Geschrieben am 8. April 2015 von für Bücher, Litmag

Milan Kundera: Das Fest der Bedeutungslosigkeit

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– Milan Kunderas trister literarischer Abgesang. Von Wolfram Schütte

Auf die Gefahr hin, ein von manchen geschätzten Kollegen in den literarischen Himmel gehobenes „Meisterwerk“ zu verkennen, muss ich sogleich gestehen, dass ich Milan Kunderas kleinen Roman, den der heute 86jährige Autor 15 Jahre nach seinem vorletzten „Die Unwissenheit“ (2000) im vergangenen Jahr publiziert hat, keineswegs als das im Titel verhießene „Fest der Bedeutungslosigkeit“, sondern leider eher als Desaster literarischer Unerheblichkeit gelesen habe.

Das ist umso bedauerlicher, weil ich Kundera bislang immer geschätzt habe. Milan Kundera gehört mit seinen Romanen & Essays zu den großen Autoren unserer Zeit. Wenngleich – im Rückblick auf sein umfangreiches Oeuvre – die noch tschechisch geschriebenen Bücher des seit 1978 im Pariser Exil lebenden Autors mir sprachlich & stilistisch gelenkiger & lebhafter erscheinen als die späten französischen Romane der Neunziger Jahre.

Ich gebe diese subjektive Vermutung im Bewusstsein ihrer prekären Grundlage wieder; denn dieser Eindruck konnte nur durch die deutschen Übersetzungen seiner Bücher gewonnen werden. Kundera, der deutsch versteht, hat sich (ähnlich wie nur Grass) aber sehr intensiv mit den Übersetzungen seiner Bücher beschäftigt. Seine französischen Bücher übersetzt auf seinen Wunsch hin Uli Aumüller, die auch schon Albert Camus übertragen hat.

Der Hanser-Verlag hat wohl in der Vermutung, die deutschen Rezensenten, könnten über diesen späten, unerwarteten literarischen Auswurf des seit 2000 erloschen schienenden Romanciers unverständig hinwegsehen, dem „ Fest der Bedeutungslosigkeit“ eine ehrfürchtige Kritik aus „Le Monde“ übersetzen lassen & als „Appetizer“ oder „Orientierung“ beigefügt – womöglich sogar auf Wunsch des Autors.

Dieser jüngste Roman Milan Kunderas ist ganz unverkennbar ein „Alterswerk“ – in jenem literaturhistorisch vertrauten Sinne, dass „Alterswerke“ oft ästhetisch-artistische Selbstgespräche & Resümees ihrer Autoren sind, die in ihnen Narratives & Gedankliches eher skizzieren, „kammermusikalisch“ andeuten & auf Früheres ironisch, kryptisch, spielerisch verweisen – als sich im fortgeschrittenen Alter noch „die Mühe zu machen“, das Imaginierte suggestiv-umfassend-farbig „auszumalen“.

Thomas Mann – bevor er selbst mit dem „Erwählten“ sein veritables „Alterswerk“ begann – hat über seines Bruders Roman „Der Atem“ vom „Greisenavantgardismus“ gesprochen. Und Heinrich Mann hat mit diesem wie dem noch gespenstischeren Roman „Empfang bei der Welt“ Spätwerke geschrieben, denen bis heute keine Nachwelt nahe, geschweige denn auf die Schliche gekommen ist.

Die Bedeutungslosigkeit als Reminiszenz früherer Bedeutsamkeiten

Der 2010 verstorbene José Saramago hat im gleichen Alter wie Kundera seine brillanten Alterswerke „Die Reise des Elefanten“ & „Kain“ geschrieben. Letzteres eine ebenso witzig-hintergründige wie blasphemisch-pessimistische „Abrechnung mit dem biblischen Jahwe“ – was allerdings Bibelkenntnisse voraussetzt, damit man als (Mit-)Leser Saramagos literarisches Pastiche des Alten Testaments in seinem „Kain“ so recht verstehen & genießen kann.

Derartige Vorkenntnisse sind auch nun bei Kundera nötig. Z.B. die Stalin-Anekdoten, die er aus der Chruschtschow-Biographie eines anderen Autors übernommen hat & der reflektierende Gebrauch, den er mit ihnen in seinem Buch macht, erschließen sich einem – wie auch das Thema Humor & Witz – nämlich nur, wenn man die Bedeutsamkeit in Betracht zieht, die sowohl der Stalinismus als auch die lebensbedrohliche Missverständlichkeit eines unbedachten politischen Witzes in Kunderas Leben & für sein literarisches Debüt „Der Scherz“ spielte.

Überhaupt macht in seinem „Fest der Bedeutungslosigkeit“ die lockere Versammlung von Kundera-Themen wie Erotik, Moral, Kunst, Savoir vivre den Eindruck eines selbstverliebten Glasperlenspiels, an dem sich der Autor erfreut – aber nur er. Denn er ist der Resonanzboden, der seine literarische „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug & Celesta“ (Bela Bartok) ihm allein sonor zum Klingen bringt, während der Kopf schüttelnde Leser, dem dieser psychische Hinter- & Untergrund des Autors fehlt, gewissermaßen nur ein dünnes Gezirpe vernimmt.

