie erneut schwanger geworden. Diesmal trägt sie das Kind aus. Wenig später wird sie ermordet. Der Fall bleibt unaufgeklärt. Ihre Tochter wächst bei Adoptiveltern auf und erfährt nichts von alledem, bis sie sich als erwachsene Frau auf die Suche nach ihren biologischen Eltern macht. Denn sie erwartet selbst ein Kind und fürchtet eine negative genetische Disposition.

Denise Minas Roman Totstück beginnt in einer Glasgower Adoptionsagentur, wo Carol, so heißt das Mädchen jetzt, auf ihre Tante Nikki wartet. Das Zusammentreffen verläuft anders als erwartet. Nikki möchte, dass Carol, die als Ärztin arbeitet, ihre Möglichkeiten nutzt, um den Mörder ihrer Mutter zu überführen. Dessen Identität sei längst klar, doch verhindere ein falsches Alibi eine Anklage. Und Carol könne das mit einem Blick in alte Krankenhausakten nachweisen.

Es versteht sich, dass aus diesem Plan nichts wird. Der Fall nämlich ist komplexer und einfacher zugleich. Und der Autorin liegt wenig daran, eine schlichte Tätersuche zu rekonstruieren. Vielmehr lässt sich „Totstück“ als Studie über Klassen- und Geschlechterverhältnisse im Gewand eines Spannungsromans lesen, dessen mäandernder Plot das alte Elend in immer neuen Facetten präsentiert. Dass man das Buch dennoch nicht deprimiert beiseitelegt, verdankt sich seinen starken, den widrigen Umständen trotzenden, weiblichen Figuren, die durch Denise Mina erzählerisch gekonnt ins rechte Licht gerückt werden.

Denise Mina: Totstück. Deutsch von Karen Gerwig. Hamburg, Argument Verlag 2021. 316 Seiten, 22 Euro.

606 Häftlinge auf der Flucht

(hpe) Alle Insassen eines Gefängnisses in Nevada sind auf der Flucht. 606 Männer, darunter Schwerstverbrecher aus dem Todestrakt, spazierten aus dem Knast, nachdem eine raffiniert eingefädelte Erpressung die Wärterinnen und Wärter dazu brachte, alle Tore zu öffnen. Ein Bus mit Angehörigen der Belegschaft, die zum jährlichen Softballspiel der Wärter gegen Gefangene anreisten, wurde gestoppt, der Fahrer erschossen, die Menschen im Bus von Scharfschützen ins Visier genommen. Nach dem Ausbruch beginnt die Jagd auf die Flüchtigen.

»The Chase« heißt der neue Thriller der australischen Autorin Candice Fox im Original, 606 ist der Titel der deutschen Fassung. Es ist ein ebenso ungewöhnlicher wie spektakulärer Gefängnisausbruchsroman. Wie schon in ihrem letzten Buch »Dark« vor einem Jahr kombiniert sie auch hier fulminant eine ganze Reihe von Geschichten, von denen jede für die meisten Autoren Stoff für einen ganzen Roman liefern würde, zu einem vielschichtigen Ganzen. Das ist handwerklich virtuos gemacht, wie man es von Candice Fox kennt. Hat man zwischendurch mal das Gefühl, ein Element bewege sich etwas gar weit vom zentralen Plot weg, kriegt die Autorin auf ihrem rasanten Höllenritt die Kurve jedes Mal doch noch rechtzeitig. 

Ausbruchsthriller konzentrieren sich in der Regel entweder auf die Verfolgung der Flüchtigen durch die Polizeikräfte, oder sie begleiten Ausbrecher auf der Flucht. Fox macht in »606« beides – und noch mehr. Zu den zentralen Geschichten gehört die des Ausbrechers John Kradle, der in der Todeszelle saß, weil er seine Familie getötet hatte. Doch er beteuert schon immer seine Unschuld und will die Flucht nutzen, um diese zu beweisen. Doch da ist Celine Osbourne, die Chefin des Todestraktes, die durch die Ermordung ihrer Familie durch ihren Großvater traumatisiert ist und Kradle für einen der übelsten Verbrecher hält, den es dringendst zu fassen gilt. Die rüde Einsatzleiterin, US Marshall Trinity Parker, will sich aber auf zwei gefährliche Terroristen konzentrieren, einer davon ein Neonazi, der einen üblen Anschlag plant.

