Geschrieben am 4. September 2013 von für Kolumnen und Themen, Litmag, Sachen machen

Sachen machen: Polo

Polo1Zügig im Rechtsgalopp

– Isabel Bogdan begibt sich für CULTurMAG ins Handgemenge mit den Dingen und probiert skurrile, abseitige und ganz normale Sachen aus. Diesmal hat sie Pferden und Reitern beim Polo zugesehen.

Elisabeth und ich, wir kennen uns kaum, wir sind uns nur einmal kurz begegnet und seitdem Facebookfreundinnen. Und jetzt schreibt sie, ob ich Lust habe, zum Polo mitzugehen. Zum Polo! Abgefahren. Mache ich natürlich. Das ist überhaupt nicht meine Welt, und Reiche-Leute-Gucken ist mir auch einigermaßen egal, aber mit schönen Pferden kann man mich schon kriegen. Nicht, dass ich irgendetwas davon verstünde, aber schöne Pferde sind eben schöne Pferde, da gibt’s ja nichts. Wobei „schöne Pferde“ natürlich ohnehin ein Pleonasmus ist, wahrscheinlich bin ich tief in meinem Inneren doch immer ein Pferdemädchen geblieben.

Und das mit den reichen Leuten, das ist natürlich auch nur so ein blödes Vorurteil – denn, wie das Abendblatt gerade noch rechtzeitig vorher aufklärt: Für Polo braucht man keinen Helikopter. Ach so! Gut, dann hätten wir das ja geklärt – dann ist Polo also vielleicht doch nicht nur etwas für die oberen Einhundert, aber dass die Leute, die hier so herumlaufen, immer noch zu den oberen Zehntausend gehören, ist dann doch nicht zu übersehen. (Ja, doch, das kann man schon sehen, irgendwie.) Auch wenn zu meiner großen Enttäuschung niemand Hut trägt. Ich meine, wenn man zu einem schicken Pferdesportevent geht, dann doch bitte mit Hut? Was sind denn das für Sitten! Sic transit gloria mundi!

Tatsächlich höre ich aber sehr schnell auf, Leute anzugucken, denn: Pferde, ne? Und was für welche. Dabei sehen sie für mich Laiin auf den ersten Blick gar nicht mal so besonders aus. So mittelgroße Pferde halt. Aber wenn man sie während eines Spiels anguckt, dann ist das schon alles sehr, sehr beeindruckend.

Beim Polo spielen zwei Mannschaften mit jeweils vier Spielern gegeneinander. Ein Spiel besteht aus vier sogenannten Chukkas zu je sieben (-einhalb) Minuten. Ein Pferd darf nicht zwei Chukkas hintereinander spielen, damit die Pferde nicht zu sehr belastet werden; das heißt, jeder Spieler muss mindestens zwei Pferde dabeihaben. Eine weitere Sicherheitsregel lautet: Alle Spieler sind Rechtshänder, damit alle den Schläger auf derselben Seite haben und niemand durcheinanderkommt. Das ist sehr schön einfach, im Gegensatz zum sogenannten Wegerecht – wer wann wem wie nicht in den Weg reiten oder in die Quere kommen darf, scheint mir einigermaßen kompliziert, ich habe es so schnell jedenfalls nicht verstanden. Oder höchstens theoretisch verstanden, aber ich kann es auf dem Spielfeld nicht erkennen. Ich muss an die Prüfungsfragen für den Sportbootführerschein denken, wann ist ein anderes Fahrzeug als überholend anzusehen? Wenn es sich von mindestens 22,5° achterlicher als querab nähert, oder so ähnlich, das muss man sich auch erst mal in normales Deutsch und dann in ein Bild übersetzen, um es zu verstehen. Und wenn ich ehrlich bin, gebe ich mir hier beim Polo gar nicht ernsthaft Mühe, dafür ist es ein viel zu schöner Tag, herrlichster Sonnenschein, blauer Himmel und wunderbar warm.

isabel1Elisabeth und ich sitzen oben auf der Galerie des Clubhauses, wo wir ein bisschen im Weg sitzen, aber einen guten Blick haben, sodass sie mir alles gut erklären kann, und trinken Disteln, das ist eine Mischung aus Grapefruitsaft und Bitter Lemon, sehr lecker. Ich versuche außerdem, ein paar Fotos zu machen. Dummerweise ist meine Batterie fast leer, und Elisabeth erklärt mir, es komme bei der Polofotografie, oder überhaupt bei der Pferdesportfotografie, vor allem darauf an, dass möglicht viele Beine des Pferdes in der Luft sind. Auf einem guten Bild dürfe höchstens ein Hinterbein auf dem Boden sein, auf keinen Fall ein Vorderhuf, das sehe total doof aus. Aber dann ist glücklicherweise schnell genug meine Batterie leer, sodass ich diesen Versuch auch ganz entspannt aufgeben kann und stattdessen lieber weiter in die Sonne gucke und ein Schwätzchen halte. Ach, herrlich, ich liebe den Sommer, die Hitze, die Disteln und das gepflegte Herumsitzen.

