Bloody Chops
– heute als Häppchen zerlegt: Arne Dahl und Buddy Giovinazzo von Joachim Feldmann (JF) und Thomas Bodström von Thomas Wörtche (TW).
Kolportage à la mode
(JF) Beim Showdown in den Räumen einer Berliner Bank fließt reichlich Blut. Dabei geht der Schnitt, mit dem ein wahnwitziger Finanzcoup verhindert wird, nicht in menschliches Fleisch, sondern trennt schlicht ein Kabel durch, das eine Tastatur mit einem Computer verbindet. Angesichts der komplexen Handlung, mit dem Arne Dahls Thriller „Gier“ seine Leser rund 500 Seiten lang in Spannung hält, ist diese Lösung verblüffend simpel. Zumal das Resümee des schwedischen Kriminalisten Paul Hjelm, der seit neuestem einer geheim operierenden Gruppe europäischer Polizeibeamter vorsteht, ziemlich ernüchternd ausfällt: „Im Großen und Ganzen haben wir keinen einzigen Schurken geschnappt.“
Internationalen Wirtschaftsverbrechern, die auch vor gewöhnlichen Morden nicht zurückschrecken, ist eben nicht leicht beizukommen. Also wird es bald einen zweiten Auftritt des bunten Ermittlerkollektivs geben, das die gewöhnlichen Verständigungsprobleme innerhalb der Europäischen Union auf ganz individueller Ebene ausagiert, während es bestens vernetzten Finsterlingen Paroli bieten soll. Arne Dahls „Gier“ gehört zu jenen Thrillern mit politischen Ambitionen, deren eigentliches Vorbild der Kolportageroman des 19. Jahrhunderts ist. Ein gewagter, aber sicher konstruierter Plot wird auf sprachlich und erzählerisch eher schlichte Weise präsentiert. Unterhaltsam ist das allemal. Und außerdem ein sicheres Erfolgsrezept, wie man bald an den Verkaufszahlen des Romans sehen wird.
Arne Dahl: Gier (Viskleken, 2011) Roman. Deutsch von Antje Rieck-Blankenburg. München: Piper 2012. 506 Seiten. 16,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch und zum Autor. Zur Krimi-Kolummne von Joachim Feldmann.
Etikettenschwindel
(TW) Aha, Thomas Bodström war also schon Fußballprofi, Anwalt und schwedischer Justizminister und ist Vater von vier Kindern. Das ist sicher klasse, aber leider kein Hinweis darauf, dass der Mann Romane schreiben kann. Kann er nämlich nicht. „Das Elfte Gebot“ (das eigentlich heißen müsste: „Du sollst innehalten, angeblich nach dämlichen Bibel-Titeln zu heischen, Buchmarkt! Und Du sollst solche bescheuerten Begehrlichkeiten nicht auch noch bedienen, Verlagslandschaft!“) ist so ein Chuzpe-Buch. Denn wer traut sich schon, eine stocklangweilige Geschichte von einem ermordeten Politiker zu erzählen, der nicht aus politischen Gründen weggeräumt wird, sondern aus ganz privaten und der selbst, müffmäh, müffmäh, auch kein Unschuldslamm ist. Das ist so brav runtergeschrubbt, wie die Figuren brav und redlich ihr Tagwerk tun und uns alles und jedes Detail erklären, weil Bodström alles weiß und dieses Wissen unbedingt mit aller Welt teilen will, als sei die ein gigantisches Facebook. Polit-Thriller? Nöööö! Ein simpler, nicht mal origineller Whodunnit mit Politikern drin und politisch korrekt bis zum Anschlag erzählt das Buch eine Geschichte, die man auch mit Uncle Toby, einem malaiische Hackedolch und der Bibliothek von Filthmanor hätte erzählen können. Natürlich schielt das Teil auf Verfilmung, natürlich schielt es auf den „Polit“-Faktor – nach „Kommissarin Lund“ und „Borgen“/„Gefährliche Seilschaften“ – ist das nur logisch. Auch die Paratexte der deutschen Ausgabe insinuieren gnadenlos „Polit-Thriller“. Deswegen fängt man überhaupt an zu lesen und peu à peu kommt dann der große Frust. Ach ja …
Thomas Bodström: Das Elfte Gebot (Idealisten, 2009) Roman. Deutsch von Knut Krüger. München: Heyne 2012. 299 Seiten. 12,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch und zur Facebook-Seite von Thomas Bodström. Zu Rezensionen von Thomas Wörtche.

