Sebastian Fitzek goes Manila
‒ Für subtile Literatur ist Sebastian Fitzek nicht unbedingt bekannt, für schaurige Metzelorgien mit chuzpe-haften Cliffhangern schon eher. Umso wunderlicher, dass er sich jetzt eher an einem Polit-Thriller versucht: „Noah“. Fitzek-Fan Thorlef Czopnik findet milde Worte …
„Noah“ heißt das neue Werk von Sebastian Fitzek und Noah heißt auch der Protagonist, der in diesem Thriller von Berlin über Amsterdam nach Rom irrt und dabei nicht nur seine eigene Identität findet, sondern auch einer weltumspannenden Verschwörung aufdeckt. Markant dürfte sein, dass Fitzek, der sich bislang eher im Bereich „Psychothriller“ getummelt hatte, nun von der Linie abgelassen hat (vorläufig jedenfalls) und hier wohl eher ein Action- oder Agententhriller (was auch immer das heißen soll, hier fliegen jedenfalls einige Kugeln) geschrieben hat.
Noah hat keine Erinnerungen an sein altes Ich und findet sich fest umklammert von der Winterkälte in Berlin bei einem Obdachlosen mit dem Namen Oscar wieder. Oscar selbst ist von Verschwörungstheorien besessen. Nachdem Noah ein Flashback durch eine Zeitungsanzeige bekommt, sich Stück für Stück erinnert beginnt die Jagd nach ihm. Zuerst im Hotel Adlon, dann in einem Elektronikmarkt, darauf nach Amsterdam, bis er letztlich in Rom landet. Immer an seiner Seite ist Oscar, der Obdachlose, zudem eine hochschwangere Journalistin, später im Verlauf des Romans noch ein eigentlich feindlicher Agent und die Suche nach dem eigenen Ich.
Kalter Kaffee?
Wenn sich das Karussell der Fantasie im Kopf eines Lesers beginnt zu drehen, man Szene für Szene vor seinem geistigen Auge sieht, dann ist dies normalweise ein gutes Zeichen für ein Buch. Immerhin schafft es der Autor, Bilder in die Köpfe seiner Leser zu feuern. Bei „Noah“ entstehen diese Bilder, weil man sie kennt, jedenfalls ansatzweise:
Kampfszenen ähneln denen von Jason Bourne oder den actionisierten Filmen von Sherlock Holmes. Auch der Film „Memento“ findet neben „Outbreak- Lautlose Killer“ seinen Platz in Fitzeks Kosmos.
Es wird geschossen, geflohen, gejagt, kombiniert, sich mit unzähligen Kampfsportarten verteidigt, wenn die halbautomatischen Waffen keine Munition mehr haben und am Ende stehen dann die Männer im Hintergrund, die letztlich die Lösung präsentieren. Fitzek setzt hierbei noch eine Variable ein: Ein tödliches Virus, das absichtlich freigesetzt wurde, um die Überbevölkerung zu stoppen und dies erinnert wiederum an „Inferno“, von Dan Brown.
All diese Parallelen lassen kalten Kaffee vermuten oder einen warmen Aufguss von zig anderen Ideen, die nun miteinander verwoben, den nächsten Thriller ergeben.
Nicht ganz versenkt
Das Actionspektakel hat sicherlich seine Längen, jedoch auch seine glänzenden Momente. Gerade was die Spannungsmomente betrifft, schafft es Fitzek hier, mit den kurzen Kapiteln und den – sonst so inflationären – Cliffhangern ein hohes Tempo zu gehen.
Was den Roman aber eigentlich davor rettet, ein durchschnittlicher Verschwörungsthriller zu werden, ist die Tatsache, dass Fitzek zweierlei macht:
1) Die Verschwörungstheorien formt er zu einem anscheinend logischen Konstrukt, das lebt und nicht als starres, marodes Gebilde daherkommt, wie man es gerade bei Dan Brown oftmals erlebt, wenn man nur einmal recherchiert und dann auf die Misstöne der jeweiligen Theorie stößt. Das ist bei Fitzek anders, weil er neben den gängigen Theorien noch fiktionale Elemente einfließen lässt und so pappige Verschwörungstheorien umfunktioniert, aber auch nicht so sehr ausreizt, dass das Buch allzu kindisch, albern und monoton wird.
2) Das eigentliche Highlight oder Prunkstück des Romans sind die kurzen, aber nicht minder eindrucksvollen Kapitel über eine Familie am Rande einer Mülldeponie in der Gegend von Manila. Hier zeigt sich das wirkliche Grauen. Eine klaustrophobische Atmosphäre aus brennender Sonne, keinerlei Hygiene und der Gestank von Fäulnis zwischen Wellblechhütten, panischen Menschenmassen und dem Militär, dass die Bewohner einkesselt und dem Virus schutzlos ausliefert. Diese Gegebenheiten zeigt Fitzek, ohne dabei in irgendwelche Schubladenklischees abzudriften, sondern direkt und nüchtern, ohne Firlefanz und dergleichen. Und das macht wesentlich mehr Eindruck als neunzig Kugeln in der Minute oder waghalsige Fluchtmanöver. Das bildet die solide Basis und fängt die Überspannung etwas ab.
Man kann „Noah“ getrost lesen, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, dass man sich hier einen Trash-Thriller reinpfeift. Man liest einen Unterhaltungs-Thriller, der seine Stärken nicht in der Handhabung des suspense hat, sondern in der Darstellung der globalen Loser.
Das Szenario einer weltumspannenden Verschwörung setzt Fitzek gut um, die Action ist etwas „too much“, zu konstruiert, weshalb „Noah“ nur ein guter Thriller ist, der aber Spaß macht. Dafür ist er letztlich auch ausgelegt.
Thorlef Czopnik
Sebastian Fitzek: Noah. Roman. Köln: Lübbe 2013. 560 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch und mehr zum Autor.