Geschrieben am 1. Juni 2016 von für Litmag, Porträts / Interviews

Interview: Anita Djafari, Geschäftsleiterin der Litprom und BücherFrau des Jahres 2016

(c) Wonge Bergmann

Mehr Sensibilisierung, mehr Wahrnehmung

– Anita Djafari ist die Geschäftsleiterin der Litprom, der Gesellschaft für um die Literaturen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und der Arabischen Welt. Sie betreut als verantwortliche Redakteurin die Zeitschrift LiteraturNachrichten. Sie ist Ansprechpartnerin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die Bestenliste Weltempfänger (die wir bei CulturMag regelmäßig präsentieren), den LiBeraturpreis und das Projekt Frankfurt – Stadt der Zuflucht. Gerade wurde sie zur BücherFrau des Jahres 2016 gewählt. Zoë Beck stellt Anita Djafari und ihre Arbeit bei der Litprom in einem kleinen Interview vor.

CulturMag: Liebe Anita Djafari, bis gestern konnte man für den LiBeraturpreis 2016 abstimmen (hier entlang). Seit drei Jahren wird dieser Preis von der Litprom vergeben. Es handelt sich um einen Publikumspreis für einen besonders beliebten Titel einer Autorin aus Afrika, Asien, Lateinamerika oder der arabischen Welt. Sie selbst sind aber nicht erst seit drei, sondern schon seit 30 Jahren mit dabei, Sie haben den Preis mitbegründet. Erzählen Sie uns, wie es dazu kam?

Anita Djafari: Ich wurde angesprochen von den Gründern der „Initiative LiBeraturpreis“, weil ich damals in Frankfurt einen Buchladen mit dem Schwerpunkt „Dritte-Welt-Literatur“ (so nannte man das damals) betrieben habe, und schloss mich der Idee gerne an. Sie ging aus von einer regelmäßig stattfindenden entwicklungspolitischen Veranstaltung in einer evangelischen Kirchengemeinde, die Initiatorin und langjährige erste Vorsitzende des Vereins, Ingeborg Kaestner, war die Ehefrau des Pfarrers. Es braucht ja immer Einzelne, die mit ihrer Energie und Beharrlichkeit solche Projekte betreiben.

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CM: Was hat Sie daran vor allem begeistert?

AD: Mir hat die Idee gefallen, dass man etwas für eine bessere Wahrnehmung der außereuropäischen Gesellschaften hierzulande tun wollte, eine Sensibilisierung für die Probleme und Ungerechtigkeiten erreichen wollte, und das mit Hilfe der Literatur. Dass man dabei auch noch die Wahrnehmung der schreibenden Frauen befördern wollte, hat mir außerordentlich gut gefallen. Das war ja auch noch die Zeit der Frauenbewegung, der Frauenliteratur, der Frauenreihen in den großen Verlagen, der Frauenbuchläden. Heute gar nicht mehr vorstellbar.

CM: Ja, aus dem Etikett „Frauenliteratur“ ist etwas völlig anderes geworden. Und nicht wirklich etwas besseres. Aber abgesehen davon, glauben Sie, dass im deutschsprachigen Raum vergleichsweise Idealzustände herrschen, was schreibende Frauen angeht, oder gibt es auch hier noch was zu tun?

AD: Ich habe (erst in jüngster Zeit wieder) das Gefühl, dass sich so viel gar nicht geändert hat, jedenfalls nicht genug! Wie die Situation für schreibende Frauen in Deutschland ist, können Sie als Autorin sehr viel besser beurteilen als ich. Was wir ganz sicher nicht mehr brauchen sind „Frauenecken“ in Buchläden, unter uns gesagt wurde damals ja auch jede Menge Schrott veröffentlicht (und konsumiert!), Hauptsache, es kam von einer Frau. Aus diesen Zeiten sind wir Gottseidank herausgewachsen, aber was die Wahrnehmung im Literaturbetrieb angeht, da unterscheidet sich die Situation der Frauen, glaube ich, weltweit gar nicht so sehr voneinander. In letzter Zeit gibt es ja vermehrt Wortmeldungen dazu, aus allen (auch geografischen) Richtungen, und ich entnehme diesen Äußerungen eine „Wahrnehmungsgrenze“, die bei 25% zu liegen scheint. Als würde die literarische Hälfte des Himmels nur aus einem Viertel bestehen. Da ist noch Handlungsbedarf.

CM: Und da kommen Sie wieder ins Spiel mit Ihrer Arbeit.

AD: Da wir bei Litprom Lobbyarbeit für außereuropäische Literaturen machen, konzentrieren wir uns nach wie vor auf die schreibenden Frauen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und der arabischen Welt, und deshalb haben wir uns auch entschieden, den LiBeraturpreis zu übernehmen und weiterzuentwickeln. Ein Verleger sagte mir, er sehe ihn als kleine Schwester vom Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Ein schöner Gedanke und ein schönes Ziel, diesem „Frauenpreis“ eine annähernd so hohe Aufmerksamkeit zu verschaffen. Da liegt aber noch ein gutes Stück Arbeit vor uns.

CM: Ein wunderbares Kompliment! Erzählen Sie uns, wie Ihre Arbeit bei der Litprom abläuft?

