Mit allen notwendigen Mitteln
Leonid McGill ist eine Art Wiedergänger des klassisch chandleresken PIs. Und das ist als Methode des Erzählens gar nicht falsch, findet Elfriede Müller, die „Manhattan Fever“ gelesen hat.
Walter Mosley erfreut sich nicht nur im CrimeMag großer Beliebtheit, wo jedes seiner auf Deutsch erschienenen Bücher Beachtung findet (zum Beispiel hier, hier und hier). Trotz der Manie des Verlags, auch aus den besten Titeln Mosleys, wie dem aktuellen „All I did was shoot my man“, New-York-Reiseführer machen zu wollen, ist diese Leonid-McGill-Geschichte die spannendste. Auch wenn sich der ehemalige Boxer an Mosleys großen Helden Easy Rawlings und Socrates Fortlaw messen muss, verkörpert McGill genau das, was Mosley lesenswert macht: dass all seine Figuren nie vergessen, wo sie herkommen und in welcher Welt sie leben. Diese Erkenntnis, philosophisch selbstkritisch in der Kriminalliteratur zu kommentieren, ist fast ein Alleinstellungsmerkmal des Autors. Einer Herrschaftsordnung, die nichts lieber tut als gesellschaftliche Probleme auf die einzelnen abzuwälzen und ihnen weiszumachen, dass sie allein ihr Leben in der Hand hätten, das sich aber hinter ihrem Rücken vollzieht, antwortet Mosley: „Schwarze Männer, die sich gegenseitig hassen und töten, (…) das ist das Vermächtnis von Sklaverei und Kapitalismus.“ McGills eigene Bildung baut darauf auf, weshalb seine Lieblingsbücher „Das Kapital“, „Die Traumdeutung“ und die Gesammelten Aufsätze der Relativitätstheorie darstellen. Auf dieser Grundlage und mit diesem geistigen Gepäck beginnt McGill jede Ermittlung.
Personal und Schauplätze sind aus den ersten vier Bänden bekannt, werden aber wie bei allen Serienkrimis für Erstleser oder Vergessliche erneut eingeführt. McGills multikulturelle, krisengeschüttelte Familie, die Geliebte Aura Ullman, die wieder zum Player wird, der Killer Hush, Zephyra, Mardi usw. Die Familie steht in jedem McGill im Zentrum, aber nie so wie hier, wo es nicht nur wieder Sex in der Ehe gibt, sondern der postrevolutionäre Vater auftaucht, der für die kubanische Revolution Frau und Kinder vor langer Zeit verließ. Darüber hinaus schwebt die Todesdrohung in diesem Band sogar über der eigenen Wohnung und Familie, ein uramerikanischer Alptraum.
Große Literatur
Der Plot, auf den es bei einem guten Noir eigentlich gar nicht ankommt, ist konsistenter als in den ersten McGills und berührend. Zella Grisham war unschuldig im Gefängnis wegen eines spektakulären Versicherungsüberfalls, den sie gar nicht begangen hat, der ihr aber in die Schuhe geschoben wurde, u. a. mit Hilfe McGills. Was sie aber tat, war ihren Geliebten anzuschießen, den sie im Bett mit ihrer besten Freundin überrascht hat. Aber dafür saß sie eigentlich nicht im Gefängnis. Da McGill nicht unschuldig an diesem Justizirrtum war, will er ihn irgendwie wiedergutmachen und betreut Zella, als sie aus dem Gefängnis kommt. Dabei klärt er natürlich den Überfall auf, findet Zellas Kind wieder und entdeckt so manche andere Schandtat im Staate New York. Die Eingangsszene am Port-Authority-Bus-Terminal, wo McGill Zella erwartet, als sie aus dem Knast kommt, ist große Literatur.
Nicht nur Leonids Vater heißt Tolstoy, auch der Sohn nimmt Anleihen an der russischen Literatur, vor allem bei Dostojewski in Sachen Schuld und Sühne. Trotz seiner Schuldobsessionen und Wiedergutmachungsversuche vergisst McGill nie, dass er auch Geld verdienen muss, um seine vielköpfige Familie zu ernähren, und dass sich das Land, in dem er lebt, in einer großen Wirtschaftskrise befindet: „Aber 2011 bestand die metaphysische Welt genau wie das physische Universum fast ausschließlich aus Wirtschaftsplänen, Gebeten und Plagen.“ Wie immer gerät McGill ins Fadenkreuz der Polizei, diesmal aber nicht der staatlichen, sondern, was in Zeiten der Deregulierung nicht verwundert, einer privaten.
McGill kann es nicht lassen, deshalb kümmert er sich ‒ aus welchen Gründen auch immer ‒ um mehr als einen Fall, was den/die Plot/s noch unwichtiger werden lässt. In diesem Roman geht es darum, seinen Sohn Twill als würdigen Nachfolger im kriminellen wie im Detektivgeschäft einzuführen, und noch mal deutlich zu machen, wie verrottet die Bourgeoisie eigentlich ist.
Elfriede Müller
Walter Mosley: Manhattan Fever
. Ein Leonid-McGill-Roman (All I did was shoot my man, 2012). Roman. Deutsch von Kristian Lutze. Berlin: Suhrkamp 2013. 370 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mosley beim Unionsverlag metro. Offizielle Webpräsenz des Autors. Infos zu Elfriede Müller & Europolar.