Geschrieben am 1. Juni 2019 von für Crimemag, CrimeMAg Juni 2019

Bloody Chops – Bücher kurz serviert – Juni 2019

Bücher kurz serviert

Kurzbesprechungen von fiction und non fiction. Joachim Feldmann (JF), Alf Mayer (AM), Frank Rumpel (rum), Iris Tscharf (IT) und Thomas Wörtche (TW) zu:

Theodor Fontane, Birgit Weyhe: Unterm Birnbaum
Caryl Férey: Die Gewissenlosen
Matthias Gnem: Salzhunger
Bear Grylls: Burning Angels – Jagd durch die Wildnis
Florian Harms: Versuchung
Jung-Hyuk Kim: Dein Schatten ist ein Montag
Tea Krulos: Apocalypse Any Day Now
Jörg Maurer: Am Tatort bleibt man ungern liegen
Mike Nicol: Sleeper
Kurt Palm: Monster
Georges Simenon: Maigret im Haus der Unruhe

Alle Qualitäten bereits da

(TW) Im Zuge der großen, neuen Maigret-Ausgabe bei Kampa gibt es jetzt als deutsche Erstausgabe Georges SimenonMaigret im Haus der Unruhe zu lesen, einen Proto-Maigret von 1932, der damals noch unter George Sim erschienen war. In einem ausführlichen Nachwort – exklusiv bei uns im letzten CrimeMag – geht Verleger Daniel Kampa der Genese der Maigret-Figur in Simenons gewaltigen Gesamtwerk nach und verheddert sich, bei aller Gelehrsamkeit, in den Simenon´schen Automystifikationen (ich mag diese Art der selbstentblößenden Selbsttarnung oder selbsttarnenden Selbstentblößung, die Simenon so grandios beherrschte – so könnte  man heute auch mit den sozialen Medien umgehen), so dass die einzige autoritative Instanz letztlich der Text ist. Und der hat schon alle Grundelemente der Figur – Name, Statur, Gepflogenheiten, die Ermittlungsmethode.

Ebenfalls schon vorhanden die Qualitäten, mit ein paar Strichen Atmosphäre zu schaffen, Menschen zu skizzieren, ein kleines Soziotop – wie später so oft – eine Hausgemeinschaft zu sezieren und krude psychische Dispositionen und Obsessionen als völlig menschlich erscheinen zu lassen. Das alles ist in nuce da, Maigret konnte von dieser Basis aus seinen weltliterarischen Durchmarsch starten. Der etwas wirre Plot (Doppelgängerin und so) ist noch ein wenig arg an den Haaren herbeigezogen, resp. wurzelt noch ein bisschen in Simenons routinierten Kolportageromanen, aber bof, man liest das erfreulich schmale Bändchen ja eher aus philologischem Interesse und das wird schließlich vergnüglichst bedient.

  • Georges Simenon: Maigret im Haus der Unruhe (La maison de l’inquiétude). Aus dem Französischen von Thomas Bodmer. Mit einem Nachwort von Daniel Kampa. Kampa Verlag, Zürich 2019. 224 Seiten, Pappband mit farbigem Vorsatz, 16,90 Euro.

Bedrückende Hommage an Joe Strummer

(IT) Irgendwann ist alles vorbei, das weiß Mc Cash. Er hat kein Problem damit, langsam das Leben loszulassen, die letzten Lebensmonate haben längst begonnen. Er verharrt in Erinnerungen an seine Jugendzeit, seine Liebe, an die Musik von The Clash. Bald wird er blind sein, die schwarzlederne Augenklappe erinnert ihn täglich daran. Er schmeißt seinen Job hin und überlegt, ob die 38er ihm zu einem schnelleren Ende verhelfen soll. Doch dann holt ein Brief seiner verstorbenen Geliebten die Vergangenheit als Ex-Cop hervor und erinnert ihn an die Gegenwart: Er hat eine achtjährige Tochter. Alice. Um sie zu sehen, solange das noch möglich ist, macht er sich auf in das kleine Dorf, in dem das Mädchen wohnt.