Zur Hölle
(JF) „Poesie der Hölle“ heißt die deutsche Ausgabe von Buddy Giovinazzos zweiten Roman „Poetry and Purgatory“ (1996). Ein Titel, der auch seinem Debüt von 1993, „Life Is Hot in Cracktown“, das Pulp Master just in einer neuen, mir sehr gelungen scheinenden Übersetzung vorgelegt hat, gut zupass käme. In sechzehn lose miteinander verknüpften Erzählungen entwirft der seit langem auch in Berlin ansässige amerikanische Filmemacher und Autor das Bild einer von Drogensucht und exzessiver Gewalt verheerten Gesellschaft, aus der es auch für die wenigen, die noch von einem „anständigen Leben“ träumen, kein Entkommen gibt. Wer in „Cracktown“, so der schlichte deutsche Titel, zur Welt kommt, ist schon verloren.
Giovinazzo erzählt vom Leben und Sterben in einem Stadtteil, für den das schöne deutsche Wort „sozialer Brennpunkt“ wie ein höhnischer Euphemismus wirkt, auf brutal-sachliche Weise. Satz für Satz manifestiert sich die Übermacht des Faktischen, und es entsteht eine Prosa von beinahe lyrischer Qualität. Und es ist eben diese Verwandlung einer schrecklichen Realität in Poesie, welche die Lektüre dieses aufregenden Buches zu einer sehr ambivalenten moralischen Erfahrung werden lässt.
Eher emotionales als soziales Elend dominiert in Giovinazzos neuem Roman „Piss in den Wind“, der zeitgleich mit „Cracktown“ erscheint. Fotografiedozent James Gianelli leidet unter Verlassensängsten. Deshalb reagiert er hysterisch, als seine ehemalige Freundin Karen nach eineinhalb Jahren Nebeneinanderherlebens auszieht. Dann liegt da plötzlich ihre Leiche. Und der Psychotiker James kann sich an nichts erinnern. Hat er Karen erwürgt? Alles spricht dafür, und so lässt er die Leiche samt Auto im Meer verschwinden. Wider Erwarten taucht zunächst kein Polizist bei ihm auf. Aber James hat schon bald eine neue Freundin, Dominique. Doch die ist schon tot. Er selbst hat die übel zugerichtete Leiche der Gelegenheitsprostiuierten fotografiert, als sie aus dem Wasser gezogen wurde. Nun muss er sich auf ein Leben einrichten, in dem Vergangenheit und Gegenwart, Illusion und Realität eine unheilvolle Allianz eingehen.
„Piss in den Wind“ ist ein Musterbeispiel für einen ebenso respektvollen wie ironischen Umgang mit der ästhetischen Tradition des Noir. Und das zeigt sich auch im Detail. „Wir gingen nach unten und sahen fern – in Farbe!“, heißt es an einer Stelle. Ein sehr merkwürdiges Ausrufezeichen in einem Roman, der in unserer Gegenwart zu spielen vorgibt. Aber wahrscheinlich lief gerade Hitchcocks „Vertigo“.
Buddy Giovinazzo: Cracktown. (Life Is Hot in Cracktown, 1993). Roman. Deutsch von Angelika Müller. 206. Seiten. Berlin: Pulp Master 2011. 12,80 Euro.
Buddy Giovinazzo: Piss in den Wind. (Caution to the Winds. 2009). Roman. Deutsch von Ango Laina und Angelika Müller. 247 Seiten. Berlin: Pulp Master 2011. 13,80 Euro. Verlagsinformationen zum Buch und Interview mit dem Autor. Homepage zum Film. Zur Krimi-Kolummne von Joachim Feldmann.