Kurzrezensionen – diesmal mit einer Haiku Rezension von Friederike Moldenhauer zu Alexander Poschs Roman „Sie nennen es Nichtstun“ und Besprechungen von David Abulafia („Das Mittelmeer. Eine Biographie“), Joachim Lottmann („Endlich Kokain“) und Martin Pollack („Kontaminierte Landschaften“) – geschrieben von Joachim Feldmann und Carl Wilhelm Macke (CWM)
(FM) Haiku-Rezension
Totes Eichhörnchen
Wohin mit Philosophie
Im Vorortgarten?
Alexander Posch: Sie nennen es Nichtstun. Langen-Müller 2014. 17,99 Euro. 136 Seiten.
Fundierte Biografie des Mittelmeeres
(CWM) Es wird vielleicht einmal Zeit, der Geschichte und der Gegenwart des Mittelmeers wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Nahm man es in früheren Jahrzehnten fast ausschließlich als ein touristisches Ziel zur Kenntnis, wo man als die Sonne, das Meer und vor allem das gute Essen genießen konnte, registriert man heute auch immer mehr die Schattenseiten und Probleme dieses Meeres und seiner Küstenländer. Hier stoßen Europa, Asien und Afrika mit ihren jeweils sehr verschiedenen Kulturen aufeinander. Mit der Insel Lampedusa haben die dramatischen Migrationskonflikte der Gegenwart einen traurigen Namen gefunden. Zwischen den südeuropäischen Anrainerländern mit ihren großen wirtschaftlichen Krisen und den reicheren nordeuropäischen Ländern werden die Gräben des gegenseitigen Unverständnisses immer tiefer.
Da ist es wichtig, sich einmal wieder mit den historischen Wurzeln der ‚Mittelmeerkulturen’ zu beschäftigen. Eine umfangreichere, fundiertere und aktuellere ‚Biographie des Mittelmeeres’ gibt es derzeit nicht als diese Studie des an der Universität von Cambridge lehrenden Autors. Die Geschichtsreise entlang des Mittelmeeres beginnt sage und schreibe 20.000 Jahre v. Chr. und endet im Jahre 2010 nach Christi.
Diese riesige Zeitspanne ist beeindruckend, könnte aber auch auf potentielle Leser abschreckend wirken. Zeit und Geduld wird man aber auf jeden Fall haben müssen, um dieses fast tausend Seiten umfassende Werk über das Mittelmeer, die Wiege unserer Zivilisation’ in seinem ganzen intellektuellen Reichtum zu würdigen. Diese wenigen Zeilen werden der Studie von Abulafia nicht annähernd gerecht, aber vielleicht geben sie ja einen Anstoß wenigstens zur Kenntnis zu nehmen. Und lesen kann man es dann in Ruhe vielleicht während des nächsten Urlaubs irgendwo am Ufer des Mittelmeeres.
David Abulafia: Das Mittelmeer. Eine Biographie. Übersetzung aus dem Englischen von Michael Bischoff. S.Fischer Verlag 2013. 959 Seiten. 34,00 Euro.
Prosa für Bescheidwisser
(JF) Von einer erfolgreichen, wenn auch medizinisch eher umstrittenen Diät erzählt der lang erwartete neue Roman des notorischen Kulturbetriebsbeobachter Joachim Lottmann. Weshalb die Methode, mit deren Hilfe ein unter erheblichem Übergewicht leidender ehemaliger Fernsehredakteur auf angenehme Weise dem frühen Tod entkommt, verrät der Titel des Buches: „Endlich Kokain“. Die Geschichte beginnt natürlich in Wien, jener Stadt, in der bereits der junge Sigmund Freud mit der Droge experimentiert hat, und endet in der Kunstszene Berlins, wo die „Vernissagen-Nights“ ohne Koks nicht zu überstehen sind.
