Geschrieben am 16. Mai 2015 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

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Bloody Chops – auf den Punkt, gerecht und gnadenlos

Am Beil: Joachim Feldmann (JF), Karsten Herrmann (KaHe) und Thomas Wörtche (TW).
Auf dem Block: Richard Lange: „Angel Baby“, Tilman Spreckelsen: „Das Nordseegrab“, Davide Longo: „Der Fall Bramard“, Christoffer Carlsson: „Der Turm der toten Seelen“.

Angel Baby von Richard LangeUnspektakulär und meisterhaft

(TW) Richard Langes „Angel Baby“ erzählt keine besonders spektakuläre Geschichte, aber die ist spektakulär gut erzählt: Die Frau eines mexikanischen Drogenlords hat die Schnauze voll und will nur raus aus dem goldenen Käfig, in dem er sie hält. Sie muss von Tijuana nach Los Angeles, um ihre Tochter zu holen und um vollständig verschwinden zu können. Als Fluchthelfer heuert sie einen heruntergekommenen, total versoffenen Gringo als Fahrer an, dem schon alles egal ist und der sich, wenn er sich mal wieder die Seele aus dem Leib kotzt, wünscht, „es wäre Krebs“. Der Narco holt als Jäger einen als besonders effektiv und gnadenlos berüchtigten Killer namens Jéronimo aus dem Knast und hetzt ihn hinter seiner Frau her. Als Sicherheit nimmt er die Frau und Kinder des Killers als Geißeln. Und schließlich ist da noch ein fetter, weißer Ami von der Border Patrol, bis über die Ohren in Spielschulden bei den falschen Leuten steckend und so korrupt wie man nur korrupt sein kann.

Das ist die Figurenkonstellation, die Lange jetzt von Mexiko über die Grenze in die USA und wieder zurück jagen lässt. Und wenn Sie meinen, Sie wüssten jetzt schon, wie der Hase läuft … neeee, so läuft es nicht. Das liegt daran, dass Lange nicht von Stereotypen erzählt, sondern von echten, glaubwürdigen Menschen. Die sind nicht einfach gut oder böse, so wie ihr Rollenfach es vorschreiben mag. Aber sie sind auch nicht gut oder böse, weil die Rollenklischees etwa umgedreht wären. Sie sind einfach Menschen. Und über deren Denken, ihre Antriebe, ihre Motivation, über ihre Persönlichkeiten hat Lange einen brillanten Roman geschrieben. Zudem hat er ein genaues Auge und Ohr für die Soziotope, Milieus und Landschaften, in denen das Buch spielt – von Tijuana über San Diego bis nach Los Angeles. Eigentlich Don-Winslow- oder Robert-Crais-Land, aber von Lange viel präziser, durchdachter und klarer beschrieben. Spannend ist „Angel Baby“ sowieso, eben weil der Roman nicht ausrechenbar ist. Ein bescheiden daherkommendes Meisterwerk.

Richard Lange: Angel Baby (Angel Baby, 2013). Roman. Deutsch von Jan Schönherr. München: Heyne 2015. 350 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zum Autor.

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Tilman_Spreckelsen_Das NordseegrabDie graue Stadt am Meer

(JF) Dass manch einer Theodor Fontane seiner Erzählung „Unterm Birnbaum“ wegen für einen der Väter des deutschen Krimischaffens hält, mag ein Grund dafür sein, warum der studierte Apotheker und hochgeschätzte Verfasser subtiler realistischer Romane inzwischen auch als fiktiver Detektiv aktiv werden darf. Bereits viermal hat ihn der fleißige Berliner Autor Frank Goyke über Leichen stolpern lassen und ein Ende ist nicht abzusehen.

Da schien es nur eine Frage der Zeit, bis auch sein friesischer Namensvetter Storm als Amateur-Sherlock tätig werden würde, zumal der Meister novellistischen Erzählens in jungen Jahren als Rechtsanwalt im heimatlichen Husum tätig war. Der Aufgabe angenommen hat sich der FAZ-Redakteur Tilman Spreckelsen. Und dies offenbar mit Begeisterung. Das Ergebnis gibt ihm recht. „Das Nordseegrab“ ist ein gekonnt erzählter und sprachlich überzeugender Kriminalroman, der wenig gemein hat mit all den Versuchen, durchschnittlichen Genreprodukten durch die Verwendung historischer Kulissen größeren Reiz zu verleihen.

