Geschrieben am 18. Januar 2014 von für Bücher, Crimemag

Wolfgang Schorlau: Am zwölften Tag

Wolfgang_Schorlau_Am zwölften Tag„Das kriegt der blödeste Rumäne hin“

Wolfgang Schorlaus Banditen tummeln sich diesmal in der Fleischbranche: „Am zwöften Tag“ heißt der Roman, den Bruno Arich-Gerz für Sie gelesen hat …

Den Familienbetrieb im Oldenburgischen gibt es seit drei Generationen, die Probleme erst seit ein paar Jahren. Die Schweine- und Putenmästerei läuft trotz all der Futterzusätze der pharmazeutischen Art nicht rund. Die Kapitulation vor den ganz großen Ausbeinern der Branche – denen, die nicht nur ihr Schlachtvieh ausnehmen, sondern auch am Markt verdrängungswettbewerblich zulangen – liegt nahe. Also nimmt man eine Auszeit, fährt weg und kehrt mit den besten ökologisch-landwirtschaftlichen Vorsätzen für einen Neubeginn zurück auf den Hof. Und hat auf einmal die Rocker im Haus.

So widerfährt es Christian Zemke in Wolfgang Schorlaus „Am zwölften Tag“, dem siebten Fall seines Privatermittlers Georg Dengler. Die harten Harley-Burschen in ihren Lederwesten tummeln sich nicht ohne Grund auf dem Hof: Zemke selbst hatte ihnen Tür und Tor geöffnet. Gleichzeitig sind sie, Schorlau-typisch, nicht ohne aktuelle Entsprechung im Gegenwartsdeutschland. Im wirklichen Leben waren es die Bandidos-Häuptlinge Peter Maczollek und Leslav Hause, die im Juni 2013 für Aufsehen sorgten, als ihre Verstrickung in die Machenschaften der Viehzucht- und Schlachtbetriebe und vor allem ihre kleinen, feinen Schweinereien an südosteuropäischen Lohnsklaven bekannt wurden.

Tumbe Kerlchen

In Schorlaus Krimi wird aus den Banditen ein brutales, biersaufendes, notgeiles und bei aller Lederjackenderbheit trotzdem ziemlich tumbes Trüppchen: die „First Rocker Crew“. Auf Zemkes Hof haben sie sich eingenistet und führen irgendwas im Schilde, als ihnen vier junge Tierschutzaktivisten ins Netz gehen, die sich mit Infrarotkamera bewehrt in die Stallungen schleichen und das Elend der mit Mastfutter, Antibiotika und Beruhigungsmitteln vollgepumpten Kreaturen dokumentieren wollen. Einer der Hühnerstall-Aktivisten ist Jakob, Denglers Sohn, was früh im Buch klar werden lässt, nach welchem Muster und in welche Richtung sich der Hauptstrang der Krimierzählung entwickelt. Dengler senior schießt seinen aktuellen Klienten in den Wind, nimmt die Fährte auf, stöbert sich durch Jakobs Laptop und wundert sich über dessen hinhaltende Handytextnachrichten. Er lernt die idealistische Unterseite seines Jungen kennen und schätzen, klappert die Eltern der anderen drei Aktivisten ab und steigt ein in ein Wettrennen gegen die Zeit und die schwindenden Kräfte des gefangengehaltenen Quartetts, das titelgebend erst am zwölften Tag endet.

