
Der Mörder auf deiner Couch
Da hat sie aber Glück gehabt, die Journalistin Susa, die, ehemals alleinerziehend, mit ihren drei Schulkindern in einem Bungalow in Berlin Grunewald lebt. Hat sie doch einen neuen Lover, Valverde, der sich nicht nur rührend um die Kleinen kümmert, ihnen selbst gemachte Tomatensauce zu den Spaghetti serviert, allerhand am Haus repariert und den Garten macht. Ganz verliebt turteln Susa und Valverde abends auf dem Sofa, sie ist fürs Geistige zuständig, er für den lästigen Alltagskram, den er seinem Herzgold gerne abnimmt, und der Sex scheint auch zu stimmen. Darüber hinaus sieht Valverde sich als Beschützer der kleinen Familie im großen Haifischbecken der Reichen und Neureichen in diesem Berliner Stadtteil, der droht, Stück für Stück an die Immobilienmafia zu fallen.
In ihrem Glück und ihrer intellektuellen Verve fällt Susa gar nicht auf, dass Valverde sie als niedliches Objekt vergöttert, in dessen Zickleinfüße und süßen Arsch er ganz vernarrt ist. Er behandelt sie eher wie ein Hündchen, fürsorglich zwar, doch nichts an ihr nimmt er wirklich ernst, weder ihre Arbeit noch ihre Musikvorlieben, sein Punkerle nennt er sie liebevoll, aber letztlich respektlos.
Über ihrer beider Vergangenheit haben sie einen Schweigedeal, was souverän klingt, aber auch dazu führt, dass Susa eine klitzekleine Kleinigkeit über ihren neuen Lover nicht weiß, nämlich das er die von der Zeitung so titulierte „Uckermark-Bestie“ ist, die fünf Frauen bestialisch ermordet und als barockes Kunstwerk drapiert, mit goldfarbenem Klebeband fixiert und mit Goldfarbe lackiert hatte. Sein Motiv: Gerechtigkeit. Auch Verbrecher haben schließlich Werte. In ihrer Faszination für True Crime kommt Susa immer wieder auf diesen Fall zu sprechen, und Valverde schlägt sich tapfer, seine Urheberschaft zu vertuschen.
Im Gegensatz zu Susa kennen wir Valverdes Vergangenheit und seine wahren Gedanken. Wir befinden uns auf seiner Realitätsinsel, sehen restlos alles durch Valverdes Brille und dürfen ununterbrochen dem Gedankenstrom eines Mannes lauschen, der von der Kriminalität die Nase voll hat und zurück in ein bürgerliches Leben will. Das Drogengeschäft ist versaut durch konkurrierende ethnische Banden, außerdem macht das Knie nicht mehr richtig mit und die Reserven neigen sich dem Ende zu. Valverde braucht dringend Geld, zumindest für den Strohhut zu siebenhundert Euro, in den Susa sich verguckt hat. Was also tun? Sich weiterhin als Gärtner und Fitnesstrainer verdingen? Oder vielleicht doch am ganz großen Rad drehen, ein Startup vielleicht, wo doch gefühlt jeder in Berlin gerade ein Startup hochzieht? So weit entfernt ist diese Möglichkeit gar nicht, denn alte Kontakte, aufgestiegen zu CEOs… ein befreundeter Journalist… eine kommunistische Hure… der Schokoladenfabrikant von nebenan, Deckname Xocolatl… das aufblühende Business mit Magic Mushrooms… und so weiter und so fort… endlos blubbert Valverde vor sich hin und versucht, Gelegenheiten klar zu machen. Mit ungefähr siebzigtausend Gedanken, die jeder Mensch durchschnittlich pro Tag denkt, kommt da einiges zusammen. Das Ganze in einem schnodderigen Plauderton, so wie ein autodidaktisch gebildeter Underdog halt denkt, teilweise deftig, aber auch eloquent, dekoriert mit aktuellen Wortschöpfungen. Eine literarische Sprache, die, äußerst unterhaltsam und in ganz eigener Ästhetik, mit einer schlichten poetischen Wucht glänzt und frische Inhalte serviert, die man so weder kennt noch erwartet hätte.