Düster beginnt die Geschichte, scheinbar ruhig und bedächtig wartet Mc Cash auf das Ende des Lichts. Doch sie entwickelt sich in eine wutentbrannte Story, die durch Songtitel von The Clash begleitet wird. McCash findet zwischen Schmerzen und Wahnvorstellungen eine Kinderleiche – und bei kindlichen Opfern sieht der Ex-Cop Rot. Während die Polizei ihn ins Visier nimmt, rückt seine Tochter ins Zentrum einer großen dunklen Machenschaft, die Mc Cash bis nach Marokko führt. Dort kommt eine ganz andere Seite von ihm zum Vorschein, eine, die nichts mit Aufgeben und Verharren zu tun hat, eine, die an das linke Bein von Joe Strummer erinnert, den Kopf der Band The Clash, der es bei seinen Auftritten immer hart aufstampfen ließ. Die Geschehnisse geben Mc Cash noch einmal Auftrieb und lassen ihn wütend – oder stampfend wie Joe Strummer – alles niedertrampeln, was seine Tochter gefährdet. Denn sie ist seine einzige Hinterlassenschaft an die Welt, wie ihm klar wird.

Mc Cash ist trotz Schicksals kein Typ, der Mitleid geschenkt bekommt. Er ist ein Antiheld, ein einsamer Wolf, der einäugig durch graues Land zieht und Spuren düsterer Atmosphäre hinterlässt. – Alles im Leben hat irgendwann ein Ende. Dieser Gedanke ist beim Lesen immer anwesend, begleitet eine zwischendurch sehr gewalttätige Geschichte, die aber vor allem eines ist: bedrückend. Und immer düsterer wird, wie das erlöschende Augenlicht von Mc Cash.

  • Caryl Férey: Die Gewissenlosen (La jambe gauche de Joe Strummer, 2007). Aus dem Französischen von Michaela Meßner. Limes Verlag, München 2018. 240 Seiten, 20 Euro.

Dunkelschöpfung 

(AM) „Vor dieser Schwärze kann dich keiner retten.“ Birgit Weyhe findet starke Bilder, um die 1885 zuerst in der „Gartenlaube“ erschienene Novelle Unterm Birnbaum von Theodor Fontane als Graphic Novel zu erzählen. Sie ist neben „Grete Minde“ (1879), „Ellernklipp“ (1881) und „Quitt“ (1890) eine der vier expliziten Kriminalerzählungen des Dichterfürsten, der dieses Jahr 200jähriges Jubiläum hat (unser Autor Peter Münder dazu hier und hier). 

Erzählt werden Geschichte, Motiv und Vertuschung eines von einem Ehepaar gemeinsam begangenen Raubmordes. Fontane als „Lausedichter“ verarbeitet Kindheitserinnerungen – sein Vater hatte als Mitglied der Bürgergarde von Swinemünde mit ähnlichen Fällen zu tun. Obwohl die Täter und ihre Motive von Anfang an bekannt sind, hält die Erzählung ihren Spannungsbogen, schildert Dorfleben und Milieu, Verdächtigungen und Phantasien genau. „Meine ganze Produktion ist Psychographie und Kritik, Dunkelschöpfung im Licht zurechtgerückt“, zitiert Detelef Wittkuhn den Dichter im schön kompakten Nachwort.

  • Theodor Fontane, Birgit Weyhe: Unterm Birnbaum. Reihe Die Unheimlichen, hrsg. von Isabel Kreitz. Carlsen Verlag, Hamburg 2019. 80 Seiten, 12,80 Euro.

Werkzeuge der Phantasie

(JF) Mit Keilwinkelschneider, Kugelpunze, Schwingläppel und einem beidseitigen Abschlagsbohrer lässt sich so allerhand anrichten.  Nimmt man noch den Löffellagerschredder hinzu, steht einer erfolgreichen Laufbahn als Tüftler im metallverarbeitenden Gewerbe nichts mehr entgegen. So sollte man zumindest meinen. Doch der junge Swiff Muggenthaler macht andere Erfahrungen. Vielleicht liegt es daran, dass manche der hier genannten Werkzeuge der Phantasie seines Schöpfers entsprungen zu sein scheinen. Forscht man im weltweiten Netz beispielsweise nach besagtem Löffellagerschredder, lenkt einen die allmächtige Suchmaschine direkt zu Seite 80 des neuen Romans von Jörg Maurer, der wie seine elf Vorgänger mit einem launigen Titel aufwartet.

Am Tatort bleibt man ungern liegen heißt es auf dem Bayrisch Hellblau gehaltenen Cover des als „Alpenkrimi“ nur sehr unzureichend gekennzeichneten Buches. Wer jemals auf die Idee gekommen ist, neumodische literarische Verfahren würden abschreckend auf weite Käuferschichten wirken, kann sich hier eines Besseren belehren lassen. Ein auktorialer Erzähler, der auf eine ordentliche Chronologie der Handlung pfeift, Figuren, die eigentlich in andere Werke der Weltliteratur gehören, und gewagte Sprachbilder sind offenbar kein Bestsellergift. Das lässt hoffen. 

