Bloody Chops – die beliebte und charmante Rubrik mit dem blutigen Beilchen
Heute am Beil Joachim Feldmann (JF), Frank Rumpel (rum) und Thomas Wörtche (TW) – auf dem Block Britta Bolt: „Das Büro der einsamen Toten“, Manfred Wieninger: „Der Mann mit dem goldenen Revolver“ und Patrick Leigh Fermor: „Die Entführung des Generals“.
Mittelmaß
(JF) Wie man einen vielversprechenden Stoff in mittelmäßige Genreliteratur verwandeln kann, demonstriert ein in Amsterdam ansässiges deutsch-australisches Autorenduo in seinem Krimidebüt „Das Büro der einsamen Toten“ auf beispielhafte Weise. Der unter dem Pseudonym Britta Bolt veröffentlichte Schmöker präsentiert uns zunächst einmal einen Amateurdetektiv klassischen Zuschnitts. Pieter Posthumus arbeitet für eine Amsterdamer Behörde, die sich anonymer Leichen annimmt und notfalls für ein anständiges Begräbnis sorgt. Doch in dem ehemaligen Hausbesetzer, exzellenten Hobbykoch und Freund eleganter Kleidung schlummert ein beachtliches Ermittlertalent, das ihn, einmal geweckt, zu erstaunlichen Leistungen befähigt. Einige wenige Anhaltspunkte im Nachlass eines Selbstmörders konfrontieren ihn mit der bizarren Welt des Sadomasochismus, während die Spur eines anderen Toten, den man aus der Prinsengraft gefischt hat, geradewegs in das Milieu radikaler Islamisten führt. Ein mühsam konstruierter Plot (inklusive übelster Geheimdienstmachenschaften) sorgt dafür, dass zwischen den beiden Fällen eine Verbindung besteht. Ansonsten darf man dem handelnden Personal beim Essen und Trinken zusehen und bekommt eine reiseführertaugliche Einführung in die Attraktionen der holländischen Metropole.
Zwei weitere Bände mit den Abenteuern des Pieter Posthumus sollen folgen – einer ist in den Niederlanden bereits erschienen. Es wäre vermessen zu behaupten, dass man sie mit Spannung erwarten würde.
Britta Bolt: Das Büro der einsamen Toten. Der erste Fall für Pieter Posthumus. (Heldhaftig. 2012). Aus dem Englischen (!) von Kathleen Mallett und Heike Schlatterer. Hamburg: Hoffmann & Campe 2015. 381 Seiten. 20 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autorenduo.
Wo die Psychose wohnt
(rum) Nein, ein James Bond ist Manfred Wieningers schwergewichtiger Protagonist Marek Miert ganz gewiss nicht, auch wenn sein Gegenspieler wie seinerzeit in Ian Flemings Roman und später in der Verfilmung mit Roger Moore einen goldenen Revolver hat. Da hört die Ähnlichkeit dann schon auf.
Der Harlander Diskontdetektiv Marek Miert soll für einen Geschäftsmann eine Hütte bewachen, die dieser von seinem Großvater geerbt hat. Der Job sieht einfach aus, ist gut bezahlt, und das ist beim dauernd abgebrannten Miert nicht das schlechteste Argument. Vor Ort wird er von einem stadtbekannten Ganoven mit protzigem, also goldenem Revolver überfallen. Er findet alsbald heraus, dass der verstorbene Großvater seines Auftraggebers in den 1970ern zahlreiche Banken ausgeraubt hat. Sein größter Coup war der Überfall auf einen Geldtransporter, bei dem er knapp 30 Kilo Golddukaten erbeutete, die nie gefunden wurden. Und nun sucht mancher das Gelände ab, in der Hoffnung den Schatz zu heben. Auch Miert, der am besten nachdenken kann, wenn er im Hinterhof Pferdeleberkäs grillt, gräbt sich in die Geschichte – und verliert sich etwas darin.
