Geschrieben am 1. September 2021 von für Crimemag, CrimeMag September 2021

2 x Cixin Liu als Graphic Novel

von Markus Pohlmeyer

Cixin Liu, Valérie Mangin: Yuanyuans Blasen. Zeichnung von Steven Dupré. Übersetzung Maximilian Schlegel. Splitter Verlag, Bielefeld 2021. Hardcover, 72 Seiten, 17 Euro. Verlagsinformationen hier.

Wunderbar gezeichnet, ansprechend erzählt, läuft diese Geschichte wie der Flug eines Pfeiles ab. China, in der Zukunft; eine Stadt, von Dürre gezeichnet. Yuanyuans Eltern haben verschiedene Projekte, dagegen zu kämpfen. Schon als Baby, dann als Kind und Jugendliche ist sie von Seifenblasen begeistert. Als Wissenschaftlerin gelingt es ihr, immer größere, stabilere Seifenblasen herzustellen, mit denen sie z.B. über dem Meer Wasser sammeln möchte. Ein wunderschönes, aufklappbares, 4-seitiges Bild zeigt bunte, riesige, unzählige Seifenblasen über einer Wüste schweben. Und ein dramatischer Höhepunkt, als Yuanyuan zum ersten Mal eine ganze Stadt mit einer Seifenblase umhüllt – fast wären die Bewohner erstickt. Aber am Ende: Es regnet wieder.

Cixin Liu, Christophe Bec & Stefano Raffaele: Die Wandernde Erde. Deutsch von Maximilian Schlegel. Splitter Verlag, Bielefeld 2021. 128 Seiten, Hardcover, 25 Euro

… ist komplexer im Figurenpersonal und in der Narration: Die Gefahr einer sich rasch aufblähenden Sonne hat fatale Folgen für das ganze Leben auf der Erde. Tsunamis, extreme Temperaturen, Vulkanausbrüche. Man bringt mit gewaltigen Triebwerken (Diese technische Leistung wird genüsslich graphisch zelebriert.) die Rotation der Erde zum Stillstand und verlässt das Sonnensystem. Einfach nur monumental die großformatigen Zeichnungen: gigantische Plasmadüsen, die Stadt unter der Erde, das vereiste New York, eingefrorene Wellen über einer Stadt oder die wandernde Erde vor Jupiter. Auch menschliche Rationalität gerät an ihre Grenze: Bedingt durch eine Verschwörungstheorie kommt es während der Reise zu einem fatalen Aufstand. Der Traum bleibt, dereinst ein System mit drei Sonnen zu erreichen – für einen Neuanfang. 

Beide Graphic Novels zeichnet Hoffnung aus: Es gibt eine Krise, aber Wissenschaft und Technik bieten Lösungen an. Hier sind die Wissenschaftler/innen nicht Dr. Frankenstein, sondern Messias-Figuren. Was ich sehr interessant fand, war ein Interview vor dem neuen Seifenblasenweltrekord: Während Yuanyuan mit Begeisterung und Leidenschaft die chemisch-physikalischen Details erklärt, gähnt die Reporterin oder stellt die falschen Fragen: „ÄHM … WENN DIE SPANNUNG SINKT, WIRD BLASE GRÖSSER? „NEIN, GANZ UND GAR NICHT!“ „ÄH … DIE …“ „IST SCHON GUT!“[1] Yuanyuan wählt dann konsequent showing statt telling.

Beide Bände sind wie ein Diptychon: hier individuelle, dort kollektive Leistung; hier eine menschengemachte Katastrophe, dort eine kosmische Urgewalt. In beiden Fällen ermöglichen es Technik und Naturwissenschaft, dem sowohl selbstverschuldeten als auch einem solaren Schicksal zu entkommen. Bei allen Opfern und Tragödien: Naturwissenschaft und Technik sind Ausdruck von menschlicher Freiheit. Freiheit, die eigenen Fehler zu korrigieren, Freiheit, dem Zyklus eines Sterns zu entkommen und sich ein neues Zuhause suchen zu können. Beide Bände sind alptraumhaft und träumerisch-visionär zugleich. Großes Kino im Buchformat!

Zum Weiterlesen

Markus Pohlmeyer: Cixin Liu: Weltenzerstörer. Novelle, übers. v. M. Hermann, München 2018 (HEYNE). Eine Rezension, in: http://culturmag.de/crimemag/novelle-cixin-liu-weltenzerstoerer/111578, Zugriff am 16.9.2018

Ders.: Cixin Liu: „Die Sonne Chinas“ oder Endlich zu den Sternen! Eine Rezension, in: http://culturmag.de/crimemag/markus-pohlmeyer-ueber-die-sonne-chinas-von-cixin-liu/115023, Zugriff am 3.2.2019.)

Ders.: Platon, Science Fiction und Cixin Liu. Ein Essay, in: http://culturmag.de/crimemag/markus-pohlmeyer-platon-science-fiction-und-cixin-liu/117008, Zugriff am 1.5.2019

Ders.: Die Trisolaris-Trilogie von Cixin Liu. Essay und Rezension, in:  http://culturmag.de/crimemag/markus-pohlmeyer-die-trisolaris-trilogie-von-cixin-liu/117135, Zugriff am 1.5.2019

Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg.


[1] Cixin Liu: Yuanyuans Blasen, Bielefeld 2021, 26.

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