Jörg Maurer: Am Tatort bleibt man ungern liegen. Alpenkrimi. Scherz Verlag, Frankfurt 2019. 373 Seiten, 16,99 Euro.

Von eigener Anschauung gesättigt

(AM) Eigentlich ist der Zürcher Matthias Gnehm Architekt. Wenn ich richtig zähle, ist Salzhunger seine sechzehnte Graphic Novel, auch der zweibändige „Tod eines Bankers“ gehört dazu. 1998 gab es als einen seiner ersten Auftritte das Szenario „Tod des Sisyphus“ als Entwurf für einen Kurzfilm, 20 Jahre später ist er als Künstler absolut auf der Höhe seiner Kräfte – und ein veritabler Filmszenarist dazu. Man merkt das jeder Szene und jeder Sequenz seines begeisternd erzählten Comics an. 

Fast hört man beim Betrachten eine Filmmusik pulsen, soviel Drive und Feeling hat die wie ein Thriller erzählte Geschichte. Hauptfigur ist der Dokumentarfilmer Arno, der an einem Film über „Die globalen Auswirkungen der ungebremsten Rohstoffausbeutung“ arbeitet, mit einer Umweltaktivistin und einem nigerianischen Blogger in Lagos nach Beweisen für die umweltschädigenden Geschäftspraktiken des global tätigen Rohstoffriesen Boromondo sucht. Anders als der sperrige Filmtitel vermuten lässt, geht es hier sinnlich und anschaulich zu. Gnehms kraftvolle Bilder sind erkennbar von Lebenswirklichkeit gesättigt. Im Nachwort bedankt er sich bei seiner Frau, die ihm die lebensgefährliche Recherche im Slum Otodo Gbane der 20-Millionen-Stadt Lagos verzieh. Den ehemaligen Bewohnern dieser Vorhofhölle ist das Buch gewidmet.

  • Matthias Gnehm: Salzhunger. Thriller. Edition Moderne, Zürich 2019. Graphic Novel, Format 17 x 24 cm, Broschur. 224 Seiten, durchgängig farbig, 32 Euro.
SLEEPER von Mike Nicol

Tummelplatz für Agenten

(rum) Um internationalen Terrorismus, einen maroden Staat und wild agierende Geheimdienste geht es in Mike Nicols neuem Politthriller Sleeper. Unter anderem. Der Surfer, Grasdealer und Privatdetektiv Fish Pescado hat es mit einer Klientin zu tun, die nach Ansicht der Polizei ihren Freund ermordet hat – den südafrikanischen Energieminister. An der Sache ist auch Fishs Nachbar, der Polizist Flip Nel dran. Der gerät bei den Ermittlungen allerdings derart unter Druck, dass er sich mit einem Anker am Bein von Fishs Boot ins Meer stürzt, ihm jedoch eine Nachricht zu dem Fall hinterlässt. Fishs Klientin verschwindet. Und als Fish der Sache nachgeht, merkt er, dass das Ganze doch eine ziemlich große Nummer zu sein scheint. Seine Freundin, die Anwältin Vicki Kahn, wird von ihrem alten Arbeitgeber, dem Inlandsgeheimdienst rekrutiert. Anscheinend haben iranische Agenten Kontakt zum Energieministerium. Es scheint um einen Deal mit hochangereichertem Uran zu gehen. Die CIA mischt mit und auch der zwielichtige Agent Mart Velace hat seine Finger im Spiel. In Südafrika tummeln sich die Agenten. 

Wunderbar locker und zugespitzt erzählt Nicol von den geheimdienstlichen Deals und Rochaden, deren Intrigen und gegenläufigen Interessen. Und ganz nebenbei packt er die große Politik mit ein, erzählt von Korruption und skrupellosen, die Demokratie aushöhlenden Seilschaften, von schmutzigen Geschäften und wirtschaftlichen Abhängigkeiten. Elegant: Fishs Mutter fädelt als gewissenlose Geschäftsfrau die großen Deals ein – in den vorangegangenen Büchern mit China, nun mit Russland. Sie erwähnt diese Geschäfte in Telefongesprächen mit Fish, der dafür stets Hintergrundinfos beschaffen soll. Der in Kapstadt lebende Autor macht aus all dem eine breit aufgefächerte, dennoch tiefenscharf und spannende, aber nie überhitzte, sondern gut nachvollziehbare Geschichte, in der auch alle vorherigen Romane anklingen. Mit jedem Buch verbindet er sie weiter zu einer mit bissigem Humor gespickten Erzählung über das heutige Südafrika. Überragend. 