Angefangen mit der Art, den Aufbau der fünf Frauenleichen zu gestalten – als Kunstwerk mit den drei barocken Motiven der Vanitas, des Memento Mori und des Carpe Diem. Dafür muss man sich als Mörder ja schon ein bisschen auskennen. Wer Genaueres wissen will, sei verwiesen auf das Bändchen Berlin Noir, für das Ute Cohen eine Kurzgeschichte über diesen Mord beigesteuert hat. Weiter geht es mit Details über Kakao und Schokolade sowie die Verflechtung von Non Profit Organisationen mit dem großen Kakao-Business. Den Höhepunkt jedoch bildet ein Ausflug zu den Azteken und ein Exkurs über deren Restorative Justice, über die Valverde von seiner Susa aufgeklärt wird. Bei aller Gewalt, für die man die Vorfahren der Mexikaner kennt, versklavten sie doch nicht wahllos jeden. Nur Personen, die etwas verbrochen hatten, wurden zur Wiedergutmachung dem Geschädigten als Sklaven zur Seite gestellt. Auch hier wieder das Motiv Nichts ist nur schlecht, nichts ist nur gut, das sich durch Ute Cohens Romane zieht. Und das Thema der Gerechtigkeit begegnet uns in allen Kulturen.

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Valverde scheint immer am falschen Ort zu sein, denn all das, was er als Krimineller erlebt hat, findet er auch in der großbürgerlichen Welt von Grunewald: Lug und Trug, Ausbeutung und Sklaverei, Egoismus und Intrigen, harte Bandagen und Gewalt. By the way lernen wir durch ihn einige interessante Figuren kennen, inklusive zweier Kaninchen, immer unzensiert und frei Schnauze kommentiert von Valverde himself, der ja in seinem Kopf keine Zuhörer wähnt. Und wir merken: Letztlich hat der gute Mann die gleichen Sorgen und Probleme wie jeder andere auch. So fällt uns fast gar nicht mehr auf, dass wir en passant von Valverdes erstem Mord erfahren, den er bereits in seiner Jugend beging.
Die literarische Gattung der schwarzen Kapriole war mir bis dato kein Begriff, scheint mir aber höchst passend. Die Kapriole ist eine bekannte Figur aus der Pferdedressur, eigentlich ein Luftsprung („der höchste und vollkommenste von allen Sprüngen„, so François Robichon de la Guérinière in „Ecole de cavalerie„, 1783). Doch ohne das Dunkle, ohne die Abgründe geht es bei Ute Cohen nicht. Nichts ist nur gut, nichts ist nur schlecht. Und umgekehrt. Perversion des Guten ins Abgründige, Verwandlung des Abgründigen in ein braves Spießer-Dasein im Grunewald – beides funktioniert. Auch die brave bürgerliche Welt ist voller Schwärze, im Grunde gibt es keinen Unterschied zur Welt eines Verbrechers und Underdogs. Nur sieht man es erst bei einem Blick hinter die Fassaden, in die Gewächshäuser und hinter die vernagelten Kellerfenster. Schließlich haben die braven Bürger keine schlecht gemachten Tätowierungen als Erkennungszeichen.
Jedenfalls ist es höchst amüsant, den Gedankengängen, Alpträumen und Erlebnissen Valverdes zu folgen. Immer wieder kommt eine neue Volte des Geschehens daher, passend zu unseren modernen Zeiten. So gesehen ist „Falscher Garten“ auch ein Gesellschaftsroman, der aktuelle Trends in ein elegantes kleines Meisterwerk packt, und mit einer leisen, ausgefeilten Ironie restlos alles durch den Kakao zieht, was in Grunewald und im Rest der Welt gegenwärtig los ist.
Andrea Noack
Ute Cohen: Falscher Garten. Eine schwarze Kapriole. Septime Verlag, Wien 2022. Gebunden, Lesebändchen, 192 Seiten, 22,90 Euro.
Andrea Noack über Ute Cohens „Poor Dogs“ bei uns hier: Lockruf des Geldes, CrimeMag Juli 2020.
Ute Cohen mit ihren Texten bei uns hier.