Zunächst einmal begeht Spreckelsen nicht den Fehler, seinen Helden, der sich just – man schreibt das Jahr 1843 – in seiner Geburtsstadt als Anwalt niedergelassen hat, als genialen Ermittler zu schildern. Der Theodor Storm dieses Romans ist zwar ziemlich neugierig und risikofreudig, doch seine Nachforschungen in einem mysteriösen Mordfall tragen nur bedingt zu dessen Aufklärung bei, denn letztendlich verrät der Mörder selbst seine Identität. Die interessantere Figur ist zudem Storms Schreiber Peter Söt, der auch die Rolle des Erzählers übernimmt, aber längst nicht all das preisgibt, was er weiß. Tatsächlich könnte er zur Lösung des Rätsels erheblich mehr beitragen, als sein Dienstherr ahnt.

Geschickt garniert Tilman Spreckelsen die Kriminalhandlung mit Motiven aus der Schauerliteratur, ohne die historische Realität zu vernachlässigen. Das Recht auf Rache nämlich, das der Mörder am Ende des Romans für sich reklamiert, steht in direktem Zusammenhang mit den präzise geschilderten sozialen Verhältnissen.

Schon bald soll es einen weiteren Theodor-Storm-Krimi geben. Wenn der Autor sein Niveau hält, ist das keine schlechte Nachricht, auch wenn man nicht hoffen möchte, dass sich nun jemand daran macht, zum Beispiel die gute Annette von Droste-Hülshoff, der die Welt des Verbrechens auch nicht ganz fremd war („Die Judenbuche“), als eine Miss Marple des Münsterlandes tätig werden zu lassen.

Tilman Spreckelsen: Das Nordseegrab. Ein Theodor-Storm-Krimi. Frankfurt am Main: Fischer 2015. 272 Seiten. 9,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch, zu Tilmann Spreckelsen.

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U1_978-3-498-03938-7.inddDie Blüten des Bösen

(KaHe) Nach seinem atemberaubenden Endzeitdrama „Der aufrechte Mann“ legt der Italiener Davide Longo nun einen klassischen Kriminalroman aus seiner Heimatregion, dem wild-romantischen Piemont, vor.

Longos Protagonist ist der ehemalige Kommissar Corso Bramard, der in einem kleinen Dorf im Piemont wohnt und für einige Stunden an einer Schule unterrichtet. Ansonsten hat er sich in die einsame Welt der Berge und der Bücher zurückgezogen. Denn vor vielen Jahren wurde seine Frau das letzte Opfer in einer Serie von Ritualmorden, bei der sechs Frauen mit amputierten Zehen, durchschnittener Kehle und einem eingeritzten Muster auf dem Rücken aufgefunden wurden. Zugleich verschwand seine Tochter spurlos. Der ermittelnde Bramard „hatte das Feld geräumt. Hatte erst Frau und Tochter und dann sich selbst aufgegeben“.

Davide Longo Der aufrechte MannDoch dann meldet sich der Täter nach zwanzig Jahren wieder mit einem geheimnisvollen Brief und Bramard nimmt mithilfe eines ehemaligen Kollegen und der jungen Polizistin Isa, die einer kleinen Schwester von Lisbeth Salander gleicht, die Fährte wieder auf. Immer klarer liegen die einzelnen Teile des Puzzles vor seinen Augen, fügen sich aber lange nicht zusammen. Doch eins steht für Bramard fest: „Es war ein Spiel gewesen, anfangs unschuldig, wie es der Keim jedes Spiels ist.“ Sodann hatten den Täter eine „subtile Intelligenz, ein angeborenen Streben nach Vollkommenheit und das Fehlen jeglicher moralischer Hemmungen“ immer weiter auf den Weg zu einer blutigen Ästhetik, hin zu den Blüten des Bösen getrieben.

