Geschrieben am 14. November 2012 von für Bücher, Litmag

Nora Bossong: Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Abgesang auf die narrativen Muster der Vergangenheit

– Nora Bossong hat mit „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ einen Roman über die deutsche Wirtschaftsmacht nach der Finanzkrise geschrieben – Judith Momo Henke stellt uns diese Geschichte über „Aufstieg und Fall eines Familienunternehmens“ vor.

Gerade in New York gelandet, nimmt ein deutscher Geschäftsmann im feinen Zwirn am Flughafen den falschen Ausgang. Statt am Taxistand findet er sich in der Warteschlange für den Bus wieder. Eine blondgefärbte Amerikanerin hievt ihre Koffer in den stählernen Bauch des Fahrzeugs. Eine andere Frau verwechselt ihn, ruft ihn James, zerrt ihn zu einem wartenden Auto. Der Mann heißt nicht James, er ist nur zu verdattert, um sich zu wehren. Aber als er sich schließlich entwindet – nicht etwa mit einer Klarstellung, sondern mit der Ausrede, er habe etwas vergessen ­– ist etwas passiert: Die Möglichkeit eines anderen Lebens hat sich aufgetan. Wie ferngesteuert folgt der Mann der blondierten Frau in den Bus, steigt an ihrer Haltestelle aus, folgt ihr und lässt alles hinter sich: nicht mehr Kurt Tietjen sein müssen, nicht mehr Vorstandsvorsitzender eines traditionsreichen Familienunternehmens für Frotteewaren, nicht mehr Erbe einer verpflichtenden Tradition. Aber so einfach ist es nicht mit dem Neubeginn.

„Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ – Der Titel ist so einfach wie genial. Einerseits geht es um die alles bestimmende GmbH, das Frotteeunternehmen der Familie Tietjen. Andererseits um einen Menschenschlag, der in den vergangenen Jahren allzu oft in die Schlagzeilen geriet: Unternehmer, die billig in Asien produzieren lassen, um noch mehr Geld einzustreichen. Die die  Zahlen beschönigen und mit Fantasiebudgets operieren. Diejenigen, die nur eingeschränkt Verantwortung für ihr Tun übernehmen. Bossong zeigt diese Verantwortungslosigkeit, die Fixierung auf den eigenen Vorteil. Sie zeigt sie aber aus der Sicht derjenigen, die gern aus diesem Kreislauf ausbrechen würden, aber nicht können. Die nicht nur beschränkt haftend, sondern auch beschränkt handlungsfähig sind.

Wer mit der Konkurrenz mithalten will, kommt um dubiose Geschäftspraktiken nicht herum. Und um Arbeitsplätze zu sichern, muss man mit der Konkurrenz mithalten. Das ist der moralische Widerspruch, aus dem Kurt Tietjen auszubrechen versucht, der in seinem Leben immer wieder auf Linie gebracht wurde: „Aber du willst lieber gut sein, was aus den anderen wird, ist dir egal.“

Beschränkt haftend und beschränkt handlungsfähig

Was diese Einschränkung des eigenen persönlichen Spielraums mit den Menschen macht, zeigt Bossong an Kurt Tietjen und seiner Tochter Luise. Mitte Zwanzig ist die verwöhnte, aber wenig geliebte Erbin, als sie plötzlich zum Spielball widerstreitender Interessen wird. Zum ersten Mal in ihrem Leben muss sie sich selbst positionieren – zwischen dem Vater, der sich entzieht, aber seine Macht nicht abgibt, und dem angeheirateten Onkel, der diese Macht liebend gern an sich reißen würde. Was Luise selbst will, weiß sie nicht. Vielleicht den jungen aufstrebenden Firmenangestellten Krays, den sie nur beim Nachnamen nennt. Vielleicht aber auch nicht. Bis zuletzt bleibt unklar, ob Luise aus Trotz mit ihm zusammen ist oder aus Zuneigung  – und ob er ein Karrierist ist, der aus Eigennutz mit der Tochter des Chefs schläft, oder ob er sie wirklich liebt und nur an ihrer unbeholfenen Kaltschnäuzigkeit scheitert. Fakt ist: Als die Firma immer weiter den Bach heruntergeht, versuchen Luise und Krays gemeinsam, die Geschäfte zu retten und scheitern gnadenlos.