Der Roman, der nur so sprüht von originellen Ideen, folgt all diesen Figuren und noch einigen mehr. Beiläufig thematisiert er innerbetriebliche Reibereien im Knast, Rassismus, mangelhafte Polizeiermittlungen, prekäre Familienverhältnisse, Terrorismus, Betrugsmechanismen und anderes mehr. Er bleibt dabei immer spannend, es gibt reichlich schrägen Humor und viel Action. Wie in einem temporeichen Actionfilm geht das manchmal ein bisschen zu Lasten der inhaltlichen Tiefe. Unterhaltsam ist es aber alleweil.

Candice Fox: 606 (The Chase, 2021). Aus dem Englischen von Andrea O’Brien. Suhrkamp, Berlin 2021. 468 Seiten, 16,95 Euro.

Purer Plot, spannend

(JF) Nach den Rachegöttinnen der griechischen Mythologie nennt er sich Eumenides. Er ist Ankläger, Richter und Henker zugleich. Die Verbrechen seiner Opfer würden ansonsten ungeahndet bleiben. Jeden seiner Morde, er nennt sie „Urteilsvollstreckungen“, kündigt er in einem Schreiben an die Polizei an. Denn die Ermittler sind Teil seines Spiels. 

Der Hauptmann und der Mörder lautet der deutsche Titel des ersten Teils einer international vermarkteten Romantrilogie des chinesischen Autors Zhou Haohui, die im englischen Sprachraum als „Death Notice“ firmiert. Nun tauchen im Personenverzeichnis allein drei Kriminalisten auf, die den Hauptmannsrang bekleiden. Aber auch diesen Umstand kann man als Teil des Spiels deuten. Denn dass es sich bei dem Mörder um einen Einzeltäter handelt, ist ebenfalls nicht ausgemacht. Tatsächlich lässt die umfängliche Aufklärung am Ende des Romans Fragen offen, genügend Stoff für die Bände 2 und 3.

Der Autor bedient sich eines populären Handlungsmusters der Spannungsliteratur, das auf der vorgeblichen Ähnlichkeit von Detektiv und Täter, die sich in einer Art Wettstreit befinden, beruht. Dessen Regeln allerdings werden von der „dunklen Seite“ bestimmt, was den Ermittler vor ein moralisches Dilemma stellt. Dass die Arbeit der offiziellen Strafverfolgungsbehörden notorisch unzureichend ist, wird vorausgesetzt.

Zhou Haohui hat sich dieses universelle Schema erfolgreich angeeignet. Sein Roman ist purer Plot und als solcher ziemlich spannend. In diesem Zusammenhang ist es symptomatisch, dass nicht das Original, sondern dessen englische Übersetzung als Vorlage für die deutsche Fassung gewählt wurde. Herkömmliche Kriterien für die Bewertung von Literatur nämlich spielen für dieses perfekte Unterhaltungsprodukt keine Rolle.

Zhou Haohui: 18/4. Der Hauptmann und der Mörder (Si wang tong zhi dan: An hej zhe, 2014). Aus dem Englischen von Julian Haefs. Heyne Verlag, München 2022. 398 Seiten, 13 Euro.

Bröselnde Gewissheit

(rum) Einen Serienmörder spielen – nicht eben der Traum des ungelernten Schauspielers und Schriftstellers Konrad Mola. Aber was macht man nicht alles für Geld. Also geht er zum Dreh, spielt den Frauenmörder in einer TV-Produktion. Und was da als Witz auf der Cocktailparty noch für Erheiterung sorgt, wird ihm nach und nach zum existentiellen Ballast. Denn nach der Party zieht er mit dem Produzenten so gründlich durch die Bars, dass sich am nächsten Morgen partout keine Erinnerung mehr einstellen will. Das ist schlecht, denn die Polizei will wissen, was er an einem Tatort zu suchen hatte. Eine Überwachungskamera hatte ihn just dort gefilmt, wo kurz darauf eine tote Prostituierte gefunden wurde. Einer, der einen Serienmörder spielte und dann einem echten Mordschauplatz so nah kommt – das weckt Interesse bei den Behörden. Und je länger deren Untersuchungen andauern, desto mehr beginnt Mola an sich selbst zu zweifeln. Könnte es sein, dass er tatsächlich einen Mord begangen hat? Aber weshalb und vor allem: an wem? Also versucht er, Erinnerungen aufzuspüren, Lücken zu rekonstruieren, die irgendwie zu den Ermittlungsbruchstücken der Polizei passen und die Antworten als begehbare Planken über einen Abgrund zu schieben, dessen Tiefe er noch nicht abschätzen kann.