  • Mike Nicol: Sleeper (2018). Aus dem südafrikanischen Englisch von Mechthild Barth. Btb Verlag, München 2019. 512 Seiten, 10 Euro. 

Actionthriller mit Tarnmuster

(IT) Er ist Brite. Er ist Ex-Elitesoldat. Er ist Survivalspezialist und Dokumentarfilmer. Die Rede ist von Autor Bear Grylls, der in seiner Reality-Show seine Teams Survival-Szenarien bestehen lässt oder sich selbst in seiner Sendung in Extremsituationen bringt. Kein Wunder also, dass er auch von seinen fiktionalen Figuren in der Will-Jaeger-Reihe alles abverlangt.

Im zweiten Band dieser Reihe Burning Angels – Jagd durch die Wildnis hofft Ex-Elitesoldat Will Jaeger noch immer seine entführte Frau und seinen Sohn lebend zu finden. Doch der Gegner ist nicht nur mächtig und gerissen, sondern forscht an einem tödlichen Virus und arbeitet am Aufbau des „Vierten Reiches“.

Leider ist die Tarnung des Aufbaus nur allzuschnell aufgeflogen, denn der zweite Band scheint einem bewährten Muster zu folgen. Wie schon der erste Band „Ghost Flight – Jagd durch den Dschungel“ beginnt auch der zweite mit Folter. Aber wenigstens ohne Waterboarding. Ein Flugzeugwrack aus dem Zweiten Weltkrieg spielt wieder eine Rolle, nur dass es dieses Mal nicht im Dschungel verschollen ist, sondern in einer Höhle in Tansania versteckt ist. Tiere kommen auch vor, nur etwas größer, breiter und bunter als im ersten Band, auf afrikanische Art: Löwen, Leoparden, Nilpferde, Hyänen. Gefährliche Absprünge. Check! Gefährliches Terrain! Check! Misstrauen im Team! Check! Check!

Grylls scheint einem Bauplan zu folgen, der trotz des leichten Erkennens dieses Musters dennoch unterhaltsam, rasant und vor allem actiongeladen zu lesen ist. Kämpferische Szenen, in denen es um Leben und Tod und überhaupt um die Rettung der Welt geht, wechseln sich mit interessanten Hintergründen wie Wilderei in Afrika, Informationen zum Flugzeug BV222 und Actionszenen ab. Trotz des bewährten Aufbaus darf man hoffen, dass dieses Tarnmuster nicht wiederholt wird und der dritte Band von diesem abweichen wird. Denn wenn wir als Leser wohl eines von Jaeger lernen sollen, dann: Überraschung ist alles.

  • Bear Grylls: Burning Angels – Jagd durch die Wildnis (Burning Angels, 2016). Band 2 der Will-Jaeger-Reihe. Aus dem Englischen von Marco Mewes. Harper Collins Germany, Hamburg 2019. 478 Seiten, 10,99 Euro.

Kaninchenragout in Knoblauch-Rosmarin-Sud

(AM) In seinem „Tagesanbruch“ gibt Florian Harms, Chefredakteur der Berliner Redaktion von t-⁠online, täglich einen Überblick über die politische Lage in Deutschland und der Welt und empfiehlt besondere Artikel aus verschiedenen Medien. Mit Versuchung reiht er sich ein in Legion all jener Journalisten, die sich irgendwann auch einmal zu einem Kriminalroman berufen fühlen. Allerdings liefert er – pardon the pun – mit seinem Kulinarik-Thriller keinen Dünnpfiff ab. Seine Story über die Jagd nach dem perfekten Geschmack – genauer, nach einer bisher unbekannten sechsten Primärgeschmacksform, neben süß, sauer, salzig, bitter und unami – ist erlebnisreich wie eine Abenteuertour durch einen orientalischen Basar. Damit kennt Harms sich, der in Freiburg und Damaskus Islam- und Politikwissenschaft studierte, tatsächlich aus. Zusammen mit dem Fotografen Lutz Jäkel veröffentlichte er bereits 2004 den Textbildband „Kulinarisches Arabien“, die Liebe zum Orient und dessen Küche hat ihn nie wieder losgelassen.

