Zum Museum of Old and New Art (MONA) außerhalb von Hobart, Tasmanien, gelangt man nur mit einer Fähre – großfleckig im military look mit Tarnfarben bemalt. 40 Minuten Fahrt durch den Hafen bis zur Halbinsel Berriedale, Lounge-Music, bemalte Tiger auf dem Deck als Sitzbänke, Champagner-Nischen vorab buchbar. Schon beim Ticketkauf und mehrmals an Bord wird man gefragt, ob man denn auch wirklich fit sei, 90 Stufen hochzusteigen. Dann legt die Fähre unterhalb eines Felsens an, breite Stufen eingehauen, Bänke zum Ausruhen auf den Treppenabsätzen, man hat das Gefühl, zu einer Tempelanlage hochzuschreiten. Dann steht man oben, Blick über die ganze Bay, Hobart hat eins der schönsten und größten natürlichen Hafenbecken der Welt, dreht sich um, Richtung Museum – und hat das elektrisierende Gefühl, mitten in mindestens drei James-Bond-Filmsets gleichzeitig zu stehen. Der Wahnsinn. (Bilder davon ganz unten)
Und da hat man noch keinen der fünf Stockwerke tief in den Sandstein gehauen Räume oder einen der irren Tunnels beschritten, noch nicht das vierstöckig über einer Klippe hängende Restaurant besucht … oder die Pläne für ein Museumshotel gesehen, das wie eine auf dem Kopf stehende Golden Gate Bridge wirkt.
Es ist der Production Designer Sir Ken Adam (5. Februar 1921 in Berlin; † 10. März 2016 in London; gebürtig Klaus Hugo Adam), der uns bei solchen Bildern und solcher Archtitektur als Referenz in den Kopf kommt. Bei über 70 Filmen verantwortete er das Szenenbild. Mit seinen spektakulären Sets hat er Filmgeschichte geschrieben. Noch viel zu wenige wissen, dass er seine Sammlung und seinen Nachlass 2012 der Stiftung Deutsche Kinemathek in Berlin überlassen hat. 2014 war ihm dort die Ausstellung „Bigger Than Life. Ken Adam’s Film Design“ gewidmet. Jetzt liegt im Verlag Taschen eine XXL-Monographie vor, in die ich vorab Einblick nehmen konnte. (In den nächsten Jahren, so ist die Verlagspolitik, wird es davon auch eine Volksausgabe geben.)

Christopher Frayling: The Ken Adam Archive. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinemathek, die seit 2012 Ken Adams persönliches Archiv beheimatet. Verlag Taschen, Köln 2013 . Hardcover, in changierenden Bicolor-Stoff gebunden, mit 4-Phasen-Hologramm. Format 36 x 36 cm, 3,88 kg, 360 Seiten, mit graviertem Buchständer aus Acryl. Edition von 1.200 nummerierten und von Ken Adam signierten Exemplaren. 850 Euro. – Verlagsinformationen: taschen.com
Ken Adams war nie in Tasmanien, das MONA stammt vom Melbourner Architekturbüro Fender Katsalidis, die Gründer Karl F. und Nonda K. haben deutsch-holländischen und griechischen Migrationshintergrund. Ihr Ensemble hat das entlegene Hobart auf die Landkarte geholt und aufgewertet, so wie es in Bilbao mit dem Guggenheim geschah. Dort hetzt Pierce Brosnan als James Bond 1999 in „Die Welt ist nicht genug“ denn auch vorbei. Welches Ei hier welcher Henne oder umgekehrt folgt, sei unbenommen. Baulich ist das Bundeskanzleramt in Berlin vielleicht nicht das beste Beispiel von architektonischer Seelenverwandschaft mit Ken Adam (vom Ideenreichtum her eher low budget), die Reichstagskuppel von David Chipperfield schon eher. In London ist das Gherkin, im Volksmund „die Gewürzgurke“ genannt, das vielleicht deutlichste James-Bond-Gebäude, seine Architekten sind Ken Shuttleworth und Norman Foster. Der hat kein Problem, den stil-bildenen Einfluss von Ken Adam zu benennen:
„Ken steht in der Tradition der großen theoretischen Visionäre. Ich denke an Giovanni Piranesi. Ken baut, was Piranesi vorausgesehen hat; ich denke an Étienne-Louis Boullée und die außerordentliche Kraft seiner Stiche und Zeichnungen. Diese legendären Architekten entwarfen und erträumten Gebäude und Welten von ungeheurer Kraft – Ken Adam baut sie. Er hat Kontrolle über Licht und Raum und Drama. Diese großen Höhlen, diese hohen Räume, dieser ehrfurchtgebietende awe-Faktor und aber auch das Böse, das sich in Räumen personifiziert, das ist Ken Adam. Er ist ihr Architekt. Er ist der Meister von Raum und Licht, er ist absolut überzeugend.