Nebenbei versuchen wir, den Spielen zu folgen. Es erleichtert die Sache nicht unbedingt, dass nach jedem Tor die Richtung gewechselt wird; das ist dafür gedacht, dass ein eventuelles Gefälle des Geländes oder die tiefstehende Sonne beide Mannschaften gleichermaßen belastet. Man gewöhnt sich nach einer Weile auch daran und vergewissert sich halt zwischendurch immer mal wieder, wer eigentlich gerade in welche Richtung spielt. Noch verblüffender finde ich aber, dass es gar keine festen Mannschaften gibt. Man ist also nicht etwa, wie beim Fußball, eingefleischter Fan der Hamburger Hoppereiter oder so, denn die Mannschaften werden für jedes Turnier neu zusammengestellt. Und das geht so: jeder Polospieler hat ein eigenes Handicap. Es liegt zwischen -2 und 10 und wird von irgendwelchen Ober-Poloisten festgelegt, die als eine Art Jury beschließen, wer jetzt ein besseres Handicap bekommt. Der beste deutsche Polospieler, Thomas Winter, hat ein Handicap von 5, das ist schon ganz schön gut. Bei einem Turnier wird nun vorab das Gesamthandicap der Mannschaften festgelegt; in diesem Fall war es ein Turnier für Mannschaften mit einem Handicap zwischen 10 und 12. Und dann werden die Mannschaften entsprechend zusammengestellt, also heute relativ hochklassige Mannschaften, für die sogar Spieler aus Argentinien eingekauft werden. Die Mannschaften werden dann nach ihren Hauptsponsoren benannt: Team Immobilienimperium, Team Kaffeeimperium, Team Bekleidungsimperium, Team Automobilproduzent, Team Champagner. Das finde ich, gelinde gesagt, ein wenig unsexy. Nicht mal Elisabeth, die in dieser Welt zu Hause ist, ist Fan einer bestimmten Mannschaft; sie kennt ein paar Spieler persönlich und mag den ein oder anderen mehr oder weniger, aber das hat alles nichts damit zu tun, Fan einer Mannschaft zu sein, wie es in anderen Sportarten ist.

Bei den Spielen geht es ordentlich zur Sache, und deswegen sind die Sicherheitsregeln das Allerwichtigste, der Schutz der Pferde geht immer vor. Wie es allerdings funktioniert, dass sie tatsächlich nicht verletzt werden – die Pferde nicht, und die Reiter auch nicht –, ist mir vollkommen schleierhaft.

Die Pferde starten aus dem Stand in den Galopp in einem unfassbaren Tempo, es wird quasi ausschließlich galoppiert. Und genauso schnell bremsen sie auch wieder ab, bleiben stehen oder wenden. Das muss irre anstrengend sein, deswegen dürfen sie auch nicht in zwei Chukkas hintereinander eingesetzt werden. Außerdem versuchen die Reiter, einander abzudrängen („abreiten“), dabei haben Pferde wie Reiter Körperkontakt, gleichzeitig fliegen die Schläger durch die Gegend, den Pferden oft haarscharf am Kopf vorbei, und es passiert: nichts. Also, es passiert eine ganze Menge, die ganze Zeit, und zwar so rasant, dass ich gar nicht so schnell gucken kann, aber den Pferden passiert dabei nichts.

Was mich vielleicht am meisten beeindruckt: diese Pferde, die diese unglaubliche Power haben, dieses Temperament, die so rasend schnell und wendig sind, haben gleichzeitig ein durch und durch gelassenes Gemüt. Trotz Abreiten und trotz der Schläger, die ihnen dauernd um die Ohren fliegen, trotz aller rasanten und manchmal halsbrecherisch wirkenden Aktionen. Wir sehen über mehrere Stunden insgesamt vier Spiele, und kein einziges Mal hat man den Eindruck, ein Pferd würde etwa nervös. Das ist wirklich imposant, so viel körperliche Kraft, so viel Temperament und Feuer, und dabei ein dermaßen stoisches Gemüt. (So wäre ich auch gern.)