Der 1972 geborene, in Wien lebende Josef Kleindienst veröffentlichte Romane (2010 erschien sein Debüt „An dem Tag, als ich meine Friseuse küsste, sind viele Vögel gestorben“, mit dem er auch beim Bachmann-Wettbewerb antrat), Drehbücher und Theaterstücke. Gelegentlich arbeitet er auch als Schauspieler. In dieser Groteske nun geht er der Frage nach, wie gut man sich selbst kennt, wie viel man sich zutraut und wie sehr dieser Zweifel doch die eigene Glaubwürdigkeit untergräbt – zumal plötzlich vieles öffentlich ausgetragen wird. Molas Freundin will nichts mehr mit ihm zu tun haben, einige Zeitungen nähren Spekulationen, der Produktionsfirma scheint die PR gelegen zu kommen, während dem Protagonisten selbst alle Gewissheiten wegzubröseln drohen. Das ist amüsant, weil dick aufgetragen, eine Geschichte um einen vermeintlichen Identitätsverlust, um öffentliche Vorverurteilung, eine hoffnungslose Suche nach etwaigen Motiven und Möglichkeiten, eine verspielte, satirische Erkundung eines durch ein paar Zufälle ins Taumeln geratenen Lebens. Besser nie den Serienmörder geben.

Josef Kleindienst: Mein Leben als Serienmörder. Sonderzahl Verlag, Wien 2022. 182 Seiten, 20 Euro.

Eine eigene grimmige Komik

(JF) Fast drei Jahre ist Leon jetzt alt, doch noch immer fällt es ihm sehr schwer, sich zu artikulieren. Verzögerte Sprachentwicklung, sagt der Kinderarzt. Aber das ist nicht das wesentliche Kommunikationsproblem der kleinen Familie, die ihren Urlaub auf einer kleinen estnischen Insel verbringt. Leons Eltern verstehen sich schon lange nicht mehr gut. Das war einmal ganz anders. Kennengelernt haben sich die beiden am Arbeitsplatz. Dummerweise in der Firma, die Stefan gemeinsam mit seiner Frau Hanna betreibt. Deshalb musste Tine gehen, als die Affäre bekannt wurde. Ein rationales Arrangement rationaler Menschen. Zumindest nach außen.

Nun sind sie auf dem Weg in den Urlaub und nichts ist gut. Das kleine Ferienhaus am Strand – ein Geheimtipp – entpuppt sich als Bruchbude mit Außendusche, weit entfernt von dem einzigen Ort auf der Insel. Zur Enttäuschung gesellen sich Existenzängste. Doch darüber sprechen sie nicht. Immer wieder kommt es zu hässlichen Streitereien. Dann verschwindet Leon spurlos. Und die nervliche Anspannung entlädt sich in purer Panik.

Der Roman Es sind Kinder von Herbert Heinrich Beckmann ist ein psychologischer Thriller der besonderen Art. Einer, der ohne Verbrechen auskommt. Und der fast seine ganze Spannung aus einer verfahrenen Kommunikationssituation bezieht, während die genretypischen Angstmotive den Fantasien seiner Protagonisten überlassen werden. Verstärkt wird dieser Effekt durch gekonnte Perspektivwechsel und einen konsequenten erzählerischen Realismus. So entwickelt diese bittere Studie einer zerfallenden Beziehung auch ihre ganz eigene grimmige Komik.

Herbert Heinrich Beckmann: Es sind Kinder. Mirabilis Verlag, Klipphausen/Miltitz 2022. 246 Seiten, 22 Euro.

Abenteuerlich und schlau

(hpe) Mit dem Titel Drag Cop auf Regenbogenstreifen wird die deutsche Ausgabe dieses Krimis, marketingtechnisch sicher nicht ungeschickt, in der LGBTQ-Szene positioniert. Das Original der kanadischen Autorin Candas Jane Dorsey präsentiert sich differenzierter: »The Adventures of Isabel« heißt da der Titel, ergänzt durch den Untertitel »A Postmodern Mystery«. Dorsey, selbst nicht nur Autorin von Science-Fiction-Romanen, sondern auch Lyrikerin, bezieht sich dabei auf das Gedicht »The Adventures of Isabel« des amerikanischen Lyrikers Ogden Nash (1902–1971) aus den Dreißigerjahren. Die Zeilen dieses witzigen Poems, das von einem Mädchen handelt, das von einem gefräßigen Bären, einer Hexe, einem Riesen und einem Arzt bedroht wird, sie am Ende aber alle mit ihrer Cleverness besiegt, bilden im Roman Kapitelüberschriften – in der Reihenfolge des Originalgedichts. Diese Hauptkapitel sind dann wiederum durch insgesamt 140 durchnummerierte Zwischentitel in teils sehr kurze Abschnitte gegliedert.

