Geschrieben am 17. Mai 2016 von für Bücher, Crimemag

Roman: Candice Fox: Hades – Zwei Perspektiven

cover_Hades_46673Ein Buch – zwei Perspektiven:
Katja Bohnet und Max Annas über „Hades“ von Candice Fox.

Sie beide sind schon selbst mit Kriminalromanen in Erscheinung getreten und es hat sie beide interessiert, wie Candice Fox das macht. Deshalb überlassen hier wir Katja Bohnet und Max Annas das Feld.

Serienmörder unter sich

Von Katja Bohnet

Im Oktober 2006 wurde die TV-Serie „Dexter“ zum  ersten Mal ausgestrahlt. Ein Serienkiller arbeitet wie seine Schwester bei der Polizei. Sie ist ein knallharter Cop, er, Dexter Morgan, verdient seine Brötchen dort als Blutspurenanalyst. Nebenbei beseitigt er den Abschaum der Gesellschaft: Täter, die dem Gesetz entkommen sind. Dieser Mörder gibt einen hingebungsvollen Vater und Freund ab. Er ist ein Meister der Verstellung mit dem Hobby Mord. „Americas Favourite Serial Killer“ bewirbt der Sender Showtime seinen Star. „Hades“ von Candice Fox folgt diesen Motiven auf dem Fuß. Unübersehbar sind die Parallelen: Schauplatz Miami oder Sydney, Städte am Meer, Täternamen „Bay-Harbor-Metzger“ oder „Schlachter“, Mörder als Ermittler bei der Polizei. In Fox’ Debüt arbeiten gleich zwei Killer als Detectives bei Sydneys Ordnungshütern. Genau wie in der Serie sind die Geschwister Eden und Erik gut, sehr gut in ihrem Fach. Was eine bizarre Frage aufwirft: Warum sollten Mörder nicht auch hervorragende Bullen sein? Niemand kennt das Geschäft so gut wie sie.

 Die Killer aus der Nachbarschaft

Erzählt wird „Hades“ in drei groben Handlungssträngen. Man findet in Kisten unter Wasser Leichen, neunzehn an der Zahl, die grausam getötet, zerhackt und ausgeweidet worden sind. Ein Mörder ist in den schwunghaften Handel mit Organen eingestiegen, offensichtlich ein Spezialist, den sie bald „den Schlachter“ nennen werden. Die Exoten Erik und Eden ermitteln zusammen mit anderen gesichtslosen „Eulen“ der  Mordkommission. Edens Partner ist auf unschöne Art und Weise vor ihren Augen umgekommen, und hier kommt Cop Frank ins Spiel. Der rotzige Ich-Erzähler (zweiter Handlungsstrang) ist neu in der Abteilung und als Nachfolger des aus dem Leben geschiedenen Kollegen vorgesehen. Frank ist ein Aufschneider, der in die Jahre gekommen ist, ein verkappter Komiker und Frauenheld, der eine traumatische Vergangenheit und Probleme mit Verantwortung hat. Eden fasziniert ihn genauso wie er Erik, ihren provokativen, unberechenbaren Bruder, hasst, weshalb er anfängt, im Leben der beiden herumzuschnüffeln. Was uns zum dritten Handlungsstrang bringt: Eriks und Edens Vergangenheit, die in Rückblicken linear beleuchtet wird.

Die Geschwister wurden als Kinder selbst zu Opfern. Sie überlebten den Mord an ihren Eltern knapp. Hades Archer, der sich als eine Art „Ausputzer“ der städtischen Verbrecher-Szene verdingt, nimmt sich ihrer an. Der Philanthrop entsorgt normalerweise Leichen auf seiner Deponie, ist aber ansonsten kunstaffin und ein Bücherwurm. Der „Herrscher der Unterwelt“ pflegt die Kinder, erzieht und unterrichtet sie, kommt so zu späten Vaterfreuden. Eden betätigt sich wie Hades künstlerisch und tritt so das Erbe ihres Ziehvaters an. Die Außenseiter sind in der Schule zwar nicht beliebt, aber brillant. Weil Kinder es ihren Eltern selten leicht machen, wird auch Hades seine Wohltat nicht gedankt. Eriks und Edens Psyche hat einen mächtigen Knacks bekommen — wen wundert es? Um ihre Aggression zu lenken, die sich immer wieder Ventile sucht, lässt der Vater sie früh in Medizin, Ballistik, Kriminalistik, Forensik und Psychologie ausbilden. Nach einigen unerfreulichen mörderischen „Zwischenfällen“ verlangt er, dass seine Wolfskinder zumindest verstehen, was sie treibt, weshalb sie in dem Wunsch nach Sicherheit eine Karriere bei der Polizei in Sydney einschlagen. „Dexter“ lässt grüßen, denn wo sucht man weniger nach einem Mörder als bei der Mordkommission?