Wolfgang Schorlau (© Heike Schiller  schiller@kochschillerstarkl.de)

Wolfgang Schorlau (© Heike Schiller)

Realität

Für einen echten Schorlau, sollte man meinen, ist schwärmerische Gymnasiasten-Entrüstung eigentlich zu wenig, um mit dem nötigen Nachdruck auf die unfassbaren Zu- und Umstände in den Großmastbetrieben hinzuweisen. Jakobs, Lauras und das Engagement der anderen zwei Pennäler in allen Ehren, aber da muss mehr her. Also führt ein Strang in die Welt der von der hiesigen Großmastindustrie und neuerdings den Rockergangs ausgenommenen Ausnehmer, sprich zu den Lohnsklaven aus Südosteuropa. Kimi heißt einer von ihnen, Adrian ein anderer. Entlang dieser Figuren liest man nicht nur ebenfalls in Richtung Showdown, sondern liest sich auch durch gründlich nachgefasste Realitäten in der Bundesrepublik anno 2013. Schorlaus großes Verdienst liegt auch bei Denglers siebtem Fall genau hier: beim gesellschaftskritischen Extra, das seinen Krimis jedesmal beigemischt ist. Die Realitäten, lehrt einen der Roman schonungslos, heißen Hungerlohn statt Tariflohn und Entrechtung statt Entgelt.

Boshaft & wahr

Und es gibt noch einen dritten Strang: den des skrupellosen Branchenplatzhirschen, der den mitteleuropäischen Fleischmarkt beherrscht und Kleinbetriebe von der Sorte Zemkes systematisch platt macht, ehe er sie aufkauft. Carsten Osterhannes heißt der Mann, dem ausgiebig Raum für selbstverliebte Monologe eingeräumt wird. Das Ausstallen des Mastviehs, das Bolzenschießen durch die Schweinehirne und das anschließende Ausbeinen der Kadaver „kriegt auch der blödeste Rumäne hin“, verkündet der megalomane Superfleischproduzent und auch sonst legt ihm Schorlau jede Menge Boshaftes und zugleich bitter Wahres, weil genau Recherchiertes, in den Mund.

Damit wird damit die Moral von der Geschicht‘ einmal durch den Zynismuswolf gedreht, was noch angehen mag. Leider wird sie auch unnötig verwischt. Man weiß nicht so recht, was beim Thema Fleisch aus deutschen Landen heutzutage das größere Übel ist: das Mästerschwein oder die Schweinemast. Schorlau riskiert es mit anderen Worten, das aufrichtige Anliegen seines Krimis durch ein unaufrichtiges Sprachrohr zu desavouieren.
Schorlau geht außerdem ein gewisses Risiko ein, wenn er weite Strecken der Story durch die Figur des Jakob Dengler und seiner tierschutzaktivistischen Clique fokussiert. Die heimlichen Filmaufnahmen in den Mastställen und die Falle, in die die Rocker sie laufen lassen, machen sie zu Sympathieträgern mit eigener ermittlerischer Agenda und ganz besonderer Gruppenkonstellation. Das coole wohlsituierte Alphamännchen Simon, das taffe Mädchen Laura, der klitzekleine Außenseiter Cem und der clevere Jakob erinnern unfreiwillig an Tarzan, Karl, Klößchen und Gaby. TKKG für Erwachsene – zum Glück gleichen Dengler père, seine aktuellen und verflossenen Frauen, die vielen Schweineschweine und ein gewohnt breit angelegter Plot das aus.

Fazit: Wolfgang Schorlau zeigt sich in Form, liefert ein aktuelles Skandalthema mit einiger Brisanz, faltet es routiniert auf. Die Bösewichte kommen zwar etwas überzogen rüber und die Anordnung, was wer wie an besonders himmelschreienden Unfassbarkeiten der Leserschaft unterjubelt, muss nicht jeden überzeugen. Doch bleiben am Ende zwei Empfehlungen: die eines professionell gestrickten Krimis sowie die, vor der Lektüre auf den Verzehr von Mastindustriefleisch zu verzichten. Nachher sowieso. Die Entscheidung des Verlags, den Roman erst nach Weihnachten, also nach den klassischen Puten- und Gänsebratenkonsumtagen, auszuliefern, kommt sicher nicht von ungefähr.

Bruno Arich-Gerz

Wolfgang Schorlau: Am zwölften Tag. Denglers siebter Fall. Roman. Köln: KiWi 2013. 352 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zu Wolfgang Schorlau.

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