Das hört sich dann verquast an, so wenn z.B. „das Besondere der männlichen Orientierung am weiblichen Busen“ derart charakterisiert wird, dass „das männliche Geschlecht auf den Knien vor der edlen Aufgabe des weiblichen Geschlechts“ liegt. Oder wenn das Räsonieren über den Altersunterschied zwischen Liebenden folgenden Galimathias zur Folge hat: „Als Ramon seine Theorie von den Beobachtungsposten erläutert hatte, die jeder an einem anderen Punkt der Geschichte stehen hat, von wo aus die Leute miteinander sprechen, ohne sich verstehen zu können, hatte sich Alain sofort an seine Freundin erinnert, denn dank ihrer wusste er, dass sogar der Dialog der wahren Liebenden, wenn ihre Geburtsdaten zu weit auseinander liegen, nur das Verschlungensein zweier Monologe ist, zwischen denen eine große Portion Unverstandenes bleibt.“

Heiterkeit & Ernst in Abschied nehmenden Alterswerken

Es ist ja nicht so, dass einem das luftige Erzählgespinst & Gedankenspiel, das der über achtzigjährige Kundera mit seinen vier bis zehn männlichen & weiblichen Marionettenfiguren rund um den Jardin du Luxembourg & eine Party inszeniert, in seinen symbolisch-allegorischen Bezüglichkeiten oder alterspsychologischen Bemerkungen unverständlich bliebe. Aber leider fehlt ihm literarisch (sowohl erzählerisch als auch intellektuell) jegliche erotische Spannkraft, evidente Sinnlichkeit, sprachliche Ironie oder jener erzählerischer Witz, den man an Milan Kunderas großen Romanen & Essays so schätzte. Noch nicht einmal die mehrfach apostrophierte „gute Laune“ vermochte das (zweimal gelesene) Büchlein bei mir zu erwecken, geschweige denn jene „unendliche Wohlgemutheit“, die Kundera mit Hegels Worten als wünschenswerten Grundzug einer stoisch-heiteren Haltung in den späten Lebenstagen feiert, aber seinen späten Helden verweigert.

Aber es ist nicht die Heiterkeit des achtzigjährigen Giuseppe Verdi, der sein grandioses Alterswerk des „Falstaff“ in dem jokosen Fugato „Tutto nel mundo è burla, l´uom è nato burlone“ (Alles ist Spaß auf Erden, der Mensch als Narr geboren) lächelnd ausklingen lässt, die der gelernte Musikwissenschaftler Milan Kundera zum Resümee auch seines literarischen Lebenswerks gewählt hätte. Nein.

Voller Bitternis lässt er eines seiner Alter Egos konstatieren: „Wir haben seit langem begriffen, dass es nicht mehr möglich ist, diese Welt umzustürzen oder neu zu gestalten oder ihr unseliges Vorwärtsrennen aufzuhalten. Es gab nur noch einen einzigen möglichen Widerstand: sie nicht ernst zu nehmen. Aber ich stelle fest, dass unsere Witze ihre Macht verloren haben.“

Also, gewissermaßen, ist die Serenität Verdis als Heilmittel des ästhetisch-geistigen Widerstands gegen „die ewige Dummheit des Menschen“ für den 85jährigen Autor der „unerträglichen Leichtigkeit des Seins“ stumpf & fad geworden. Der späte Kundera gleicht dem illusionslos-zynischen Flaubert von „Bouvard et Pécuchet“.

„Bedeutungslosigkeit“, lässt Kundera einen seiner erfundenen Freunde beschwörend in seinem letzten Roman dozieren, „ist die Essenz der Existenz. Sie ist überall und immer bei uns. Sie ist sogar dort gegenwärtig, wo niemand sie sehen will: in den Greueln, in den blutigen Kämpfen, im schlimmsten Unglück. Das erfordert oft Mut, sie unter so dramatischen Umständen zu erkennen und bei ihrem Namen zu nennen. Aber es geht nicht nur darum, sie zu erkennen, man muss sie lieben, die Bedeutungslosigkeit, man muss lernen, sie zu lieben.“ In diesem Credo eines klassischen Nihilismus klingt nicht von ungefähr Nietzsches affirmatives „amor fati“ an. Aber „in der Dämmerung der Scherze, der Epoche des Après-Witzes“ ist auch Nietzsches „Schicksal, das es pathetisch zu lieben gälte“, obsolet geworden. Nachdem für Milan Kundera nichts mehr von Bedeutung, sprich (metaphysischer) Sinnhaftigkeit oder appellativer Ethik im (gelebten) Leben ist, fehlt ihm am Ende aber leider doch die Kraft, sein radikales Tabula rasa neu einzudecken & seinen finalen Befund einer alles zermalmenden „Bedeutungslosigkeit“ literarisch bedeutungsvoll werden zu lassen.

P.S. Kunderas Erfindung des arbeitslosen Schauspielers „Caliban“, der zusammen mit seinem Freund Ramon auf privaten Pariser Empfängen & Gesellschaften sich als Kellner ein Zubrot verdient & dabei einen Ausländer fingiert, bzw. spielt, der angeblich nur „Pakistanisch“ kann, scheint von Peter Sellers Rolle als „Partyschreck“ in Blake Edwards´ gleichnamiger chaotischer Hollywoodkomödie angeregt zu sein… ( Das mag nur interessant sein für eine Spekulation über literarische Einbildungskraft).

P.S. des P.S. Eine Studie über die Entwicklung von Milan Kunderas „französischem“ literarischen Oeuvre von „Die Langsamkeit“ über „Die Identität“ & „Die Unwissenheit“ bis nun zum „Fest der Bedeutungslosigkeit“ wäre zu wünschen…

Wolfram Schütte

Milan Kundera: Das Fest der Bedeutungslosigkeit (La fête de l’insignifiance, 2014). Roman. Deutsch von Uli Aumüller. Hanser-Verlag, München 2015. 140 Seiten. 16.90 Euro.

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