Und dann habe ich hier noch ein bisschen unnützes, aber irgendwie faszinierendes Wissen der Kategorie Superspezial mit extra Sahne: die meisten Pferde galoppieren anscheinend lieber im Linksgalopp. Angeblich kommt das daher, dass sie im Mutterleib nach links gekrümmt liegen. Deswegen wird bei den allermeisten Pferderennen gegen den Uhrzeigersinn gelaufen, weil die linke Seite im Linksgalopp gut stabilisiert ist. Weil nun aber beim Polo alle Rechtshänder sind, ist es schlau, auf rechts zu galoppieren, denn die meisten Schläge werden auf der rechten Seite ausgeführt, auf der sogenannten Off-Side. Man kann den Schläger zwar auch auf die linke Seite bringen, die Near Side, aber auch dazu muss man ihn in der rechten Hand behalten, das ist dann also ein bisschen eng und man kommt nicht so weit mit dem Schläger. Rechts hingegen kann man sich deutlich weiter hinauslehnen und den Arm sozusagen als Schlägerverlängerung mit einsetzen, und dann ist es gut, wenn das Pferd auf der rechten Hand besonders stabil ist. Daher werden Polopferde eigens auf Rechtsgalopp trainiert.

Polo2

Und dieses ganze Hinauslehnen bedeutet auch, dass nicht nur die Pferde wirklich herausragende Sportler sein müssen, sondern auch die Reiter. Wie um alles in der Welt machen sie das, dass sie nicht dauernd runterfallen? Es fällt am ganzen Nachmittag nur ein einziges Mal einer vom Pferd, und der steht dann halt auf und ist sofort wieder im Sattel. So viel Oberschenkelinnenmuskulatur kann man doch gar nicht haben, dass man sich nur damit festhält. Aber mit etwas anderem können sie sich auch nicht halten, in der rechten Hand ist der Schläger, in der linken die Zügel. So ein Polopferd, sagt Elisabeth, lässt sich lenken wie mit einem Joystick. Da man alle vier Zügel in nur einer Hand hält, müssen die Pferde nach links gehen, wenn man alle Zügel gleichzeitig nach links zieht, nach rechts ebenso, und dann gibt es noch „schneller“ und „langsamer“: Zügel lockerlassen oder anziehen. Fertig. Klingt einfach und gleichzeitig höllisch schwierig. Zumal das ja alles bei einem irrwitzigen Tempo passiert und man außerdem permanent im Auge haben muss, was die anderen sieben Reiter auf dem Platz gerade machen, wo der Ball ist, und wo er hinsoll. Und wie kann man sich bei dem Tempo so weit rauslehnen und nicht runterfallen? Und nicht dauernd irgendwem, einem Pferd oder Reiter oder sich selbst die Haxen brechen?

Das ist schon alles wirklich, wirklich beeindruckend. Die Stimmung im Publikum allerdings kommt mir eher etwas gedämpft vor. Man kann es wohl nicht mit einem Besuch im Millerntorstadion vergleichen, wo die Fans ihren Verein auch dann mit großer Leidenschaft und einer beinahe greifbaren Adrenalinkonzentration in der Luft unterstützen, wenn er verliert, und wo man auch als eher Unbeteiligte sofort davon angesteckt und ganz emotional wird. Vielleicht liegt es daran, dass es keine etablierten Mannschaften gibt, von denen man Fan sein könnte und es so eben wenig Identifikationsmöglichkeiten gitb? Ich weiß es nicht.

Ich hatte einen wundervollen Nachmittag. Habe Stund’ um Stunde in charmanter Begleitung in der Sonne gesessen, Disteln getrunken, mich lustig unterhalten und tollen, beeindruckenden Sport gesehen. Aber ich kann nicht behaupten, dass eine so ansteckende Begeisterung in der Luft gelegen hätte wie bei anderen Mannschaftssportarten.

Was sehr wohl in der Luft lag, war der Geruch von Pferden, und der ist ein Guter. Und jetzt möchte ich endlich mal wieder reiten. Ich Pferdemädchen. Zuletzt bin ich vor ungefähr zwanzig Jahren geritten, inklusive Runterfallen, und danach hatte ich tagelang mörderischen Muskelkater. Aber wenn mir jemand glaubwürdig versichert, es handle sich um ein freundliches Pferd, würde ich mich jederzeit wieder draufsetzen. Und dann am liebsten am Strand entlangreiten. Ich würde dazu auch ziemlich sicher keinen Schläger in die Hand nehmen, sondern mich gut festhalten, an Zügeln, Sattel, Mähne, oder was auch immer gerade greifbar wäre.

Isabel Bogdan

Isabel Bogdan übersetzt seit 10 Jahren Literatur aus dem Englischen (u. a. Jonathan Safran Foer, Miranda July, ZZ Packer, Tamar Yellin, Andrew Taylor). Sie lebt und arbeitet in Hamburg. Zum Blog von Isabel Bogdan. „Sachen machen“ erschien als Buch im Rowohlt Verlag. Fotos: Isabel Bogdan.

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