Literatur und Bildende Kunst sind sehr unterschiedliche Kunstformen. Wo uns das eine als konkrete Tat (Aktions- und Konzeptkunst) oder als direkt sinnlich fassbares Objekt (Malerei) entgegentritt, steht bei der Literatur vor dem Erlebnis die alles andere als voraussetzungsfreie Lektüre. Interessant kann es werden, wenn die Literatur diese Unterschiede (und Gemeinsamkeiten?) reflektiert und sich in Erzählungen oder Romanen mit den Bildenden Künsten beschäftigt. Gisela Trahms hat sich ein paar Beispiele angeguckt. Diesmal: Wolfgang Herrndorfs Erzählung „Der Weg der Soldaten“.
Was ist Schreiben gegen Schlucken?
Ob ein Hase durch eine Geschichte hoppelt oder ob sie von Hasenbildern handelt oder Hasenobjekten, sagt erst mal nichts darüber, wie gelungen oder zäh sie ist. Aber es verspricht doch immer einen besonderen Kick, wenn sich die eine Kunst der anderen widmet und fiktive Bilder oder Installationen aus Buchseiten erwachsen. Und da gefühlte fünfzig Prozent der zeitgenössischen Romane von Schriftstellern und ihren Krisen handeln, ist der Leser froh, wenn er zur Abwechslung mal das selbstreflexive Gegrübel verlassen und dem Maler folgen darf.
Zeitgenössische Künstler scheinen soviel freier zu sein als Schriftsteller, sie können ein Hasenfell als Kunst deklarieren und haben Erfolg damit. Autoren dagegen sind immer noch zu stundenlanger, glanzloser Tipparbeit am PC gezwungen. Kein Wunder, dass den Künstlern viel mehr Zeit für Freuden und Genüsse bleibt und sie folglich die attraktiveren Gefährtinnen haben und das spannendere Leben. Deutlich demonstrierte das wieder einmal Woody Allens Barcelona-Film, wo dem von Javier Bardem gespielten Maler Penelope Cruz und Scarlett Johansson gleichermaßen heftig zu- und nachlaufen. Von Carlos Ruiz Zafón ist Vergleichbares nicht bekannt.
Ähnlich liegt der Fall in Wolfgang Herrndorfs Erzählung „Der Weg des Soldaten“ aus dem Band „Diesseits des Van-Allen-Gürtels“. Franco ist so schräg und durchgeknallt, wie man sich einen Jungkünstler nur wünschen mag. Mitten im braven Nürnberg schlägt er sich als Bohemien mit Migrationshintergrund ziemlich erfolgreich durchs Leben. Gern und erheitert liest man davon, möchte diesem haftenden Schnorrer aber lieber nicht begegnen. Eines Wintertags halluziniert er, frierend im Freundesbett liegend, das romantisch-todesschwangere Wort UNTERKALT. Ein Wort also setzt hier den kreativen Prozess in Gang, ein Neologismus zudem, und daher fällt das imaginierte Projekt kurzerhand unter Konzeptkunst. Ah ja! Der Ich-Erzähler äußert sich allerdings skeptisch: „Neben den Installationen seiner Mitstudenten nahmen sich Francos Objekte aus wie der Weihnachtsbasar der Bodelschwinghschen Anstalten.“
Keine nähere Beschreibung, klugerweise, und so vergnügt sich der Leser selber im Entwerfen von Basteltorheiten, auf die das Urteil zutreffen könnte.
Wie erwartet, scheitert die Realisierung von UNTERKALT, aber Franco, der Künstler, erklärt das Scheitern einfach zum Teil des Projekts. Das zumindest ist eine vielversprechende, auf die Literatur übertragbare Idee. Wenn Uwe Tellkamp demnächst den zweiten „Turm“ auf den ersten setzt und beide einstürzen, ergibt das eine gewollte Ruine.
Zur Hochform findet Franco, als seine Freundin Mara anreist. Auf Francos Anregung schluckt sie Zinnsoldaten, und naturgemäß gewinnt das Paar für die dadurch veranlassten Röntgenbilder einen Kunstpreis. Mal ehrlich und mit einem Seufzer: wie könnte ein Autor gegen solche Taten ankommen? Was ist Schreiben gegen Schlucken? „Das Militär auf dem Weg zum Arsch“, kommentiert Franco, und allein für diesen Kommentar hat er natürlich den Preis verdient.
Eine schöne Geschichte ist das und keineswegs eine Satire, eher eine melancholische Meditation angesichts der Medienlage. Der namenlose Ich-Erzähler, ebenfalls Kunststudent, aber offenbar nur befähigt zum Autolackieren und eben zum Erzählen, bleibt der Loser. Er fasst lediglich das bunte Geflitter des Kommilitonen in Worte, was Franco leider nicht entgenialisiert, jedenfalls nicht in Maras Augen. Worte zeugen von Introvertiertheit, sie kommen, als geschriebene, gedruckte, immer zu spät und ihre nur gehauchte Sinnlichkeit kann gegen die optische, haptische oder intestinale wenig ausrichten. So ist es eben und muss ertragen werden.
Der Autor aber kann „Tschick“ schreiben, und das ist ein Trost.
Gisela Trahms
Wolfgang Herrndorf: „Der Weg des Soldaten“ in: Diesseits des Van-Allen-Gürtels (2007). Rororo 2009. 192 Seiten. 8,99 Euro. Zum Blog von Herrndorf geht es hier, eine kurze CM-Rezensionen von „Tschick“ finde Sie hier.