Die Heldin, eine arbeitslose Sozialarbeiterin, die als Icherzählerin auftritt, ist in dem Roman namenlos. »Heißt du Isabel«, fragt am Ende des Buches die Freundin, die das Manuskript gelesen hat. «›Nein‹, sagte ich überrascht. ›Wieso?‹« Zu den nicht wenigen Besonderheiten dieses sehr außergewöhnlichen Romans gehören eingestreute Reflexionen zur Struktur von Kriminalromanen, mit der sich die Icherzählerin auseinandersetzt. Und immer wieder auch zu Sprachgebrauch und Ausdrucksweisen.

Aber beginnen wir am Anfang. Hep, eine alte Freundin, die so genannt wird, weil sie aussieht wie Katherine Hepburn, bittet die Erzählerin um Hilfe. Sie soll dem Mord an ihrer Enkelin, die drogensüchtig und Prostituierte war, nachgehen, da man sich in solchen Fällen auf die Polizei nicht verlassen könne. Die ausgesteuerte Sozialarbeiterin, die sich gerade als Sexdienstleisterin für jedes Geschlecht anbieten wollte, da sie darin neben der Sozialarbeit ihre einzigen Fähigkeiten sah, übernimmt den Job.

So entwickelt sich eine recht komplexe Geschichte, in der es um Sexismus, Rassismus und Gewalt in vorgeblich frommen Kreisen, um homo- und pansexuelle Begegnungen, um Drogenhandel, eine schwierige Erbschaft und Korruption geht. Da tritt, eher nebenbei, auch eine Drag Queen auf, die sich als Undercover-Cop entpuppt, was den deutschen Titel auflöst. 

»Drag Cop« steckt voller Anspielungen, nicht nur auf das erwähnte Gedicht. Manche davon versteht man problemlos, andere weniger. Manchmal spürt man sie nur, denn machen Bezüge erschließen sich der deutschsprachigen Leserschaft kaum. Egal! Denn schräge Ideen, ein umwerfender Sinn für Humor, ein unverkrampfter Umgang mit Sex ohne geschlechtsspezifische Präferenzen, ätzender Sarkasmus und liebevolle Beziehungsgeschichten, alles gewürzt mit Gewalt und Leidenschaft, machen »Drag Cop« einem ebenso abenteuerlichen wie schlauen Lesevergnügen. Da dies der Auftakt zu einer Serie zu sein scheint – in Kanada ist ein zweiter Titel mit der namenlosen Ermittlerin erschienen –, dürfen wir uns auf Nachschub freuen.

Candas Jane Dorsey: Drag Cop (The Adventures of Isabel, 2020). Aus dem Englischen von Conny Lösch. Suhrkamp, Berlin 2021. 361 Seiten, 11 Euro.

Schauplatz Berlin (1)

(JF) Nicht erst seit gestern ist Berlin zur Zeit der Weimarer Republik einer der beliebtesten Schauplätze für historische Kriminalromane. Und das aus gutem Grund. Schließlich profitieren fiktive Verbrechen und ihre Aufklärung von einem spannenden gesellschaftlichen Hintergrund. Man möchte zwar nicht, wie es ein boshafter Fluch angeblich chinesischen Ursprungs suggeriert, in „interessanten Zeiten leben“, von ihnen lesen aber durchaus. Deshalb überrascht die Ankündigung einer weiteren, im „Babel der Moderne“ angesiedelten, Romanreihe wenig.

Der Autor Michael Jensen (Pseudonym) hat Erfahrung mit historischen Stoffen. Und er kann schreiben. Deshalb liest sich sein Roman Blutgold, die süffig erzählte Geschichte vom Aufstieg der kleinkriminellen Brüder Sass zu Halbweltgrößen in den Jahren 1918 bis 1921, recht kurzweilig. Geschickt vermischt Jensen Fakten und Fiktion, Cameo-Auftritte prominenter Zeitgenossen vom Regisseur  Ernst Lubitsch über die wilde Tänzerin Anita Berber bis zum KPD-Funktionär Wilhelm Pieck inclusive. Auch die Sass-Familie ist keine Erfindung. Wirklich berühmt wurden die Brüder aber erst, als sie sich ab 1926 darauf verlegten, mit modernen technischen Mittel Banktresore zu knacken. Davon wird wahrscheinlich in den weiteren Bänden zu lesen sein. Dass sie sich schon in jungen Jahren als organisierte Kriminelle betätigt hätten, geht wohl auf das Konto schriftstellerischer Fantasie. Das lässt sich über die tatsächlichen Schurken des Romans, die republikfeindlichen Freikorpsleute um den ehemaligen Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt und dessen politische Auftraggeber, nicht sagen. 

