Geschrieben am 29. Mai 2013 von für Bücher, Litmag

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Kurzrezensionen – diesmal mit einer Haiku Rezension von Friederike Moldenhauer zur Thomas Meineckes „Ich als Text“ und Besprechungen von Frank Spilker („Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen“), Jessica Mitford („Hunnen und Rebellen“) und Adam Zagajewskis Gedichtband „Unsichtbare Hand“ – geschrieben von Tina Manske (TM), Christina Mohr (MO) und Carl Wilhelm Macke (CWM)

Thomas Meinecke_Ich als Text(FM) Haiku-Rezension

Diskurs reloaded
Sekundärliteratur
Lesbar nur für Fans

Thomas Meinecke: Ich als Text. Edition Suhrkamp. 349 Seiten. 18,00 Euro.

Frank Spilker_Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisenKindertrauma versus Künstlerdrama

(TM) Sagen wir so: jemand, der Thomas Troppelmann heißt, taugt sicher nicht zum strahlenden Helden. Und so verkackt der Protagonist in Frank Spilkers Debütroman „Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen“ so ziemlich alles. Die Freundin ist ihm davongelaufen, das Geschäft läuft dagegen schlecht, und zu allem Übel hat er nun auch noch vergessen, den Mietvertrag für seine Agentur zu verlängern, weshalb demnächst auch noch die gesamte Firma auf der Straße stehen wird. Aber Trottel – Quatsch – Troppelmann hat etwas, was ihn vor zu viel Unbill schützt: eine gesunde Lethargie. Und so lässt er sich einfach treiben, aus dem Büro hinaus, in die Deutsche Bahn hinein, er fährt irgendwohin, um erst auf der Reise zu merken, dass er ein Trauma aus seiner Kindheit aufarbeiten muss.

Es zieht ihn zu den Eltern und dann an den Ort seiner Ferientage, wo er, wegen einer Bronchitis in die Kur geschickt, offensichtlich in einer kirchlichen Einrichtung die strenge Erziehung der Schwestern „genoss“. Verschickt, wie man damals sagte. Troppelmann landet genau dort, wo er schon damals nicht gern war und begegnet den Geistern seiner Vergangenheit. Ob tatsächlich oder im Rahmen eines Nervenzusammenbruchs, bleibt offen, denn Spilker unterfüttert seine Geschichte mit reichlich surrealistischen Zeichen, die immer auch eine andere Lesart möglich machen.

Man kennt Frank Spilker seit Jahren als Frontmann der Band Die Sterne, die ja ebenfalls eine ganz eigene Sicht auf die Welt hat – weit entfernt davon, mit ihr einverstanden zu sein, aber dennoch mit einer positiven Einstellung. Und so erzählt Spilker seine Geschichte mit sehr viel Lakonie und unterschwelligem Witz. Das konnte man so erwarten, ja, das ist fast ein bisschen langweilig. Was eher überrascht ist die Art und Weise, wie er die Vergangenheit, die sich immer wieder in die Gegenwart mischt, darstellt – als surrealen Traum, als wie in Schwarz-Weiß gedrehtes Horrorstück. Das mag in seiner Darstellung als Kindertrauma versus Künstlerdrama sehr einfach gestrickt sein, sorgt aber immerhin für Unterhaltung in einem ansonsten etwas unmutigen Buch, das eher einer Stilübung gleicht. Aber es ist ja auch ein Debüt.

Bleibt bloß zu hoffen, dass sich Spilker nun nicht ganz der Literatur verschreibt, sondern auch mal wieder Sterne-Songs entwirft! Das kann er nämlich noch ein ganzes Stückchen besser als Romane schreiben.

Frank Spilker: Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman. Hoffmann und Campe 2013. Gebunden, 160 Seiten. 17,99 Euro.

Jessica Mitford_Hunnen und RebellenEin literarischer Schatz

(MO) Jessica Lucy Mitford, Spitzname Decca, entstammte einer der berühmtesten Familien Englands: 1917 als fünfte von sechs Töchtern (und einem Sohn) des David Bertram Ogilvy Freeman-Mitford, 2. Baron Redesdale geboren, war sie eine Schwester der gefeierten Schriftstellerin Nancy Mitford, aber auch der in den 1930er Jahren vom Nazi-Regime mehr als nur faszinierten Diana und Unity Valkyrie, genannt Boud. Jessica/Decca dagegen sympathisierte mit der Linken, trat der Kommunistischen Partei bei und zog mit ihrem Geliebten und späteren Ehemann Esmond Romilly (ein Neffe Winston Churchills) in den Spanischen Bürgerkrieg.