Die Filme, die er gestaltet hat, haben mich bewegt und begeistert. Er ist ein absoluter Meister dieser Traumwelten. Man glaubt, dass sie existieren. In der Geschichte der Architektur gibt es heroische Gebäude, groß im Maßstab wie der Turm von Babel, die nur zweidimensional als Zeichnung oder Gemälde existieren – oder wie bei Ken Adam als Film –, aber sie sind ebenso real, ebenso einflussreich und konkret wie gebaute Archtitektur, auch wenn es bei Ken ’nur‘ ein Filmset ist. Diese Räume, diese Bilder – ob es sich ein Versteck in einem Vulkan, einen Raum in einem Bunker, ein Auto wie den Aston Martin DB 5 oder Chitty Chitty Bang Bang handelt – sind in unser Gedächtnis gebrannt. Sie sind beständig, sie sind kraftvoll, sie sind räumlich, sie sind heroisch. Das ist ein gewaltig großer Verdienst.“
Auch der Architekt Daniel Libeskind stimmt zu:
„Meine Vorstellungswelt ist definitiv von den Filmsets Ken Adams beeinflusst und inspiriert. Am Anfang war mir das gar nicht klar, weil es unterschwellig geschah, dass die Welt von Ken Adam meine Erwartungen an Raum, Licht und Farbe ‚erhöhte’ und erweiterte. Ich bin der Ansicht, dass seine Filmbilder eine kulturelle Wirkung über die Filme hinaus haben. Gehen Sie heute in jede Büro-Lobby oder in irgendein Kulturgebäude, egal wo auf der Welt, auf Sie werden definitiv ein Echo der Filme von Ken Adams erleben.“
Der Architekturkritiker Richard Dorment ergänzt: „Ich bin mir sicher, das die Architekturgeschichte eines Tages zu den von Ken Adam entworfenen Tunnels und Shuttles der High-tech-Verstecke der Bond-Bösewichte deuten und sie als Prototypen für viele moderen Flughäfen, von Dulles in Washington bis Charles de Gaulle in Paris oder Changi in Singapur identifizieren wird.“ Schon für Kubricks „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ (Originaltitel: Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb, 1964) entwarf Ken Adam „elektrische Autos“, mit denen die Delegierten über die unterirdischen Flure des Pentagons zum „War Room“ transportiert werden sollten. Fahrzeuge wie Korridore wurden dann aus Kostengründen gestrichen.
Für mehr als 70 Filme, wie bereits gesagt, hat Ken Adam eine je eigene Welt erschaffen. „Bigger than life“ war dabei sein Motto. „Das Kino hat die Aufgabe, die Vorstellungskraft zu schärfen“, war er überzeugt. „Das zu erreichen, habe ich immer versucht.“ Er war einer der ersten Filmschaffenden, der im Abspann als „production designer“ ausgewiesen wurde, das geschah in einem Jahr, in dem er mit Jacques Tourneur, John Ford und Robert Aldrich arbeitete. Eine Oscar-Nominierung und einen Oscar später, schreibt der Filmhistoriker Christopher Frayling in dem hier besprochenen Buch, nach sieben James Bonds, zwei Filmen mit Stanley Kubrick und sieben mit Herbert Ross war er der allererste Szenenbildner (production designer), der für seine Verdienste um die Filmindustrie von der englischen Queen zum Ritter geschlagen wurde. Und er war ebenfalls der erste, dem eine Ausstellung in einem britischen Museum gewidmet war.
Einige seiner Film Sets gehören zu den logistisch aufwendigsten der Filmgeschichte, lange bevor es computer-generierte Bilder (CGIs) gab. Zur Realisierung seiner Entwürfe brauchte es Ingenieure, Statiker, Bauleiter, Maurer, Zimmerleute, Pflasterer und Stuckateure, Innenarchitekten, Polsterer, Ausstatter, Bühnenbildner und Handwerker vieler Gewerke, Budgetkontrolleure, Administratoren und Buchhalter – und eben einen Visionär, der das alles entwarf und beaufsichtigte. Das englische production designer finde ich dafür schöner und angemessener als das deutsche „Szenenbildner“. Dieser Begriff ist seit 1918 nachgewiesen und gebräuchlich, er entspricht dem Bühnenbildner beim Theater (englisch stage designer), hat aber sozusagen potentiell die ganze Welt zur Bühne.
