Geschrieben am 7. September 2013 von für Bücher, Crimemag, Porträts / Interviews

Thomas Backs im Gespräch mit Hanno Parmentier

Hanno_Parmentier_der_wuerger_von_duesseldorfPeter Kürten ‒ Eine Chronik des Grauens

‒ Der Düsseldorfer Serienmörder Peter Kürten schockierte in den Jahren 1929/30 ganz Deutschland, seine Morde und Überfälle waren Tagesgespräch, auch im europäischen Ausland und den US-amerikanischen Metropolen bewegten die Berichte Menschen und Medien. Der Düsseldorfer Historiker und Journalist Hanno Parmentier hat sich über Monate mit den Polizei-und Gerichtsakten beschäftigt – Thomas Backs interviewte ihn zu seinem Werk „Der Würger von Düsseldorf“.

A little girl has lost her way, with hair of gold and eyes of grey. We lie beneath the autumn sky, my little golden girl and I. And she lies very still.
Aus: „In Germany Before The War“ von Randy Newman – Album: „Little Criminals“, 1977, unser Krimigedicht heute.*

Fritz Langs Film-Klassiker „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ (1931) (siehe dazu Jon J Muths Graphik Novel bei CrimeMag) kam wenige Wochen nach Peter Kürtens Hinrichtung auf die Leinwände. Handlungsort ist dort Berlin – dennoch gilt die Geschichte des Rheinländers Kürten neben der des Hannoveraners Fritz Haarmann als Inspiration. Kürtens bekannter Beiname „Der Vampir von Düsseldorf“, er spiegelt sich dabei auch in der Filmhistorie. In Spanien etwa ist Fritz Langs Meisterwerk auch unter dem Titel „M – El Vampiro de Düsseldorf“ bekannt.

El Vampiro de DusseldorfDass Hanno Parmentier für seine im Juni 2013 veröffentlichte Dokumentation den Titel „Der Würger von Düsseldorf“ gewählt hat, erscheint zunächst verwunderlich, beim Lesen dieser akribisch recherchierten Historie wird die Entscheidung durchaus plausibel. Parmentier stützt sich in seinem Werk ausschließlich auf die vorhandenen Polizei- und Gerichtsakten, der Düsseldorfer Autor fand im Landesarchiv Nordrhein-Westfalens einen reichhaltigen Fundus. Zu den Aufzeichnungen über Kürtens neun Morde kommen mehrere Dutzend Berichte zu Mordversuchen, die in den Akten festgehalten sind.

Auf Legenden und Analysen wird hier bewusst verzichtet, eine Chronik des Grauens ist „Der Würger von Düsseldorf“ dennoch. Parmentier wählt dabei einen Weg, der sein Sachbuch von einer reinen Kriminalhistorie abhebt. Indem er die Lebenssituation der Opfer untersucht, die extrem harten Bedingungen in den späten Jahre der Weimarer Republik schildert, werden die Zeit der Weltwirtschaftskrise und die Schicksale der Menschen greifbar. Gute Gründe für ein Interview mit dem Autor.

Thomas Backs: Hallo Herr Parmentier. In „Der Würger von Düsseldorf“ steckt eine Menge Arbeit und Recherche. Was hat Sie dazu bewegt, sich für dieses Buch derart intensiv mit dem Leben des Peter Kürten zu beschäftigen? Gab es einen Auslöser, einen entscheidenden Moment, in dem Sie für sich entschieden haben: „Ja, jetzt muss ich dieses Projekt einfach verwirklichen.“?

Hanno Parmentier: Die Wahrheit ist etwas prosaischer. Zur Kenntnis genommen habe ich das Kürten-Thema vor rund 15 Jahren. Beschäftigt habe ich mich damit anfangs allerdings nur gelegentlich und nicht sehr tiefgehend. Ein erstes Aha-Erlebnis war mein Umzug in den Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim. Das war 2006. Plötzlich waren da überall Kürten-Orte um mich herum. Ich begann dann systematisch, aus der vorhandenen Sekundärliteratur Angaben zu sammeln, wo er gewohnt hat und gearbeitet zum Beispiel, und synoptisch zu ordnen. Und alle topografischen Angaben zu den Tatorten selbstverständlich. So entstand ein erstes Gerüst. Dann kam der Auslöser, den Sie vielleicht meinen: Ich erfuhr, dass alle Kürten-Akten noch existieren und in Düsseldorf liegen. Diese Gelegenheit ließ ich nicht aus und es entstand – nur um nicht ausschließlich für den Papierkorb gearbeitet zu haben – ein Vortrag. Und nach dem Vortrag war klar: Das muss ein Buch werden. Das war im September 2012. Da hatte ich das Material für das Buch aber schon zu fast zwei Dritteln zusammen.

