Lebensbilder unangepasster Frauen
– Er ist der vielleicht unbekannteste Feminist Deutschlands. Ulrich Holbein, der Sprachspieler mit dem unglaublichen Bücher-Output, in diesem Jahr mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor ausgezeichnet, wird nicht müde, in seinen Texten zu betonen, dass das weibliche Geschlecht das bessere und trotzdem das benachteiligte sei. Tina Manske über „22+4“ neue Holbein’sche „Lebensbilder“.
Holbein beginnt sein neues Buch „Heilige Närrinnen“ mit einer Bilanzierung des im Geschlechterwettstreit bisher Erreichten: „Dass Männer statistisch in toto zehnmal aggressiver und krimineller sind als Frauen, spricht ewig gegen Männer; immerhin gibt es nicht zehnmal weniger Närrinnen, sondern bloß halb so viel.“ Umso mehr Spaß hat Holbein daran, die verbliebenen paar Frauen, die sich in der Geschichte um das Narrentum (und wir sprechen hier natürlich nicht von Büttenreden) verdient gemacht haben, in seinem Buch vorzustellen.
Und so lesen wir sehr vergnügt die Lebensbilder von unangepassten Frauen wie Hipparchia von Maroneia, ein „frühes Hippiemädchen“ der griechischen Antike, die den sexuellen Akt mit ihrem buckligen Liebhaber unter freiem Himmel vollzog. Oder von Hildegard von Bingen, deren Herz 42-jährig von Gott in Brand gesetzt wurde (und zwar wörtlich) und die jeder für heilig hält, obwohl sie niemals heiliggesprochen wurde.
Oder, näher der Neuzeit, von Nina Hagen, von der es heißt: „Weniger war für sie nie mehr, sondern meterdickes Make-up und Perückenaufbau erigierten noch höher & steiler.“ Auch bleibt nicht unerwähnt, dass Verrücktsein immer im Auge des Betrachters liegt, und das war im Laufe der Geschichte nicht immer wohlwollend; exemplarisch zeigt das das Schicksal der Bildhauerin und per Epithethon schon sprichwörtlichen „Rodinmuse“ Camille Claudel, bei der „eine leichte Abweichung als schwere Paranoia behandelt“ wurde und die also jahrelang in Klapsmühlen unter fürchterlichsten Umständen stillgestellt wurde.
Oder oder oder. Holbein verleiht dem Buch seinen typischen Ton (Neologismen wie „Masturbationspäpstin“, „Volltrance-Sprachrohr“ und „Torschlußpanikerin“ inklusive), und seinen Texten darf man alles glauben (denn es ist alles quellenhistorisch belegt) und sich trotzdem dabei amüsieren.
Tina Manske
Ulrich Holbein: Heilige Närrinnen. 22+4 Lebensbilder. Marixverlag 2012. Hardcover mit Schutzumschlag. 157 Seiten. 8,00 Euro.