Davide Longo steigt atmosphärisch dicht und mit poetischen Sentenzen in seinen Roman ein und porträtiert dabei auch die Piemonteser Landschaft und ihre knorrigen Bewohner. Parallel zu Corso Bramards Perspektive baut er einen Handlungsstrang mit dem geheimnisvollen Jean-Claude Monticelli auf, der mit dem Fall zu tun haben scheint. Lange bleibt es ein Schattenboxen und ein Phantomduell, bis Longo die beiden Hauptfiguren schließlich aufeinandertreffen lässt und dem Leser eine überraschende Auflösung des Falls präsentiert.

Davide Longo: Der Fall Bramard (Il Caso Bramard, 2014). Roman. Deutsch von Barbara Kleiner. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2015. 316 Seiten. 19,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zum Autor.

Der Turm der toten Seelen von Christoffer CarlssonEintopf

(JF) Christoffer Carlsson, laut Klappentext mit erst 28 Jahren der neue Stern am schwedischen Krimihimmel, serviert in seinem Debütroman, dem in seinem Heimatland bereits drei weitere gefolgt sind, auf der Basis eines bewährten Rezeptes einen nur schwer genießbaren Eintopf aus Polizeithriller, Adoleszenzdrama und Sozialstudie. Es handelt sich um die alte Geschichte von den zwei Jugendfreunden aus prekären Verhältnissen, die sich Jahre später auf der jeweils anderen Seite des Gesetzes wiederfinden. So uninspiriert erzählt hat man sie allerdings selten gelesen.

Als Halbwüchsige haben Leo Junker und John Grimberg viel Zeit zusammen verbracht. Schon damals war der undurchsichtige John ein talentierter Fälscher, der sich mit Ausdauer und Energie auf eine kriminelle Karriere vorbereitete. Dass Leo einmal bei der Polizei landen würde, war hingegen nicht vorherzusehen. Und hätte er nicht mit Johns Schwester Julia angebandelt (oder sie mit ihm), wäre vieles anders gekommen. Aber die Fehler der Vergangenheit lassen sich nun einmal nicht korrigieren. Vor allem, wenn sie ein großartiges Rachemotiv abgeben.

Doch davon ahnt Leo Junker noch nichts, als in einer Unterkunft für gestrandete Existenzen, die sich ausgerechnet in dem Haus befindet, wo auch er lebt, eine drogenabhängige Prostituierte ermordet wird. Gern würde er nun ermitteln, doch dummerweise ist er seit einem verpatzten Einsatz mit tödlichen Folgen vom Dienst suspendiert. Junker stellt dennoch Nachforschungen an und gerät dabei selbst unter Verdacht – nicht zuletzt, weil die Tote eine Kette in den Händen hielt, auf der sich seine Fingerabdrücke finden. Um all das aufzuklären, muss der psychisch derangierte Kriminalist zurück in die Vergangenheit. Und wir müssen mit. Das ist zunächst nicht uninteressant, mündet jedoch bald in eine ebenso vorhersehbare wie konstruierte Dreiecksgeschichte, die in bemerkenswerter Langatmigkeit präsentiert wird. Sozialbautristesse, Teenagersex und jede Menge Alkohol machen noch keinen skandinavischen Noir. Dabei verhält es sich beileibe nicht so, dass Carlsson kein Erzähltalent hätte. Ihm gelingen Szenen von großer Eindringlichkeit. Doch die „geniale Dramaturgie“, die Kollege Leif GW Persson diesem Debütroman bescheinigt, sucht man vergebens. Vor allem, wenn es nach all den Erinnerungen zum unvermeidbaren, aber leider recht einfältig inszenierten Showdown kommt, wird offensichtlich, dass es sich beim „Der Turm der toten Seelen“ um eine ziemlich windschiefe Konstruktion handelt.

Christoffer Carlsson: Der Turm der toten Seelen (Den onsynlige mannen från Salem. 2013). Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann. 351 Seiten. München: C. Bertelsmann 2015. 351 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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