Geschrieben am 22. März 2014 von für Bücher, Crimemag

Stephan Kaluza: 30 Keller

Stephan Kaluza_30 KellerRonaldo entführt Meisner

– Irgendwie scheint es schwer in Mode gekommen zu sein, andere Leute im Keller zu halten. Im richtigen Leben und in Romanen. Wir konstatieren das erst mal. Vielleicht gibt es sogar ein neues Subgenre – den Leute-im-Keller-Krimi. Anne Kuhlmeyer hat „30 Keller“ von Stephan Kaluza gelesen.

Meisner ist Multimilliardär. Kurz vor Weihnachten wird er von seinem Maybach am Genfer See entlang zu seiner Multimilliardärsvilla geschaukelt. Meisner ist naturgemäß einer, der alles hat. Neben den Dingen hat er eine Ehefrau, die er erschlagen möchte und überhaupt noch nie leiden konnte, ebenso wie seinen Chauffeur und diverse andere Leute. Er ist ein Misanthrop wie Scrooge aus Dickens’ „Weihnachtsgeschichte“, nur nicht so geizig, zumindest sich selbst gegenüber nicht. Im Wagen denkt er einen Moment darüber nach, ob er nicht seine alte Liebe – 50 Jahre hat er sie nicht gesehen – anrufen sollte, denn am Folgetag wird er sich einer Operation unterziehen müssen, nichts Schlimmes eigentlich, heißt es. Doch das bedrohliche Wort „Krebs“ lauert. In der rundum gesicherten Villa angekommen, wird er gepackt und … findet sich in einem Keller wieder.

Schlappe 10 Milliarden

Sein Entführer, der sich Ronaldo nennt (Fußballer ist er nicht), lässt es ihm an nichts fehlen. Lieblingsspeisen, Lieblingsmusik, Lieblingszigarren. Er weiß alles, also ALLES über Meisner. Und erpresst ihn um irre 10 Milliarden, das Back Budget des Konzerns, das für „Notfälle“, wie Korruption z. B., vorgesehen ist. In den Tagen darauf lernt Meisner in Gegenwart des stilvollendeten Ronaldo die Ohnmacht kennen. Gespräche verweben sich mit Träumen, mit Erinnerungen, mit … Raum und Zeit verschwimmen.

Wozu braucht der smarte Ronaldo die Milliarden? Er ist nicht einfach ein krimineller Typ oder etwa ein Terrorist mit nachvollziehbaren egoistischen Zielen, auch mit altruistischen nicht. Er ist ein Prinzip, ein System, der Gegenentwurf zum Mehrwert, er ist das Scheitern. Ausgestattet mit der universellen Macht des Scheiterns, strebt er Zerstörung an. Damit rangiert er außerhalb von Meisners Vorstellungswelt. „Teufel“ nennt er den Kidnapper einmal und bezeichnet die Unmöglichkeit, die Destruktion als Option zu Ende zu denken.

Unter den zugegeben luxuriösen Haftbedingungen bleibt Meisner eine Wandlung nicht völlig erspart. Immerhin erinnert er sich. Daran, dass er nicht von jeher und ausschließlich der Mistkerl war, zu dem er sich gemacht hat. Irgendwann einmal hat er geliebt. Allerdings war diese Liebe ein Meilenstein an einem Scheideweg, wie er sich eingestehen muss. Oder besser: wie ihm verständlich gemacht wird. Von einem fixen Kerlchen auf einem Baum über einem Fluss – wieder ein Traum.

Gigantomanie

Würde man Meisner als einzelne Figur lesen, wäre er ein dümmlicher, ziemlich naiver Pappkamerad. Besser kann man alle Figuren in dem Roman als Anteile eines individuellen Universums, als Teile eines Selbst, verstehen, denn dann werden Motive, Handlungen und Befürchtungen ausgelotet, wie sie eben vorkommen im Individuellen. Und nicht nur da.

Am Immer-Mehr, Immer-Größer, Immer-Mächtiger, am Gigantomanen wird die Frage nach dem gesellschaftlichen Wohin gestellt, es wird nach neuen Werten und Wegen gefragt. Konkrete Antworten bleiben uns erfreulicherweise erspart.

Stephan Kaluza entwickelt eine ganz eigene, mystische, traumhafte Welt, um die unsere zu beschreiben. Sprachlich mag der Roman nicht eben ein Juwel schriftstellerischer Meisterschaft sein. Er bespiegelt nicht die Sprache als Selbstzweck. Er hat Komisches, Verdrehtes, Absurdes, und vor allem Wesentliches zu erzählen.

Anne Kuhlmeyer

Stephan Kaluza: 30 Keller. Roman. Frankfurt am Main: Frankfurter Verlagsanstalt 2014. 127 Seiten. 17,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zum Autor. Zur Homepage von Anne Kuhlmeyer & zum Blog.

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