1yhf2KV2AD: Na ja, unter anderem mit solchen Aufgaben, die wir uns nach 36 Jahren – so lange gibt es diesen Verein schon – auch selber stellen. Herzstück und Kern unseres Auftrags ist die Übersetzungsförderung mit Mitteln des Auswärtigen Amtes (eine einmalige Sache auf der Welt, wie mir scheint) und des Schweizer Kulturfonds. Ansonsten betreiben wir die Lobbyarbeit für diese Literaturen mit den unterschiedlichsten Mitteln: den „LiteraturNachrichten“, unserer Zeitschrift, mit der Bestenliste „Weltempfänger“, mit dem Anderen Literaturklub, mit Veranstaltungen wie den jährlich stattfindenden Litprom-Literaturtagen etc. Wir beraten und empfehlen, wir sind beliebte Kooperationspartner, kurz: DIE Anlaufstelle, wenn es um Literatur aus Afrika, Asien, Lateinamerika oder der arabischen Welt geht. Außerdem organisieren wir den „Weltempfang – Zentrum für Politik, Literatur und Übersetzung“ auf der Frankfurter Buchmesse.

CM: Woran liegt Ihrer Einschätzung nach die mangelnde Aufmerksamkeit für Literatur aus Asien,
Lateinamerika, Afrika, der arabischen Welt beim breiten Publikum?

AD: Na, wenn wir das wüssten … Das ist tatsächlich eine schwere Frage. Ich möchte gar nicht so gerne darüber lamentieren, dass zu wenig übersetzt wird, zu wenig verlegt, zu wenig besprochen oder gelesen wird. Da hat sich in den letzten 30 Jahren doch eine Menge getan, genau so wie bei den Frauen. Nur dass es halt einfach noch nicht reicht, ich finde unsere Arbeit auch wichtiger denn je. Aber ich finde es aus Sicht des „gemeinen Lesers/der gemeinen Leserin“, und die wollen wir ja erreichen, auch ganz verständlich, dass man sich nicht zu allererst gänzlich Unbekanntes als Lektüre aussucht, dazu ist der Dschungel der Neuerscheinungen viel zu unübersichtlich. Wir wollen mit unseren Aktivitäten Hilfestellung leisten und Orientierung bieten und das gelingt uns mit unseren Projekten auch ganz gut.

CM: Es gibt ja immer mal einzelne Titel, die es schaffen …

AD: Das so genannte breite Publikum stürzt sich bei Büchern aus Afrika z. B. gerne auf tragische erfundene oder tatsächliche Lebensberichte, z.B. die einer beschnittenen Frau, die sich aus ihrem extrem schwierigen Schicksal zum Model oder zur Sängerin durchgeackert hat oder so. Das finde ich ausgesprochen schade. Und manchmal habe ich den Eindruck, dass das klassische Feuilleton die ansonsten strengen ästhetischen Kategorien bei der Beurteilung einer solchen Lebens- oder gerne auch Migrantengeschichte über Bord zu werfen scheint und das alles plötzlich ganz toll findet. Das hat bei allem wohlwollenden Impetus etwas „von oben herab“, was mir ziemlich auf die Nerven geht.

CM: In der Jury vom Weltempfänger wird diskutiert, gestritten, mit Herzblut und Hingabe der Lieblingstitel verteidigt … Da habe ich nicht den Eindruck, dass die ästhetischen Kategorien vernachlässigt werden. Aber sagen Sie, jedes Mal gibt es zu der Liste aus übersetzten Titeln auch noch eine Übersetzungsempfehlung. Haben Sie eigentlich einen Überblick darüber, wie viele Titel Sie im Jahr lesen (müssen)?

AD: Ganz ehrlich und ohne Koketterie: Ich kann keine Zahl nennen. Ich lese immer. Ich lese an, ich lese durch, ich lese Manuskripte (für die Übersetzungsförderung z.B), ich lese zur Entspannung im Urlaub, und ich lese die Neuerscheinungen, die wir für den Weltempfänger sichten. Da helfen die Einschätzungen der Kolleginnen und Kollegen natürlich beim Sortieren … Dieser regelmäßige Austausch macht mir sehr großen Spaß. Manche Leute machen das in ihrer Freizeit in Lesezirkeln oder Volkshochschulkursen, ich darf das beruflich machen. Herrlich.

CM: Sie sind zur BücherFrau des Jahres 2016 gewählt worden. Herzlichen Glückwunsch!

AD: Vielen Dank!

CM: Wir wissen, wie wichtig solche Netzwerke sind, aber immer wieder wird gefragt, warum eine Branche mit so hohem Frauenanteil eigene Netzwerke braucht. Was antworten Sie auf solche Fragen?

AD: Die Antwort fällt mir nicht schwer. Ich bin schon lange bei den BücherFrauen, und zwischendurch habe ich auch immer mal wieder überlegt auszutreten. Wegen schlechtem Gewissen, weil ich nichts für das Netzwerk gemacht habe, weil ich dachte, ich „brauche“ es nicht mehr. Dann ist mir aber immer wieder rechtzeitig eingefallen, wie sehr ich von den BücherFrauen profitiert habe, besonders in meiner Zeit als Freiberuflerin, wie viele wertvolle, nützliche, hilfreiche „Kontakte“ ich darüber bekommen habe, die alle sehr weit tragen. Wir Frauen leisten sehr viel Arbeit in der Branche, die wichtigen und vor allem entscheidenden Positionen im Betrieb sind aber nach wie vor hauptsächlich von Männern besetzt. Und solange das so ist, müssen wir uns gegenseitig den Rücken stärken und ermutigen. Und vor allem nicht gegeneinander ausspielen lassen, von wegen Karrierefrauen versus Mütter etc. Ich freue mich über jede Frau, die Erfolg hat, und über jede, die Beruf und Familie unter einen Hut kriegt. Dafür brauchen wir allerdings keinen Feminismus a la Alice Schwarzer mehr, sondern einen, der auch die Männer mit einbezieht und sie fordert. Die haben dann nämlich auch mehr davon, wenn es uns allen gut geht.

CM: Vielen Dank, liebe Anita Djafari, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben!

AD: Danke!

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