Geschrieben am 26. Juli 2008 von für Comic, Crimemag

A.Breccia/E.Breccia/H.Oesterheld: Che

Che Guevaras Leben als Bilderzählung

Keine abgedroschene und inhaltsleere Che-T-Shirt-Romantik, aber ein wichtiges, lange vergessenes Stück Literatur, das von hoch organisierten Bildern und Textsplittern lebt. Von Thomas Wörtche

Als 1968 die argentinischen Zeichner Breccia père et fils, Alberto und Enrique, zusammen mit dem Szenaristen Héctor Oesterheld ein Comic-Album mit dem Titel La vida de Che vorlegten, konnten sie noch nicht ahnen, dass vierzig Jahre später eine gewisse Rechtfertigungsrhetorik und eine Menge Kontextualisierung nötig sein würden, um den Strip in deutschen Buchläden politisch „unanstößig“ zu verkaufen. Eher ahnen konnten sie, dass auf ihrem Kontinent und in ihrer Zeit eine nicht verdammende Auseinandersetzung mit ihrem Landsmann Ernesto Guevara ihnen wirklich bedrohlichen Ärger einbringen konnte. Den Szenaristen und prominenten Intellektuellen Héctor Oesterheld hat sie 1978 das Leben gekostet. Er wurde von den Schergen der damaligen Junta zusammen mit seinen vier Töchtern und deren Ehemännern verschleppt und ermordet. In Perramus (1983 ff.), dem grandiosen opus magnum von Alberto Breccia (zusammen mit dem Szenaristen und Romancier Juan Sasturaín), gibt es ein paar wunderbare Hommagen und Reverenzen an Oesterheld, die Breccia und Sasturaín nicht unmaliziöserweise von Jorge Luis Borges vornehmen lassen, der doch im realen Leben die Militärdiktatur zunächst eher freudig begrüßt hatte …

Aber das nur nebenbei. Che Guevara wurde bekanntlich 1967 in Bolivien erschossen. Seinem Aufstieg zum globalen Mythos ging eine gewisse Stilisierung als pan-lateinamerikanischer Freiheitsheld voraus. Die tragische Dialektik der historischen Gestalt Guevara war noch nicht zu deutlich sichtbar. Umso erstaunlicher ist, dass der Che-Comic keine Hagiographie ist. Er ist natürlich auch keine Kritik – keine Grundsatzkritik an der kubanischen Revolution, keine Grundsatzkritik an Guevaras Verständnis von Menschenrechten, keine kritische Auseinandersetzung mit seinem Verhältnis zur Gewalt etc. etc. La Vida de Che ist eine Bilderzählung, deren enorme Popularität nicht nur in Argentinien (wo das Medium Comic sowieso zu den führenden Künsten gehört), sondern auch in Chile, in Mittelamerika, in Mexiko signifikanterweise nicht auf Simplifizierung beruhte. Alberto Breccia illustrierte die Biographie von Che – also seinen Weg vom argentinischen Mittelstandskind und späteren Arzt bis zum Politiker – als klassischen Abenteuer-Strip, aber eben mit den typischen kontrastiven Schwarz-Weiß-Irritationen, die ihn zu einem Virtuosen der Vieldeutigkeit gemacht haben. Ganz und gar unhagiographisch auch die Teile, die Enrique Breccia übernommen hat: Das Desaster in Bolivien, das schließlich zu Ches Tod führte, ausgeführt in großen schwarzflächigen Abstraktionen – das Desaster als logische Folge von Hybris, die Alberto Breccia in seinem Teil des Strips mit korrespondieren großen, schwarzen Flächen im Hintergrund vorbereitet hat: bei Guevaras Räsonieren über das Thema „Der Neue Mensch“. Pathos, gerechte Emphase, die Tyrannis des Weltverbesserers – all diese Dialektiken kann der Comic ohne aufwändige und komplizierte „Diskurse“ sinnfällig machen. Die Revolution als Utopie, als Chance, als realpolitische Option und als an den Verhältnissen und der conditio humana gescheitertes Projekt ergibt das Sujet eines Polit-Thrillers in hoch organisierten Bildern und Textsplittern.

Mit abgedroschener und inhaltsleerer Che-T-Shirt-Romantik hat das alles nichts zu tun. Der Zeitgeist mag gerade eine solche Romantisierung befördern, aber manchmal bringt die List der Vernunft eben Gutes zum Vorschein: In diesem Fall ein wichtiges, lange vergessenes Stück Literatur. Und vielleicht auch, im Zuge der Comic-Renaissance, ein Bewusstsein dafür, dass gerade in Lateinamerika schon immer Comics als Medium komplexen, wirkmächtigen und „populären“ Erzählens ganze Universen von grandiosen Kunstwerken hervorgebracht haben.

Thomas Wörtche

Alberto Breccia/Enrique Breccia/Héctor Oesterheld: Che (La Vida de Che, 1968). Comic. Deutsch von Isabel Marin und Jutta Harms. Mit einem Vorwort von Andreas Fanizadeh und einem Interview mit Enrique Breccia von Christian Gasser. Carlsen 2008. 95 Seiten. 16,90 Euro.