„Blutgold“ ist spannende, gelegentlich melodramatische und ab und zu auch ein wenig didaktische Kolportage. Jensen möchte ganz offensichtlich nicht nur unterhalten.  Und ist ja auch in Ordnung.

Michael Jensen: Blutgold. Aufbau Verlag, Berlin 2022. 462 Seiten, 12 Euro.

Serienmord als schöne Kunst

(JF) Wieder mal ein Serienmörder. Einer, der seine Opfer bestraft und erlöst. Und der die Tatorte als Installation gestaltet. Dass ihn der Titel des Romans als „guten Killer“ bezeichnet, ist wohl nicht nur ironisch zu verstehen.

Dem Mörder dicht auf den Fersen ist Detective Superintendent MacNeice, der im (fiktiven) kanadischen Dundurn Dienst tut. Ein sympathischer Jazzliebhaber und Vogelbeobachter, dessen unorthodoxe, aber effektive Methoden sein Team immer wieder verblüffen. Weniger erstaunt dürfte die Zielgruppe der vier Kriminalromane umfassenden Reihe des spätberufenen Autors Scott Thornley sein, schließlich mag man seine Ermittlerfiguren gerne ungewöhnlich. Ins Deutsche übersetzt wurden bislang zwei Bände, „Der gute Cop“ (2020) und jetzt Der gute Killer.

Dass Thornley sich des schon leicht abgenutzten Motivs vom Serienmord als schöne Kunst bedient, erweist sich im Verlauf dieses Thrillers nicht als der zu erwartende Schwachpunkt. Seine Täterfigur ist komplexer angelegt als der genreübliche Unhold. Zudem sorgt ein paralleler Handlungsstrang um den Rachefeldzug eines betrogenen Ehemanns, von dem MacNeice und seine Kollegen unmittelbar betroffen sind, für einen ästhetisch sinnvollen Kontrast. Am Ende des Buches lässt es Thornley noch einmal mächtig krachen, um die moralische und intellektuelle Überlegenheit seines Helden zu demonstrieren. So endet die Lektüre mit einem ebenso tiefen wie zweifelhaften Gefühl der Befriedigung.

Scott Thornley: Der gute Killer (Vantage Point, 2018). Aus dem Englischen von Andrea O’Brien. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 400 Seiten, 16,95 Euro.

Schauplatz Berlin (2)

(JF) „Als sie mit zwei Gläsern Racke Rauchzart wiederkam, erwartete er sie im Adamskostüm.“ Man merkt, wir befinden uns nicht nur inhaltlich in den 1960er Jahren. Wer es gern didaktisch hat, ist bei Thomas Christos (d. i. Christos Yiannopoulos) an der richtigen Adresse, denn hier gibt es bundesrepublikanische Zeitgeschichte im Krimiformat. Wie schon im Vorgängerroman „1965“ setzt der Autor seinen Helden Thomas Engel in 1966 einer brisanten Mischung von Politik und Verbrechen aus, garniert mit dem passenden Zeitkolorit. Der Schauplatz ist diesmal Westberlin, wo sich der junge Polizeibeamte und seine Freundin Peggy eine neue Existenz aufbauen wollen. Zwar wird es zunächst nichts mit einem Kripo-Posten, doch auch als Ermittler im Dienst der Politischen Polizei darf sich Engel nicht über Langeweile beklagen. In der Mauerstadt zeigt sich der kalte Krieg von seiner aufregendsten Seite. Schon bald wird der naiv-idealistische Jungkriminalist zum Objekt obskurer Geheimdienstaktivitäten, während Peggy freundschaftliche Kontakte zur außerparlamentarischen Opposition knüpft.