Himmel, Erde, Hamburg lauten die ersten drei Kapitelüberschriften. Nicht schlecht, solch eine Kombination. Viele exotische Städtenamen folgen: Marrakesch, Fès, Tunis,Tobruk, Tripolis, Damaskus, Aleppo. In die Erzählung eingewoben sind die Lebensgeschichten dreier arabischer Protagonisten: ein Koch im Marokko der sechziger Jahre, ein libyscher Hilfssoldat des deutschen Afrikakorps 1941 und eine Scharfschützin im libanesischen Bürgerkrieg. Harms Thriller ist prallvoll mit Sinneseindrücken. Die enthaltenen Inhaltsstoffe und Genussmittel alle aufzuschlüsseln wäre etwa so komplex wie, sagen wir, die Analyse einer Kaffeebohne. Zitat: „Im gemahlenen Zustand enthält solch eine durchschnittliche Bohne über sechshundert einzelne Aromastoffe. Jeder dieser Stoffe riecht beziehungsweise schmeckt anders als die anderen. Aber erst, wenn genügend dieser unterschiedlichen Stoffe aufeinandertreffen, tritt die Wirkung ein.“ – So kann man einen Thriller auch beschreiben. Rezepte zum Nachkochen auf der Website des Autors.

Florian Harms: Versuchung. Benevento Verlag, Salzburg-München 2019. 448 Seiten, 20 Euro.

Böses Buch in guter Absicht

(JF) Am Ende kommt die große Flut. Und weil es keinen Gott gibt, der aus  Enttäuschung über seine Kreaturen einen neuen Versuch wagen möchte, trifft es alle gleich: die Bösen und die Guten, die Liebenden und die Hassenden, die Gerechten und die Ungerechten. Am Werk ist nämlich der österreichische Autor Kurt Palm, der schon einmal  eine sündige Ortschaft himmlischen Wassern übereignet hat (CrimeMag-Kritik hier). Diesmal aber nimmt die Katastrophe ganz andere Dimensionen an, vielleicht sogar globale, denn aller Wahrscheinlichkeit nach ist es ein Killerasteroid, der das, was man als menschliche Zivilisation bezeichnet, mit fürs Erste beendet. 

Doch bis es soweit ist, bleiben knapp 300 Seiten, um in Monster die verkommene Gesellschaft rund um den fiktiven Rottensee und die ebenso erfundenen Natternberge in all ihrer Hässlichkeit zu porträtieren. Alte und neue Nazis, skrupellose Profitgeier, korrupte Politikerinnen – Palm präsentiert ein Gruselpanoptikum der ganz besonderen Art, dessen Parallelen zur österreichischen Wirklichkeit unbedingt beabsichtigt sind. Ein lesbisches Vampirpärchen und ein Monsterfisch komplettieren den satirischen Genremix. 

Einfallsarmut lässt sich dem Autor also keinesfalls vorwerfen. Und in guter Absicht ein böses Buch zu schreiben, ist lobenswert. Stilistisch ist der Roman allerdings recht brav geraten. Die Dialoge sind oft rechtschaffen schlicht, die Charakterisierungen direkt und die Haltung des Erzählers erklärend. So wandelt sich die wüste Groteske unter der Hand zu einem Stück hochmoralischer didaktischer Literatur. Das aber muss man mögen. 

  • Kurt Palm: Monster. Deuticke Verlag, Wien 2019. 301 Seiten, 21 Euro.

