Algerische Kriege
‒ Politthriller oder politische Kriminalromane kehren anscheinend vermehrt wieder zurück, durchaus auch solche fürs „breite Publikum“, die das politische Zeitgeschehen literarisch begleiten. Oliver Bottinis neuer Roman „Ein paar Tage Licht“ ist so ein Fall. Eine Besprechung von Elfriede Müller.
Oliver Bottini hat ein Gespür für die politische Aktualität und die in ihr enthaltene kriminelle Energie. In „Der kalte Traum“analysierte er die Jugoslawienkriege der 90er Jahre in einer mitreißenden Geschichte über Nationalismus, politische Interessen, Liebe und Verrat. „Ein paar Tage Licht“ handelt vordergründig vom deutschen Rüstungsexport und erzählt dabei elegant von der verratenen algerischen Revolution und den bis heute währenden Konsequenzen dieses Scheiterns sowie den Nachwirkungen des französischen Kolonialismus.
Der Roman spielt in Algerien und in Berlin. Die geografische Gegenüberstellung macht deutlich, dass man in Algerien durch politisches Engagement höhere Risiken eingeht als in der Bundesrepublik und dass es in Nordafrika meistens um Leben und Tod geht. Die Hauptfigur ist ein BKA-Mann, Ralf Eley, vielleicht ein wenig zu smart und heldenhaft, der in Algier mehr zu verlieren hat als seinen Job. Es geht auch um Djamel, dessen Großeltern in der FLN kämpften, dessen Großmutter dabei umkam und dessen Vater von den erstarrten Revolutionären verhaftet und wahrscheinlich ermordet wurde, weil er im Verdacht stand, Sympathien für die Islamische Heilsfront zu hegen.
Als ein deutscher Manager eines Rüstungskonzerns entführt wird, geraten mehrere Strukturen ins Wanken: die deutschen Rüstungsgeschäfte mit Algerien, die Stabilität der algerischen Militärs, die geheime Liebschaft von Ralf Eley mit der algerischen Anwältin Amal und die Familiengeschichte Djamels, der seinen nach Ostdeutschland ausgewanderten Großvater überraschend besucht. Wie immer wenn sich im arabischen Raum etwas ereignet, wird zuerst die Al-Qaida-Karte gezogen, damit glauben die deutsche Regierung, die Rüstungskonzerne und vor allem die algerische Regierung die Entführung zu erklären und bestimmte Hintergründe vertuschen zu können.
Subjektivität und Politik
Bottini gelingt es im perfekten Zusammenspiel seiner Figuren, die bis auf Eley überzeugender nicht sein könnten, die Rolle von Subjektivitäten im politischen und ökonomischen Geschehen als entscheidend darzustellen. So macht Katharina Prinz, die Beauftragte für den nahen Osten und den Maghreb und Gegnerin der Rüstungsexporte nach Nordafrika, in Zusammenarbeit mit dem BKA-Mann Eley, der ein alter Freund ist, und mit Hilfe eines ehemaligen französischen Geliebten, der schon immer außerhalb und zwischen den Machtgefügen agierte, dem großen Geschäft einen Strich durch die Rechnung. Die Komplexität der algerischen Anwältin Amel und ihrer Geschichte bergen die Schwierigkeiten der postkolonialen Existenz und deren Chancenlosigkeit in der aktuellen politischen Konstellation. Ihr Vater und ihr Onkel wurden von Islamisten geköpft, sie steht zum antikolonialen Algerien und seiner Geschichte, auch wenn die Korruptheit und die autoritäre Amtsführung der aktuellen Regierung ihr nicht nur ein Dorn im Auge sind, sondern ihr auch das Leben auf Schritt und Tritt schwer machen. Amels Geschichte und Gegenwart ist eng mit dem „schwarzen Jahrzehnt“ Algeriens verbunden, das 1992 begann, als bewaffnete islamische Gruppen, aber manchmal auch das Militär das Land unsicher machten und Freund und Feind kaum zu unterscheiden waren.
Der Autor belebt mythische Orte des algerischen Befreiungskampfes, wie die Milk Bar in Algier, wo 1956 drei FLN-Aktivistinnen Bomben platziert hatten. Dieses Café spielt auch in dem Film „Die Schlacht von Algier“ von Gillo Pontecorvo eine wichtige Rolle. Diese Orte wie auch den Befreiungskampf verwebt er geschickt mit der aktuellen Situation, um deutlich zu machen, welche Bedeutung Geschichte für das Verhalten der Menschen haben kann. So tragisch und dramatisch die algerischen Handlungsstränge sind, so amüsant wären die Berliner Szenen, bliebe nicht der bittere Nachgeschmack, den das Wissen über die deutschen Rüstungsexporte vermittelt. Die Szenen im Brandenburger Pessin, wohin Djamals Großvater auswanderte, sind von Melancholie gezeichnet, denn das neue politische Projekt „Die Namenlosen“, das sich gegen die Militärdiktatur und die Islamisten gleichermaßen richtet, kann auf Gewalt nicht verzichten und wird gerade deshalb schnell vom Scheitern bedroht.
Dass algerische Kriege u. a. mit deutschen Waffen geführt werden, bahnte sich bereits 2008 bei Merkels Besuch bei Bouteflika an. Bottini hat in diesem großartigen Noir die Aufklärung des aktuellen Kriegsgeschehens mit der Aufarbeitung der postrevolutionären Vergangenheit Algeriens meisterhaft verknüpft. Besser kann Geschichte kaum geschrieben werden.
Elfriede Müller
Oliver Bottini: Ein paar Tage Licht. Kriminalroman. Köln: DuMont Verlag 2014. 512 Seiten. 19,99 Euro. Zur KrimiZeit-Bestenliste im Mai. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zum Autor. Elfriede Müller bei Europolar.