TB: Sie waren Dauergast im Landesarchiv NRW. Wissen Sie, wie viele Tage und Stunden Sie insgesamt in die Recherche und Produktion gesteckt haben?

HP: Das kann ich wirklich nicht sagen. Schon deshalb, weil recht schnell klar wurde, dass ich hätte Jahre dort verbringen müssen, um alles Wichtige zu exzerpieren. Ich bin dann dazu übergegangen, mir von allen wichtigen Dokumenten, Skizzen und Fotos Scans anfertigen zu lassen, die ich dann zu Hause bearbeiten konnte. Und da habe ich manchmal Tage am Stück, auch ganze Nächte gesessen und gelesen, historische Stadtpläne studiert und über die zahlreichen Rätsel gegrübelt, die mir manche Aktenstellen bereitet haben. An ein Stück gereiht, ist das sicher ein halbes Jahr.

TB: Der Fall Peter Kürten bewegte die Menschen in den Jahren 1929–31, liegt also eine halbe Ewigkeit zurück. Trotzdem muss ich Sie als Experten fragen: Gab es aus Ihrer Sicht im Rückblick einen Moment, in dem das Morden und Wüten des Herrn Kürten frühzeitig hätte beendet werden können? Schließlich hat der Mann mit der Öffentlichkeit „Katz & Maus“ gespielt, dabei waren sehr viele Menschen im Spiel. Ist Kürten immer mit Leichtigkeit entkommen, oder stand er während der im Buch beschriebenen Monate auch mal kurz vor der Verhaftung?

HP: Die Düsseldorfer Polizei war nicht so schlecht, wie sie in vielen Büchern immer wieder gemacht wird. Vor allem der Berliner Kriminalexperte Ernst Gennat führte, als er im Herbst hierher beordert wurde, in Düsseldorf hochmoderne Ermittlungsmethoden ein. Es gab sogar schon so etwas wie eine Rasterfahndung und Kürten geriet auf diese Weise auf eine Ermittlungsliste. Aber die Befragungen der Beamten bei Nachbarn und Kollegen ergaben: absolut netter und unauffälliger Mann. Auf keinen Fall ein Krimineller. Nein, solche Momente hat es nicht wirklich gegeben. Selbst der berühmte Brief, der ihn angeblich entlarvte, wäre völlig folgenlos geblieben, wenn Kürten nicht selbst und ohne Not den unverzeihlichen Fehler begangen hätte, die Briefschreiberin mit in seine Wohnung zu nehmen.

TB: Peter Kürtens Exzesse bewegten Düsseldorf und die Welt in den späten Jahren der Weimarer Republik. Gab es in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland eigentlich noch einmal vergleichbare Fälle, die ebenfalls zu einem derartigen Medienereignis wurden?

HP:
So wie Kürten wohl nicht. Ganz entfernt erinnere ich mich an den Fall von Jürgen Bartsch, der 1966 vier pädophil begründete Morde an Jungen zwischen acht und 13 Jahren verübte und als ‚Kirmesmörder‘ berühmt wurde. Kürten mordete aber Kinder, Frauen und einen Mann und das alles auf Öffentlichkeit berechnet: Er wollte ja – anders als die anderen berühmten Serientäter wie Haarmann, Großmann oder Denke – den öffentlichen Schock ausdrücklich provozieren. Das hat sonst außer ihm nie jemand, jedenfalls hier in Deutschland, je gemacht. Er versetzte wirklich die ganze Gesellschaft und alle Altersgruppen in Schrecken, nicht nur die Eltern Heranwachsender.

TB: Fritz Langs Klassiker „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ (1931) hat zwar Berlin als Handlungsort, gilt jedoch als direkte Verarbeitung des Düsseldorfer Falls, der damals inklusive Prozess und Hinrichtung im ganzen Land verfolgt wurde. Wie sehen Sie diesen Film heute, nachdem Sie sich derart intensiv mit Kürten beschäftigt haben?