Nora Bossongs Roman glänzt da, wo man die feinsinnige Beobachterin und Lyrikerin spürt – wenn „eine Birkenkrone im Sonnenlicht glitzernd“ zerfällt, New York im Nebel kocht und an den Menschen klebt „wie eine nasse Zeitung“. Besonders eindringlich sind die kurzen präzisen Beschreibungen der Sterbenden und der Penner auf den Straßen New Yorks – knappe Bilder, die man so noch nie gelesen hat und die dennoch sofort haften bleiben. Von diesen kurzen Momenten der Annäherung abgesehen aber bleibt das Personal dieses Romans seltsam kalt und unnahbar, Gespräche bestehen aus mit Gemeinplätzen gespickten Sentenzen, die Leben wirken wie zusammengeschustert aus Klischees. Die Vorteilnahme im Ersten Weltkrieg, die die Firma groß gemacht hat, die Verstrickungen mit den Nazis, die Vertuschungen in der Nachkriegszeit und die Billigproduktion in China heute. Dazu die Frauen, die mit nichts anderem beschäftigt sind, als Villen mit Satinvorhängen zu schmücken, Lofts in New York auszusuchen und Salatblätter mit Messer und Gabel zu zerteilen.

Behauptung statt Inhalt

Diese holzschnittartige Figurenzeichnung könnte man der Autorin als Schwäche ankreiden. Aber wenn man genauer hinsieht, handelt es sich hier nicht um eine Nachlässigkeit, sondern um eine wesentliche Aussage des Romans. Bossong stellt hier überspitzt zur Schau, was Albrecht Koschorke in seinem aktuellen Buch „Wahrheit und Erfindung“ (S. Fischer) als narrative Feldlinien bezeichnet, die soziale Konflikte choreografieren. So zeigt sie erzählerisch, wie „sich auch die Modelle der Ökonomie sehr weitgehend als Arrangements entziffern“ lassen, „die auf der Akzeptanz bestimmter Erzählungen beruhen“ (Koschorke). Die Tietjens äußern keine Inhalte, sie äußern Sentenzen, die sie legitimieren und den Erfolg der Firma beschwören.  Sie orientieren sich in ihrer Lebensgestaltung an dem klischeehaften Bild erfolgreicher Unternehmer. „Eine Behauptung, sagte Kurt. Die Firma Tietjen ist nie mehr als eine Behauptung gewesen. Dadurch ist sie groß geworden. Davon lebt sie. Und daran wird sie zugrunde gehen.“

Als Luise Tietjen sich entschließt, wie ihre Vorgänger die Zahlen zu fälschen und die Realität zurechtzubiegen, scheint dies zunächst gutzugehen. Selbst ihr Vater Kurt lässt sich kurzfristig vom alten Glanz blenden, den Luise dem Unternehmen durch Beschönigung zu verleihen sucht. Aber Krays, eher der bodenständige neue Typus eines Managers, bringt es auf den Punkt: „Du träumst die Firma doch nur.“ Und tatsächlich ist es Luise, die letztendlich für das haftet, was die anderen jahrzehntelang angerichtet haben. Man kann das als kritische Gegenwartsanalyse und Abgesang auf überholte narrative Muster verstehen. Die Welt hat sich gewandelt, spätestens seit der Finanzkrise. Und vielleicht ist es das, was nach der Lektüre dieses Buches aufscheint, obwohl es für die Tietjens schlecht ausgeht: Die gewohnten Wege funktionieren nicht mehr – und das ist auch eine Chance.

Judith Momo Henke

Nora Bossong: Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Hanser Verlag 2012. 304 Seiten. 19,90 Euro.
Foto Bossong: © manfred.sause@volloeko.de/Wikimedia Commons (Lizenz: 3.0 nicht portiert, 2.5 generisch, 2.0 generisch und 1.0 generisch).

Tags :