Zwei Drittel lang funktioniert dieser siebte Marek-Miert-Roman ganz gut. Er fließt gewohnt behäbig, betont unstraff dahin, und es ist amüsant, diesem Miert dabei zuzusehen, wie er sich durch die Tage kämpft. Das ist vom wortgewandten Manfred Wieninger trocken und oft pointiert erzählt, immer wieder fein beobachtet. „Mein Besucher war dünn, wie der Wahrheitsgehalt eines Politiker-Versprechens“, heißt es da. Und der da bei ihm sitzt, baut von Berufs wegen aufgelassene Gefängnisse zu Seniorenresidenzen um. Das ist, wie man es von Wieninger kennt, herrlich auf den Putz gehauen, aber der St. Pöltener Autor kann’s auch etwas leiser. Die Gegend, in der sein Diskontdetektiv wohnt, ist „wie ein großes, zorniges Gedicht, zornig auf die Welt, zornig auf sich selbst. Die Psychose wohnte hier, aber auch der gewöhnliche Jammer, der Wahn, das Delirium, das Pech und die Depression. Selbst wer hier jung war, war nicht wirklich jung.“
Unter Niveau, das war bei Wieninger schon immer so, wird auch im neuen Roman niemand unterhalten. Und dennoch plätschert die Geschichte irgendwann aus, droht sich mit dem Protagonisten zwischen Traum und fiktiver Wirklichkeit zu verlieren, wirkt zunehmend unentschlossen, als wäre Wieninger mit seiner Figur Marek Miert an einen Punkt gekommen, an dem er etwas wehmütig auf den Furor früher Tage blickt.
Manfred Wieninger: Der Mann mit dem goldenen Revolver. Ein Hinterhof-Krimi mit Marek Miert. Roman. Wien: Haymon-Verlag 2015. 211 Seiten, 12.95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Homepage des Autors.
Kretische Abenteuer
(TW) 1944 entführte auf Kreta ein Trupp der britischen Special Operation Executive (SOE) den deutschen Generalmajor Heinrich Kreipe, Kommandeur der 22. Luftlande-Division. Es gibt einen britischen Film über diese spannende Kommandoaktion, mit dem noch sehr jungen Dirk Bogarde in der Hauptrolle: „Ill Met by Moonlight“, das auf dem Sachbuch des damals beteiligten SOE-Manns W. Stanley Moss beruhte. Auch dabei war allerdings Patrick Leigh Fermor, einer der brillantesten „Reiseschriftsteller“ aller Zeiten, dessen wunderbare Bücher man auch heute noch mit großem Vergnügen lesen kann.
Fermor war schon länger auf Kreta stationiert, wo er nach der Einnahme der strategisch eminent wichtigen Insel durch die Deutschen, den Widerstand der einheimischen Partisanen und britischer Kommandos koordinierte. Eine fast Ambler’sche Wendung nimmt die Geschichte, weil die SOE mit Kreipe sozusagen den falschen Mann erwischte. Dessen Vorgänger, Generalmajor Friederich-Wilhelm Müller, war ein wahres Scheusal, bekannt unter dem Namen „Der Schlächter von Kreta“, der unter der griechischen Bevölkerung gewütet hatte. Aber bis die symbolische Aktion von Moss und Leigh Fermor endlich von der Planung bis zur Umsetzung gediehen war, erwischte man nur den völlig unwichtigen und unerheblichen Kreipe, zudem war Kreta 1944 – die Alliierten bereiteten schon die Invasion Europas vor – relativ unwichtig geworden. Umso tragischer dann die exzessive Racheaktion der Deutschen im August 1944, die das kretische Amarital verheerte.
Leigh Fermors Text, liebevoll kommentiert und mit sehr sachkompetenten, für das heutige Verständnis der Vorgänge unabdingbare Kontexten ausgestattet und zudem bibliophil schön gemacht, ist eines dieser Prosajuwelen, die aus nicht-fiktionalen Stoffen großartige Prosa machen. Gerade weil sie so präzise beobachten, außen und innen, Weltgeschichte, Geografie, Kultur und das eigene Ich in ein spannendes Verhältnis bringen, über das man gern lesen möchte. Und eine Liebeserklärung an Kreta und die Menschen dort ist das Büchlein sowieso. Gut, dass wir es auf Deutsch lesen dürfen.
Patrick Leigh Fermor: Die Entführung des Generals (Abducting a General, 2014). Deutsch von Manfred und Gariele Allié, mit einem Vorwort und Anmerkungen von Roderick Bailey. Zürich: Dörlemann Verlag 2015. 305 Seiten. 24,90 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.