In Blut getauft

Das wird straff erzählt, eingängig, hart und ohne viel Tamtam. Erfreulicherweise ist nichts an Candice Fox’ Stil überladen; die Spannung hält. Zentraler Schauplatz: eine Müllkippe in Utulla. Menschlicher Müll, Friedhof der Dinge, der Wert des Abfalls, was Menschen verschwinden lassen wollen: ein Spektrum voller Deutungsmöglichkeiten eröffnet sich. Das Praktische: Weil Täter und Ermittler in einigen Fällen deckungsgleich sind, bleibt das Personal überschaubar und eindringlich. Alle sind verzweifelt, irgendwie. Botschaft des Romans: Der intrinsische Faktor des Verbrechens besteht in seiner Ansteckungsgefahr. Gewalt gebiert Gewalt und jede Menge Blutvergießen, was Fox die Leser spüren lässt. Verstörend wirkt nicht die Grausamkeit an sich, sondern viel mehr die emotionale Not der Menschen, die diese verursachen. Was auch bei „Dexter“ nachdenklich stimmt, ist das Verständnis, das Leser oder Zuschauer einem Mörder entgegenbringen können, der — als Kind in Blut getauft — mit Gewalt groß wurde und nicht anders als nur morden kann. Die Milde barmherziger Menschen vermag in TV-Serie und Buch aus brutalen Tätern im besten Falle Rächer mit Bewusstsein zu machen. Ausweglos bleibt der Spagat der Figuren zwischen Solidarität und Drang, Liebe und Mord, Tabubruch und Moral.

Von Menschen und Morden

Candice Fox erfindet das Rad nicht neu. Im Zweifel nennt man es Zitat. Manchmal scheint, wie zum Beispiel in der Wahl des Schauplatzes beim Shootout durch, dass die Autorin die Register des Kriminalromanes kennt und nutzt. Gelegentlich hart an der Grenze zum Klischee. Das Genre wird direkt und klassisch durchgespielt. Das letzte bisschen Sex fehlt jedoch, das Tüpfelchen auf dem i, das Verquere, Besondere. Dass die Erzählperspektiven wechseln, erfreut als passende Schablone für eine facettenreichen Welt, die auf diesem Weg mehr als nur eine Stimme erhalten kann. Mord, Mendel und Kunst gehen in „Hades“ eine attraktive Verbindung ein. Dafür gab es 2014 in Australien für „Hades“ den Ned Kelley Award für das beste Debüt.

Ein Preis für eine Frau, die — Völker, hört die Signale! — blutige, harte, total unpsychologische Spannung schreibt. In diesem Roman werden Opfer zu Tätern und umgekehrt. Keine Figur kann an etwas festhalten, das von Bedeutung ist. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verwischen sich, sie werden durchlässig. So bildet sich die Gesellschaft ab. Was interessante (Kriminal)Literatur vermag, ist, das Gerücht zu streuen, dass Dunkelheit und Hoffnung Blutsverwandte sind, dass Gewalt einem System entspringt, dass Ordnung und Gerechtigkeit nur als unzuverlässige Stützen taugen, wenn das Chaos in die Welt einbricht, und dass unter jeder Schicht der Erkenntnis noch eine andere Schicht liegt. Bald wird der zweite Teil der Reihe „Eden“ bei Suhrkamp folgen, ebenfalls in Australien preisgekrönt. Der klassischen Tragödie entlehnt funktioniert in „Hades“ die Stadt Sydney wie eine Bühne für Menschen und deren Leben und Morden zwischen Abgrund und Moral. Ein Spiegelkabinett.

Katja Bohnet

Offenlegung: „Hades“ von Candice Fox erschien am 9. Mai in der von CrimeMag-Herausgeber Thomas Wörtche verantworteten Reihe im Suhrkamp Verlag. Katja Bohnets Kriminalroman „Messertanz“ ist im Dezember 2015 bei Droemer Knaur erschienen.

Candice Fox: Hades. Kriminalroman. Aus dem australischen Englisch von Anke Caroline Burger. Herausgegeben von Thomas Wörtche. Suhrkamp Taschenbuch, Berlin 2016. Klappenbroschur. 343 Seiten, 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.


K1024_Candice FoxSchritte zur Seite

Von Max Annas.

Herrlich, wie viele Dinge man über Candice Fox´ Erstling „Hades“ behaupten kann. Das Buch ist ein Cop-Thriller. Stimmt. „Hades“ ist ein Whodunit. Richtig. Serial Killer am Werk. Haken dahinter. Das Buch ist kein Cop-Thriller. Stimmt auch. „Hades“ ist kein Whodunit. Absolut richtig. Um Serial Killer geht’s gar nicht. Ganz genau. Eine Freude das Spiel mit den Konventionen, sie zu erfüllen, irgendwie, haarscharf daran vorbei und oft fast in die Mitte gezielt. Aber halt nur fast. Und um Rache geht es auch, und das wirklich nicht nur nebenbei.

Hades ist Heinrich Archer, der Chef einer Mülldeponie bei Sydney. Er ist die Titelfigur, aber nicht der Protagonist, wenn man in Erzählstimmen und Präsenz auf den Buchseiten denkt. Dafür kickt Hades den Plot los, denn ohne seine Rettungstat, in dunkelster Nacht, wären Eden und ihr Bruder Eric nicht mehr am Leben. Sie haben bei Hades eine Erziehung genossen, die nicht exakt so verlaufen ist wie die anderer Kinder, und jetzt arbeiten sie bei Mordkommission.