Die Geschichte der Familie Mitford ist mit „unkonventionell“ nur unzureichend beschrieben, Widersprüchlichkeiten wie die diametral unterschiedliche politische Gesinnung der Schwestern gehörten zu den Mitfords ebenso wie die Insignien der Upperclass wie Fuchsjagd, Dinnerparties und Debütantinnenbälle. Dass derlei Paradoxien nur mit gehörigen Portionen Respektlosigkeit, Humor und Rebellion zu begegnen ist, ahnt Jessica schon als Kind. Mit ihren Geschwistern erfand sie die Geheimsprache Boudledige, die die Mitford-Sprösslinge auch als Erwachsene noch problemlos anwenden konnten; oder ersann bösartige Spiele, mit denen Besucher gequält und vertrieben wurden.

Als junge Frau entfloh sie – höchst romantisch – mit Esmond Romilly ihrer Familie und gesellschaftlichen Verpflichtungen. Das Paar beginnt in den USA ein neues Leben und richtet sich so naiv wie wagemutig im American Dream ein, bis Esmond mit nur 23 Jahren – inzwischen Soldat der Army – 1941 als Pilot über dem Atlantik abgeschossen wurde. Nach seinem Tod beginnt Jessica zu schreiben, unter anderem entsteht der Bestseller „The American Way of Death“, in dem Mitford unlautere Zustände im Bestattungswesen aufdeckt.

Ihre Autobiografie „Hunnen und Rebellen“ ist bewegend, tragisch und komisch zugleich – ein großes Kompliment an den Berenberg Verlag für die Bergung dieses literarischen Schatzes!

Jessica Mitford: Hunnen und Rebellen. Meine Familie und das 20. Jahrhundert (Hons and Revels, 1960). Übersetzt von Joachim Kalka. Berenberg Verlag 2013. 336 Seiten. 25,00 Euro.

Zagajewski_23990.inddAsche der Melancholie

(CWM) An Adam Zagajewski kommt man nicht vorbei, wenn man nach den poetischen Stimmen des osteuropäischen Aufbruchs in den Jahren des Mauerfalls und des Ende des staatlichen Kommunismus sucht. Bis 1982 hielt es Zagajewski noch in seinem Heimatland Polen aus, in dem er immer mehr mit Drohungen und Schikanen bedrängt wurde. Er wollte sich weder der staatlichen Zensurbehörde beugen noch sich den vorherrschenden Realismuskonzepten anpassen. Er ging in das Pariser Exil. Schrieb dort weiter Gedichte, veröffentlichte neue Bände, kehrte dann aber auch nach vielen Jahren wieder zurück in das „neue Polen“.

Von dieser Lebensreise zwischen Heimat, Exil, Nähe und Fremde handeln auch viele seiner neueren Gedichte. Von Krakau, seinem heutigen Lebensmittelpunkt, ist viel die Rede. In poetischen Bildern erinnert er sich an seine Kindheit, an die Studienzeit, an Reisen durch Europa, an die Konfrontation mit Kunstwerken. Allen Gedichten ist ein erzählender Grundton eigen, der dazu verführt, das Buch als eine Art Autobiographie zu lesen. Programmatisch für das gesamte Werk von Zagajewski ist sein Gedicht „Gedichte schreiben“: „Gedichte schreiben ist ein Duell,/ bei dem es keinen Sieger gibt/….Ist das Weinen des Kindes, das den wertvollsten Schatz verlor.“

Vieles hat sich in Polen, in allen Ländern des ehemaligen „Ostblocks“ in den letzten Jahrzehnten verändert, vieles auch in atemberaubender Schnelligkeit. Trotzdem aber liegt für den Dichter über allem immer noch „die leichte Asche der Melancholie“.

Adam Zagajewski: Unsichtbare Hand. Gedichte. Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Edition Lyrik Kabinett bei Hanser 2012. 136 Seiten. 14,90 Euro.

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