Stoff genug für einen ebenso turbulenten wie informationslastigen Plot. Zu erläutern, was der Vietnamkrieg, Nazi-Wissenschaftler und die CIA miteinander zu tun haben, bleibt deshalb nicht selten einem dominanten auktorialen Erzähler überlassen. Das tut dem recht betulich formulierten Roman nicht gut. Wer sich daran nicht stört, wird durch „1966“ durchaus akzeptabel unterhalten und anständig belehrt. Der Verfasser allerdings, immerhin ein preisgekrönter Drehbuchautor, sollte noch einmal nachschlagen, wie der Regisseur von „Der Schatz der Sierra Madre“ (S. 32) wirklich heißt.

Thomas Christos: 1966. Ein neuer Fall für Thomas Engel. Blanvalet, München 2021. 447 Seiten, 20 Euro.

Retro-Noir aus Schottland

(hpe) Der Sommer 1973 ist in Glasgow außergewöhnlich heiß. Für Schweißausbrüche bei den Polizisten sorgt aber auch das Verschwinden eines 13-jährigen Mädchens. Alle werden für die Suche aufgeboten. Außer Detective Harry McCoy. Denn sein neuer Chef ist ein alter Feind von ihm, und der will ihn nicht dabeihaben beim Fall, der die Schlagzeilen dominiert. McCoy muss sich dafür mit dem Tod des lokalen Rockstars Bobby March durch eine Überdosis Heroin befassen. Und mit einer Serie von kleinen Banküberfällen.

Bobby March forever ist der dritte Band der harten Retro-Noir-Serie um Harry McCoy von Alan Parks. Sie soll dereinst stolze zwölf Bücher umfassen, in deren Titel offenbar alle Monatsnamen abgehakt werden sollen. Nach »Blutiger Januar« und »Tod im Februar« kommt der März auf Deutsch zwar nun nur im unübersetzbaren Namen March des toten Musikers zu Ehren. Auf Englisch ist inzwischen Band vier erschienen, «The April Dead». Bei den Ausflügen in die Musikszene im dritten Roman profitiert der Autor spürbar von seinen entsprechenden Kenntnissen: Der Schotte war viele Jahre in London bei großen Plattenfirmen tätig, bevor er mit 54 Jahren seinen ersten Roman veröffentlichte. Es war der bekannte schottische Autor John Niven (»Kill your friends«, »Die F*ck-it-Liste«), mit dem er befreundet ist, seit sie in London bei einer Plattenfirma zusammengearbeitet haben, der ihn dazu ermuntert hatte.

Die Geschichte um das verschwundene Mädchen in seinem dritten Roman wird für McCoys Widersacher nicht zum Triumph, den er sich vorgestellt hatte, sondern endet in einem katastrophalen Fiasko. Aber auch McCoy kann mit seinen eigenen Fällen nicht brillieren. Die Drogengeschichte um den Rockstar führt in seinen eigenen Freundeskreis. Und auch beim Drahtzieher der Banküberfälle kommen ihm die eigenen privaten Beziehungen in die Unterwelt von Glasgow in die Quere – sein ältester Freund steht höchst aktiv auf der anderen Seite des Gesetzes.

McCoy ist ein Cop, der eher zufällig auf der »richtigen« Seite des Gesetzes gelandet ist, der zu viel trinkt und dem es wichtiger ist, das Richtige zu tun als Gesetze durchzusetzen. »Mag sein, dass du ein Wichser bist, aber ein guter Mensch bist zu trotzdem«, sagt ihm ein junger Kollege. Dieses Muster ist in der Kriminalliteratur weder neu und noch besonders originell. Doch Parks wird von Roman zu Roman besser als Erzähler, bei aller Härte und Brutalität zeigt er Sinn für trockenen Humor, und er bietet mehr als nur spannende Unterhaltung. Auch sein Blick zurück in die Siebziger ist aufschlussreich. Unter anderem auch, was Frauen bei Polizei angeht. »Ich hatte eigentlich gehofft, mehr machen zu dürfen als Tee und gute Miene zum bösen Spiel, während die anderen beleidigende Witze reißen«, beklagt sich etwa eine junge Kollegin, die bei den Ermittlungen nicht mitmachen darf, sarkastisch bei McCoy und fügt an: »Ach ja, ich darf mich um die betrunkenen Frauen in den Zellen kümmern, die nichts für ihre Monatshygiene dabeihaben, das war natürlich schon immer mein Lebenstraum.«

Alan Parks: Bobby March forever (Bobby March Will Live Forever, 2020). Aus dem Englischen von Conny Lösch. Heyne Hardcore/Wilhelm-Heyne-Verlag, München 2021. 427 Seiten, 16 Euro.

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