Kurzrezensionen – diesmal mit Besprechungen zu David Foster Wallace („Schicksal, Zeit und Sprache“), Katherine Mansfield („In einer deutschen Pension“) und Luc Bondy („Toronto“), geschrieben von Friederike Moldenhauer (FM), Christina Mohr (MO), Carl Wilhelm Macke (CWM).
Haiku Rezension
Ist der Wille frei?
Bestimmt das Schicksal den Lauf?
Gedankenspiel pur
(FM) In „Schicksal, Zeit und Sprache“ sind neben David Foster Wallaces Abschlussarbeit in Philosophie weitere Aufsätze versammelt, die in das Thema Fatalismus und Determinismus einführen. Das ist auch bitter nötig, denn es geht um die akademische Abschlussarbeit DFWs, mit der er sein Philosophiestudium am Amherst College in Massachusetts 1985 beendete, der Titel: „Richard Taylors „Fatalismus“ und die Semantik physikalischer Modalitäten“.
Harter Stoff, ist man a) kein akademischer Philosoph, b) Kenner Richard Taylors, c) interessiert an der Frage „Fatalismus oder Determinismus?“ oder hat d) seine Hausaufgaben in Logik nicht sehr gründlich gemacht.
Das Kernstück von DFWs Aufsatz lautet folgendermaßen:
„Im Folgenden führe ich nun, zunächst auf intuitive Weise mit Hilfe von Diagrammen, das Instrumentarium ein, das ich für geeignet halte, Aussagen über temporale physikalische Modalitäten kohärent zu interpretieren: das physikalisch-modale System J. (S. 150)“
Denjenigen, die mit dieser Aussage etwas anfangen können, oder deren Interesse geweckt ist, sei das Buch ans Herz gelegt, sie werden von DFWs Argumentationskraft bezaubert sein. Allen anderen empfehle ich den Roman „Der Besen im System“, auf den in der Einführung zu Wallace Aufsatz wiederholt hingewiesen wird. Dort hat Wallace einige Ideen seiner philosophischen Auseinandersetzung literarisch verarbeitet.
„Broom of the System“ ist Wallaces Abschlussprojekt seines anderen Hauptfaches: Creative Writing. Und hier wird es auch für Nicht-Philosophen interessant: Ursprünglich war Wallace für Philosophie eingeschrieben und nahm Literatur erst später hinzu. Nach dem Erscheinen vom Besen wollte er ein Postgraduiertenstudium in Philosophie aufnehmen und eine Hochschulkarriere anstreben. Doch im 1. Semester brach er dieses Vorhaben ab und kehrte vollständig zur Literatur zurück. Was für ein Glück.
David Foster Wallace: Schicksal, Zeit und Sprache. Über Willensfreiheit (Fate, Time, and Language. An Essay on Free Will, 2010). Aus dem Amerikanischen von Frank Jakubzik. Edition Suhrkamp 2012. 207 Seiten. 15,00 Euro
Skizzen menschlichen Miteinanders
(cm) Das zuerst 1909 veröffentlichte „In einer deutschen Pension“ wird anlässlich Katherine Mansfields 90. Todestages am 9. Januar 2013 in der edition Büchergilde neu aufgelegt. Mansfield war eine scharfe Beobachterin, die scheinbar „ausgesprochen inhaltslose“ (so Kindlers Literaturlexikon) Begebenheiten niederschrieb, dabei aber gesellschaftliche Zustände und menschliches Miteinander aufs Allerzutreffendste skizzierte. „In einer deutschen Pension“ war Mansfields literarisches Debüt und beschreibt vordergründig ihrem Aufenthalt in einem Kurbad im wilhelminischen Deutschland (Vorbild: Bad Wörishofen): man begegnet forschen Herren, fröhlichen Witwen, überspannten jungen Künstlerinnen, mit großer Kinderzahl gesegneten/geplagten Ehefrauen und eingeschüchtertem Personal.
Der Teufel/die Wahrheit über „die deutsche Seele“ liegt indes im Detail und oft im letzten Satz, der so mancher Geschichte einen völlig unerwarteten Dreh verleiht. Grausam ist Mansfield zuweilen auch: in „Das Kind, das müde war“ entledigt sich die übermüdete Haushaltshilfe des unaufhörlich schreienden Babys ganz prosaisch mithilfe eines Kissens – woraufhin nun endlich Ruhe war, beim Baby für immer und für das Mädchen einen himmlisch erholsamen Schlaf lang. Die Autorin erfordert starke Nerven – belohnt dafür aber mit erbaulicher Lektüre.
Katherine Mansfield: In einer deutschen Pension (In a German Pension, 1911). Edition Büchergilde. Hardcover mit Schutzumschlag + Lesebändchen. 280 Seiten. 21 Abbildungen/Illustrationen von Joe Villion. Übersetzt und mit einem biografischen Essay versehen von Elisabeth Schnack.
Vermoderte Liebe
(CWM) Als Lyriker war Luc Bondy bisher nicht bekannt. Seinen Namen verbindet man vor allem mit dem Theater. Er gehört zu den wichtigsten und gefragtesten Regisseuren der Gegenwart. In seinem ersten Gedichtband spürt man aber auch immer noch den Theaterregisseur, der ein Gespür für Szenen und für Dialoge besitzt. Fast immer sind in seinen Gedichten auch andere Menschen real und auch nur in der Vorstellung anwesend. Oft ist von der Liebe die Rede, aber nicht in einem romantisierenden Sinne. Man wünscht sie sich, aber spürt immer auch ihre große Fragilität, vielleicht auch Unmöglichkeit.
„Die Liebe im Staub,/ weggeweht gegen das blaue Meer“, heißt es in einem Gedicht mit dem Titel „Vermoderte Liebe“. In anderen Gedichten meditiert der Autor über das Alter und die Vergänglichkeit. „Der Dichter altert nicht/ auch wenn der Sommer seinen Garten trocknet/ der Frühling ihn enttäuscht/ der Winter die Herbstzapfen/ mit Schnee bedeckt.“ Das zu wissen, lässt alle Dichter leichter leben…
Ein schmaler Band mit nur wenigen Gedichten, die aber hoffen lassen, dass der Autor auch in Zukunft neben seiner Theaterarbeit immer wieder die Zeit findet, über seine Arbeit und sein Leben in Form von Gedichten zu reflektieren. Selten liest man lyrische Texte, in denen auch schwere existenzielle Konflikte so leicht und trotzdem ernsthaft in Worte gefasst werden.
Luc Bondy: Toronto. Paul Zsolnay Verlag, Wien, 2012. 64 Seiten. 14,90 Euro.