Geschrieben am 4. Februar 2012 von für Bücher, Crimemag

Shumeet Baluja: Silicon Jungle

Im Daten-Dschungel

– Shumeet Baluja, Chefentwickler bei Google und Dozent am Robotics Institute der Carnegie Mellon University, verfasst mit „Silicon Jungle“ einen Thriller über Datenmissbrauch bei einer fiktiven Suchmaschinenfirma. „Glaubwürdig und erschreckend“, urteilt Google-Vizepräsident Vint Cerf. Eine unternehmerische Selbstkritik in Romanform?, fragt sich Kerstin Schoof.

Stephen Thorpe ist als Dotcom-Gründer mit seiner Firma SteelXchange gescheitert. Unfähig, sich beruflich neu zu orientieren, jobbt er in einem Ökomarkt im Silicon Valley – bis er Molly kennen lernt, die ihn zu einem Praktikum beim Suchmaschinenriesen Ubatoo ermutigt. Stephen bekommt die Stelle und findet sich im Paradies der Workaholic-Nerds wieder: In der Entwicklungsabteilung herrscht frenetisch-motivierte Hochspannung, nur die kreativsten Köpfe der IT-Branche schlagen sich bei Ubatoo die Nächte um die Ohren. „Was er vor allem spürte – so deutlich, als könnte er es sehen –, war die rohe, geballte Intelligenz, die hier am Werk war“. Fasziniert wird Stephen hineingezogen in den verführerischen Sog des Ubatoo-Universums. Wie alle Praktikanten der Data Mining-Gruppe hat er sofort unbegrenzten Zugriff auf den gesamten Datenpool des Unternehmens. Während er über seine Kollegen den Kopf schüttelt, die diese Allmacht nutzen, um ihren Ex-Freundinnen hinterher spionieren, arbeitet Stephen an einem Auftrag für die Bürgerrechtsinitiative ACCL, die American Coalition of Civil Liberty. Um zu verhindern, dass Menschen unschuldig auf eine Überwachungsliste der National Security Agency geraten, verlangt die ACCL die Daten aller Ubatoo-Nutzer, deren Profil sie in den Augen der Staatsschützer verdächtig machen könnten. Und Stephen liefert …

Shumeet Baluja (Quelle: Facebook)

Don’t be evil

Shumeet Balujas Romandebüt ist ungefähr so zwiespältig wie seine Haltung gegenüber dem Datenschutz im Internet: „Silicon Jungle“ spiegelt die Faszination des Autors für die enthusiastische Erfindungswut des Silicon Valley ebenso wider wie sein Unbehagen angesichts der immer stärkeren Konzentration und Vernetzung von persönlichen Daten in der Hand einzelner Großkonzerne. So lässt er Ubatoos zweifelhaften Umgang mit sensiblen Daten bis zu einem bitteren Ende eskalieren, in das mutmaßliche Terroristen, der Heimatschutz und die politikwissenschaftliche Forschung von Stephens Freundin Molly involviert sind. „Silicon Jungle“ handelt letztlich von einer Verkettung unglücklicher Umstände,  bei der alle Beteiligten es doch nur gut gemeint haben – und zielt damit auf das idealistische Selbstverständnis ab, das hinter Googles informellem Motto „Don’t be evil“ oder dem Prinzip der Freundschaftspflege in sozialen Netzwerken steht.

Für Baluja liegt das Problem jedoch nicht bei einzelnen Akteuren, sondern im gesellschaftlichen Umgang mit der systematischen Datenaggregation im Netz. Während der Autor in Interviews mit dieser differenzierten Herangehensweise überzeugt, führt sie im Roman zu oft diffusen, wenig glaubhaften Charakteren und einem Plot, dem die Aussagekraft fehlt. Von Upton Sinclairs „The Jungle“ inspiriert, der 1906 die katastrophalen Zustände in der Fleischkonservenindustrie Chicagos anklagte, weist Baluja auf die Missstände der Internetbranche hin – und ist als Insider doch eigentlich zu nah dran, um eine konsequente Kritik zu formulieren. Schließlich ist „Silicon Jungle“ immer dann am spannendsten, wenn er den Firmenalltag bei Ubatoo und die Projekte übereifriger Praktikanten beschreibt.

Kerstin Schoof

Shumeet Baluja: Silicon Jungle (The Silicon Jungle, 2011). Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Berlin: Suhrkamp 2012. 370 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.  Interview mit dem AutorWebsite von Shumeet Baluja.

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