Stefan Braum, so heißt der dreiundfünfzigjährige frühvergreiste Held des Romans, beginnt seine Therapie als wissenschaftliches Experiment. Seine von Anfang an positiven Erfahrungen protokolliert er in einem Tagebuch, das der im beliebten Lottmann-Ton parlierende Erzähler immer wieder als Quelle heranzieht. Wir werden Zeugen, wie Braums Gewicht abnimmt und sein Selbstbewusstsein wächst. Er findet Eingang in hippe Künstlerkreise, beginnt Affären mit jungen Damen und entdeckt sein Talent als Schwindler. Das ist amüsant und anspielungsreich. Natürlich liest der Drogen-Novize die einschlägige Romanliteratur, von Pitigrillis „Kokain“ über Agejews „Roman mit Kokain“ bis hin zu Jörg Fausers „Rohstoff“. Und kaum erinnert uns sein Einstieg in den Kunstbetrug an einen gewissen Mr. Ripley, fällt schon der Name Patricia Highsmith.
Wie von Joachim Lottmann gewohnt, handelt es sich auch bei „Endlich Kokain“ um Prosa für Bescheidwisser, die dann zur hohen Form aufläuft, wenn der Erzähler seine Rolle als Chronist des Kulturbetriebs scheinbar ernst nimmt. Das liest sich zum Beispiel so: „Irgendwann kamen Daniel Richter und Werner Büttner, der eine enfant terrible der postwilden Malerei der Nullerjahre, der andere sein Lehrer. Braum redete mit beiden.“ Dann müssen sie auch schon wieder verschwinden, denn im nächsten Satz geht es bereits um die neue Frisur eines ehemaligen „Bild“-Chefredakteurs. Wie schön wäre es, denkt sich nun der Leser, wenn man nicht einmal ahnte, wer denn dieser Diekmann ist. Aber das ist leider nicht möglich. Und der grausame Herr Lottmann weiß das.
Joachim Lottmann: Endlich Kokain. Roman. 251 Seiten. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2014. 9,99 Euro.
Für Erinnerung und Verortung
(CWM) Ausschwitz, Birkenau, Bergen-Belsen, auch Srebenica und Katyn sind Ortsnamen, die Teil des kollektiven europäischen Gedenkens geworden sind. Wer aber kennt Bikernieki, Kurapaty, Huda, Chwatiw? Der österreichische Journalist, Schriftsteller und Übersetzer Martin Pollack erinnert mit seinem Text an Landschaften, Regionen und Orte, die für viele unbekannt sind, obwohl sie mit sehr viel Blut der Geschichte ‚kontaminiert‘ sind.
„Europa ist übersät von Schlachtfeldern, Schauplätzen zermürbender Stellungskämpfe, blutiger Offensiven und Gegenoffensiven, ganze Landstriche wurden zu Metaphern für sinnloses Kämpfen und Sterben.“ Daran versucht Pollack zu erinnern, bevor sie vielleicht endgültig mit dem Sterben von Zeitzeugen aus unserer Erinnerung verschwinden. Geschildert werden unglaublich grausame Verbrechen, die von verschiedenen Kriegsparteien im Verlauf des II. Weltkrieges begangen wurden.
Oft waren es Verbrechen, die vollkommen im Verborgenen ausgeübt wurden, damit jede Zeugenschaft für immer und ewig ausgelöscht sein wird. Nichts soll darauf hinweisen, dass in den heute vielleicht lieblich und unschuldig erscheinenden Landschaften einmal sehr brutale Massenverbrechen ausgeübt wurden. Die hier umgebrachten Menschen „sollen ausgelöscht werden für alle Zeiten. Sie werden dem Vergessen überantwortet, dem ewigen Schweigen. Keiner möge sich an sie erinnern. Keiner soll ihrer gedenken“.
Manchmal fällt es dem Leser schwer, die Lektüre der hier vom Autor in Details ausgebreiteten Verbrechen fortzusetzen, aber es handelt sich ja um geschichtliche Tatsachen, denen man nicht durch Wegschauen und Weiterblättern einfach aus der Welt schaffen kann. Man wünscht diesem in seinem Inhalt so tieftraurigen Buch eine möglichst große Leserschaft. „Damit den unbekannten Opfern der Massengräber ihre Namen und Gesichter und ihre Geschichte wiedergegeben wird.“
Martin Pollack: Kontaminierte Landschaften. Residenz-Verlag, St.Pölten- Salzburg – Wien, 2014. 117 Seiten. 120 Seiten.