Der große britische Filmregisseur Michael Powell schrieb in seiner Autobiografie: „Dem Publikum eines eines Film bleibt es weithin unbekannt und verborgen, dass das genuin kreativste Mitglied einer Filmcrew, wenn wir den Autor der Story und des Drehbuchs außer acht lassen, ganz klar der art director / production designer ist. Er ist der eigentliche Schöpfer dessen, was sich die von sich selbst so überzeugten Regisseure, Kameraleute und Produzenten zu eigen machen und an Ruhm reklamieren.“
Idealerweise, so sah es Ken Adam, verantwortet ein production designer alles in einem Film, was visuell ist: die Sets, die Locations, die Bauten, die Kostüme, den ganzen „Look“ eines Films. Er persönlich bevorzugte es, möglichst früh in ein Filmprojekt einbezogen zu werden, schon im Drehbuchstadium und zusammen mit Regisseur und Kameramann.
Christopher Frayling hebt darauf ab, dass für eine solche Arbeit Skizzen das allerwichtigste Werkzeug sind. Das zeige auch eine aktuelle Umfrage unter 16 führenden production designern, die das noch einmal bestätigt hätten. Aus den ersten Zeichnungen werden technische Zeichungen, story boards, Bau- und Lagepläne, Aufrisse, Modelle verschiedener Art, auch um Kamerawinkel und Licht zu testen, technische Drehpläne zu entwickeln und die Optik des Films vorzubereiten und einzurichten.
An diesem ganzen Prozess lässt das Buch in berauschender Vielfalt teilnehmen. So viel Blick hinter die Kulissen war selten. Auffällig ist – und auch Christopher Frayling thematisiert das –, wie oft unterirdische Räume bei Ken Adam ein starkes visuelles Thema sind. Man könnte fast von einer Fixierung sprechen. Die Hauptquartiere der Filmbösewichte variieren fast mythologisch Führerbunker und Reichskanzlei: Décor Noir, vom deutschen Expressionismus gesättigt, ein Echo von „Dr. Mabuse“ und „Das Cabinett des Dr. Caligari“ und den langen Schatten des Totalitarismus.
Frayling gegenüber – die beiden kannten sich so gut, dass der Filmhistoriker die Musikauswahl der Trauerfeier für Ken Adam übernahm – räumte er ein, zur Zeit seiner Bond-Filme in den 1960ern und 1970ern von den Hitlerbunkern besessen gewesen zu sein und sie immer größer gemacht zu haben. Auch habe ihn schon lange fasziniert, wie die geheimen Orte der Reichen und Mächtigen wohl aussehen, die zu betreten gewöhnlich Sterblichen nicht möglich sei. Diesen Orten Bilder zu geben, sie so real zu machen, dass ein Filmpublikum sie für wirklicher als die Wirklichkeit nehme, das sei ihm immer Ziel gewesen. Und wenn es gelang, eine überwältigende Form von Anerkennung.
Auf diese Weise hat Ken Adam Orte erschaffen, die sich in unserem kollektiven Gedächtnis festgesetzt haben – und unsere Wirklichkeit mitgestalten. Der Architekturhistoriker Donald Albrecht nannte ihn einmal „den Frank Lloyd Wright des décor noir“.
Das vielleicht schlagkräftigste Beispiel seiner Bild-Kraft ist der sogenannte „Kriegs-Raum“ (war room) aus dem Kubrick-Film „Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben“, für Steven Spielberg „bis heute der stärkste je geschaffene Film Set“. Dieser War Room ist einer jener Orte, die wirklicher als die Wirklichkeit geworden sind. So wie in ihm sitzen die Führungs- und Einsatzstäbe in Hunderten, ja Tausenden von Filmen und in unserer Phantasie bis heute im Bunker – während draußen der Weltuntergang droht.
Ronald Reagen, gerade frisch als Präsident der USA gewählt, wurde 1981 durch das Pentagon geführt.
„Und wo ist der War Room?“, wollte er wissen.
„Es gibt keinen, Mr. President“, erhielt er zur Antwort.
Alf Mayer

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