HP: Als Film spannend und erregend; als Kürten-Stück eher reserviert zumindest in Bezug auf den Mörder. Kürten war mit seiner sehr kühlen und berechnenden Art als Charakter das genaue Gegenteil von dem, was Peter Lorre spielt. Eine Szene wie die, wo der Mörder aus „M“ sich entsetzt mit dem Grauen in seinem eigenen Kopf auseinandersetzt, ist bei Kürten völlig unvorstellbar.

TB: Auch in der Literatur diente der „Würger von Düsseldorf“ als Inspiration. Gibt es Werke, die Sie empfehlen können?

HP: Da muss ich passen. Ich kenne ohnehin nur den noch recht aktuellen Roman „Mitgegangen“ von Jürgen Ehlers, der ganz sachkundig ist, aber das literarische Niveau, das ich von Kriminalliteratur erwarte, bei weitem nicht erreicht. Das ist – zugegeben – allerdings Geschmackssache. Überhaupt lese ich schon seit längerem keine Romane mehr, auch keine Krimis.

TB: Als Düsseldorfer kennen Sie Ihre Heimat sehr gut, auch Kürtens „Revier“ zwischen City und dem Stadtteil Gerresheim. Sind Sie während Ihrer Arbeit an diesem Sachbuch bei der Rekonstruktion des Falls auch auf andere, bisher verborgene Geschichten gestoßen, die Sie als Historiker verblüfft haben und die deshalb erzählt werden sollten?

HP: Zunächst mal bin darauf gestoßen, dass die Kürten-Sache eher zur Sozialgeschichte Düsseldorfs gehört als zur Kriminalgeschichte. Und in diesem Zusammenhang habe ich beim Studium der einzelnen Überfälle und Morde Figuren kennengelernt, die Stoff zum Erzählen ohne Ende bieten. Da stecken ein paar biografische Skizzen von weiblichen Überfall-Opfern drin, die spannend zu erzählen wären.

TB: Was macht der Autor Hanno Parmentier als Nächstes? Ein weiteres Düsseldorf-Buch, oder gibt es andere Pläne?

Peter Kürten, dem Massenmörder von Düsseldorf, wurden 9 Morde und 7 Mordversuche zur Last gelegt.

Peter Kürten, dem Massenmörder von Düsseldorf, wurden 9 Morde und 7 Mordversuche zur Last gelegt.

HP: Erst mal muss der Kürten einigermaßen zu Ende abgearbeitet werden. Ich habe Vortragstermine zum Buch bis Februar und soll demnächst auch vor Fachleuten über meine Erfahrungen mit der Nutzung öffentlicher Archive berichten. Außerdem träume ich davon, mal eine richtige Biografie über Kürten zu schreiben; dazu wäre mein Buch allenfalls eine Fingerübung. Dann sind da diese Opfergeschichten. Der Fall, genauer: Das Leben der bei ihrem Tod 22-jährigen Elisabeth Dörrier öffnet weit ein Tor in eine Sozialgeschichte junger Frauen aus ländlichen Gebieten, die sich in der Großstadt verdingen, um hier das große Glück in Gestalt eines sozial passabel gestellten Mannes, am besten Beamter, zu finden und eine Familie zu gründen. Aber, so merkwürdig das auch klingen mag, auch die Siedlungs- und Verkehrsplanung Düsseldorfs zwischen beiden Kriegen hat sich aus der Kürten-Recherche als Abfallprodukt ergeben. Und dann wäre da noch das schon länger anvisierte Projekt einer Lebensbeschreibung meines Großvaters mütterlicherseits – aber das wäre dann eine Neusser und keine Düsseldorfer Geschichte.

TB: Vielen Dank für das Interview, Herr Parmentier.

Thomas Backs

* Randy Newmans Frau Roswitha stammt aus Düsseldorf. So fand Kürten seinen Platz auf dem Album „Little Criminals“ (1977).

Hanno Parmentier: Der Würger von Düsseldorf. Leben und Taten des Serienmörders Peter Kürten. 192 Seiten. 40 Bilder (Schwarz-Weiß). Erfurt: Sutton Verlag, 2013. 12,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch und zu Hanno Parmentier. Mehr zu Thomas Backs. Foto: Peter Kürten wikimedia commons.

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