Ein Junkie rettet sich aus dem Ozean, angekettet an eine Metallkiste hätte er ersaufen sollen. So aber wird die Kiste entdeckt und andere noch dazu. Leichen in ihnen versteckt, ausgeweidet für Organtransplantationen. Frank Bennett wiederum ist Edens neuer Partner, der alte ist unter dubiosen Umständen abgelebt. Seine Perspektive bestimmt weite Strecken des Buches. Er betrachtet die Geschwister mit einer Mischung aus Misstrauen und Begehren, detektivischem Eifer und klammheimlicher Bewunderung.

Erzähllogiken lustvoll zerhauen

Fox erzählt „Hades“ auf zwei Zeitebenen. Die Kindheit von Eden und Eric führt langsam in die Zeit des aktuellen Plots um die Ermittlungen in Sydney. Dabei spielt Fox mit plot holes, Auslassungen, weil sie die Frage, wie diese Kinder später tatsächlich zur Polizei kommen können, nicht interessiert. Hades sagt ihnen, dass sie zur Polizei gehen werden. Also gehen sie zur Polizei. In einem gewöhnlichen Roman wäre ihr Geheimnis DAS Geheimnis des Buches gewesen, das am Ende alle Lesenden verblüfft. What a twist, oder sowas. Aber das haben wir ja alle schon gelesen, nicht wahr? Diese Erzähllogiken zerhaut Fox mit großer Freude, und mit beträchtlicher Aggressivität. Niemand studiert hier murder books oder achtet bei Verhören auf verräterisches Wimpernzucken. Frank Bennett ist sowieso zu sehr damit beschäftigt, die Geschwister zu verstehen, ihnen hinterher zu ermitteln, sich zu verlieben und ganz allgemein schlechte Entscheidungen zu treffen. Wer kann da schon noch ordentlich ermitteln?

Im Club mit Lauren Beukes & Sara Gran

„Hades“ entwickelt bei der Jagd zwischen Cop-Roman, Rachestory und Whodunit ein irres Tempo. Ganz locker treibt Fox das Lesen an mit ihrer schönen Genrekenntnis, die sie dann unterläuft. Da fehlt nie viel, um die Konventionen tatsächlich zu bedienen, aber immer genug, um zu zeigen, dass es darum nicht gehen soll. Die Autorin macht immer rechtzeitig einen Schritt zur Seite und erinnert mich darin an zwei andere in englischer Sprache arbeitende Autorinnen, die Genre annehmen, um aus ihm herauszutreten. Das sind die Südafrikanerin Lauren Beukes, die in „Zoo City“ die humane Kommunikationswelt um Tiere erweitert, und die US-Amerikanerin Sara Gran, bei der Ermittlungen nicht in die übliche Schnüffelei ausarten, sondern mehr mit Konzentration und ganz allgemeinem Sicheinlassen zu tun haben. Alle drei Autorinnen kennen die Grundlagen des Spiels und nutzen es für sich und ihre Zwecke. Keine von ihnen folgt den tradierten Mustern. Und alle drei schreiben Bücher, die wie Innovationen wirken in einem Rahmen, in dem zu lange zu viel wiederholt worden ist. Außerdem verfügen alle drei auch noch über ganz schön viel Witz. Es ist ein Vergnügen, große Freude, ein Spaß, ihre Arbeiten zu lesen. Dabei sind sie allerdings auch wieder so unterschiedlich, dass es sich verbietet, auf der Grundlage ihrer Bücher eine neue Welle oder gar Bewegung auszurufen. Sie sind einfach nur sehr gute Autorinnen.

„Hades“ ist der Auftakt zu einer Trilogie, im Herbst und Frühjahr geht es schon weiter. Nach diesem Erstling voller Mut, Witz und Chuzpe sind die Erwartungen jetzt schon ganz schön hoch. Hoffen wir mal, dass die junge Autorin neben ihrem PhD (literary censorship and terrorism!) noch ordentlich Zeit für neue Projekte findet.

Max Annas

Offenlegung: „Hades“ von Candice Fox erschien am 9. Mai in der von CrimeMag-Herausgeber Thomas Wörtche verantworteten Reihe im Suhrkamp Verlag. Im Rowohlt Taschenbuch Verlag erscheint am 21. Mai als zweiter Roman von Krimi-Preisträger Max Annas der Thriller „Die Mauer“.

Candice Fox: Hades. Kriminalroman. Aus dem australischen Englisch von Anke Caroline Burger. Herausgegeben von Thomas Wörtche. Suhrkamp Taschenbuch, Berlin 2016. Klappenbroschur. 343 Seiten, 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Website von Candice Fox und ihr australischer Verlag.

CrimeMag-Redakteur Alf Mayer traf sich Anfang Januar 2016 mit Candice Fox in Sydney. Das exklusive CM-Interview finden Sie hier.

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