Be prepared

(AM) Absolut tauglich als Hintergrundbuch zu „Berlin Prepper“ von Johannes Groschupf (Besprechung von Ute Cohen in dieser CrimeMag-Ausgabe), lässt uns der Freelance-Journalist Teo Krulos aus Milwaukee, Wisconsin, in Apocalypse Any Day Now an seinen Recherchen in der Welt der Weltuntergangs-Gläubigen teilhaben. Im Vorwort erinnert er an die „Doomsday Clock“ der Wissenschaftler, die an der Entwicklung der ersten Atombombe mitgearbeitet hatten. Ihre Zeitschrift, das „Bulletin of the Atomic Scientists“, veröffentlichte ab 1947 eine symbolische Uhr, die anzeigte, wie weit es noch bis zur dunklen Mitternacht war, dem Zeitpunkt der völligen Auslöschung der Erde. Heutzutage berücksichtigt diese unablässig vorrückende Uhr auch Faktoren wie Klimawechsel, Chemie- und Biotechnologien und andere potentiellen Massenvernichtungsmittel. Nur selten gab dieses Zifferblatt der Menschheit mehr als eine Viertelstunde. 1991, beim Ende des Kalten Krieges, wurde sie bisher am weitesten zurückgestellt – nämlich auf 17 Minuten vor Schlag Zwölf, 1984 hatte die Uhr schon auf 3 vor 12 gestanden. Im Januar 2015 war dieser gefährliche Stand wieder erreicht. Mit der Amtsübernehme von Donald Trump rückte die Uhr um weitere 30 Sekunden vor. Und seit dem 1. Januar 2018 stehen wir nach Ansicht der Wissenschaftler nur noch zwei Minuten von der Auslöschung entfernt. Die Welt ist wieder dort, wo sie 1953 stand, als die Sowjetunion ihre erste Wasserstoffbombe zündete, ganz nah am Abgrund. Die Bombe tickt.
Eine gewisse Sorte Menschen, die das große Ticken hören, sind die Prepper. Sie bereiten sich auf „TEOTWAWKI” vor —the end of the world as we know it, das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Tea Krulos hat sie quer durch die USA besucht, ihre Subkultur ist so vielfältig wie die Spekulationen über den Weltuntergang. Er besucht Luxus-Bunker, umgebaute Raketensilos, wahnwitzige Vorratslager und Erdhöhlen, trifft Lächerliches und Fürchterliches, campt mit der „Zombie Squad“, nimmt in Kalifornien am Wasteland Weekend teil, der weltgrößten post-apokalyptischen Veranstaltung. Er trainiert seine Survival Skills, hört sich Vorträge und Ratschläge an, führt uns in eine Welt, die – „Leave no trace“ – die Abgeschiedenheit sucht oder sich hinter tonnenschweren Stahltüren verschanzt. Das Buch schließt mit einer Liste angekündigter Apokalypsen, die wir alle bereits überlebt haben. Weiterführend dazu auch Lynda Kings „Preppers: History and the Cultural Phenomen“ (2014), erschienen bei der Prepper Press, einem ganz aufs Überleben ausgerichteten Verlag.

  • Tea Krulos: Apocalypse Any Day Now. Deep Underground with America’s Doomsday Preppers. Chicago Review Press, Chicago 2019. Trade paperback, 236 pages, $ 16.99.

Schöne Variation

(TW) Ein liebenswürdiger l’art pour l’art-Krimi kommt aus Südkorea: Dein Schatten ist ein Montag (dt. von Paula Weber, Cass Verlag) von Jung-Hyuk Kim. Der wunderliche Privatdetektiv Dongchi Gu residiert in einem eher streng riechenden Gebäude voller seltsamer Käuze und betätigt sich hauptsächlich als Deleter, also als jemand, der für seine Kundschaft unschöne Spuren des Daseins, sei´s der analogen oder mehrheitlich digitalen Art, verschwinden lässt. Meist geht es denn Kunden darum, den guten Ruf post mortem zu bewahren, wer möchte schon, dass die Erben auf dem Computer unschöne Seiten finden oder anrüchige Korrespondenzen. Gu gilt als diskret und absolut skrupellos, was gesetzliche Vorschriften und ähnliche lästige Dinge betrifft. Und so könnte das Leben schön sein, wenn nicht Gu doch einen vergifteten Auftrag angenommen hätte, für den er eigentlich nur ein verschwundenes Tablet wiederbeschaffen soll. Dann wir auch noch ein guter Freund ermordet und aus dem kleinen Fall wird ein ganz großes Ding, mit Gangstern, Pornographen, schönen Frauen und fiesen Immobilienhaien.  

Das hört sich nach einem klassischen PI-Roman der Chandler-Schule an und ist ein klassischer PI-Roman der Chandler-Schule, zeitgeistig angepasst und eben Korean Style. Und genau das macht das Buch so vergnüglich und charmant – die Transformation eines Modells in eine andere Gesellschaft, wobei diese andere, also die koreanische Gesellschaft,  genau so transparent wird wie die amerikanische von Chandler. Auch das historische Spatium überlebt diese Operation glänzend – man hat das Modell schon tausendmal gelesen, aber diese spezifische Variante eben noch nicht, was natürlich nur von einem westlichen Point-of-View aus gilt, die koreanische Rezeption würde mich schon interessieren. Aber eben: Variatio delectat.

  • Jung-Hyuk Kim: Dein Schatten ist ein Montag. Deutsch von Paula Weber. Cass Verlag, Bad Berka 2019. 287 Seiten, 20 Euro.

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