Schlicht und ergreifend
In seinem Debüt-Roman erzählt Willy Vlautin eine klassische Underdog-Geschichte, die in ihrer ganz und gar schlichten und doch ergreifenden Art zu überzeugen vermag. Von Karsten Herrmann
Frank und Jerry Lee sind ein Bruderpaar, bei dem das Unglück stets in der Nähe ist: „Es ist immer im Spiel, die nächste Karte, die du aufnimmst, könnte das Unglück sein.“ So auch in jener eiskalten Nacht in Reno, der kleinen Spielerstadt in Nevada: Frank liegt sturzbetrunken in seinem schäbigen Hotelzimmer-Bett, als eine Ente durch das geschlossene Fenster kracht und tot auf dem Boden liegen bleibt. Doch dies ist erst das düstere Vorzeichen für die wirkliche Tragödie: Kurze Zeit später erscheint sein Bruder Jerry Lee in aufgelöstem Zustand und berichtet, dass er betrunken im dichten Schneetreiben einen kleinen Jungen überfahren hat. Den hat er jetzt tot in seinem Auto liegen. Und was tun die beiden? „Wir liefen weg. Wir stiegen einfach in seinen abgewrackten 1974er Dodge Fury und hauten ab.“
Sehr schlicht, ehrlich und ergreifend erzählt uns Willy Vlautin, der auch Sänger und Songschreiber der amerikanischen Folkrockband „Richmond Fontaine“ ist, die Geschichte eines verlorenen Bruderpaares. Nach dem frühen Tod der Mutter waren sie, noch nicht einmal volljährig, schon auf sich alleine gestellt, schmissen die Schule und hielten sich mit Aushilfsjobs über Wasser. Der Alkohol ist dabei ihr täglicher Begleiter. Schon mit 20 scheint für sie die Zukunft beendet und Franks väterlicher Freund, der Autohändler Earl, mahnt: „Du denkst wie ein Mann, der schon gescheitert ist.“
Den einzigen Rückzugsraum bildet für die beiden Brüder die eigene Fantasie: Frank schreibt und erzählt aus dem Stegreif abenteuerliche Geschichten, mit denen er seinem verzweifelten Bruder Frank Lee immer wieder versucht Mut zu machen und ein bisschen Glück und Geborgenheit zu vermitteln. Doch das Schicksal, dem Frank und Jerry Lee mit berührender Hilflosigkeit versuchen zu entkommen, nimmt seinen Lauf wie eine traurige Blues-Ballade. Motel Life ist eine Geschichte ohne Happy End, aber doch mit einem kleinen Funken neuer Hoffnung in der Düsternis.
Karsten Herrmann
Willy Vlautin: Motel Life. Aus dem Amerikanischen von Robin Detje. Berlin Verlag 2008. 210 Seiten. 17,00 Euro.