Trotzki & andere Zeitgenossen …
Der Kubaner Leonardo Padura hat sich in den letzten Jahren mit nachdenklichen und sozialkritischen Krimis einen Namen gemacht. Schauplatz war immer Paduras Heimatstadt Havanna. Erstmals hat er nun einen Roman vorgelegt, in dem er über die Grenzen Kubas hinausschaut, nach Spanien während des Bürgerkrieges, in die Sowjetunion, nach Mexiko. Padura widmet sich darin der Ermordung des sowjetischen Revolutionärs und Politikers Leo Trotzki am 21. August 1940 in Mexiko-Stadt durch den spanischen Kommunisten Ramón Mercader. Eva Karnofsky über den spannendsten kubanischen Schrifsteller unsere Tage und seine neuen Roman.

Lew Dawidowitsch Bronstein alias Trotzki
Der Mann, der Hunde liebte ist ein großartiger Roman und bis zur letzten seiner 730 Seiten fesselnd. Und das, obwohl der Leser von vornherein weiß, dass Mercader Trotzki mit einem Eispickel erschlagen und gefasst wird. Padura stellt dem Roman eine entsprechende Meldung der Nachrichtenagentur TASS voran. Auch Ramón Mercader führt der Autor gleich auf der ersten Seite ein: Er zitiert einen Ausschnitt eines Verhörs durch den Chef des mexikanischen Geheimdienstes.

Porträt Mercaders auf seinem Grabstein in Moskau
Doch dann geleitet uns Leonardo Padura erst einmal auf einen Friedhof im Havanna des Jahres 2004, wo der Leser dem einzigen fiktiven Protagonisten des Romans begegnet, dem Kubaner Iván Cárdenas Maturell. Iván hat gerade seine Frau Ana verloren, und er erinnert sich, wie er ihr kurz vor ihrem Tod ein Geheimnis anvertraute: Er hatte Ramón Mercader kennengelernt und ihn „den Mann, der Hunde liebte“ genannt. Dieser hatte ihm sein Leben erzählt und Iván hatte es aufgezeichnet. Der Trotzki-Mörder hat tatsächlich nach seiner 20-jährigen Haft in Mexiko bis zu seinem Krebstod 1978 unter falschem Namen in Havanna gelebt.
Was nun folgt, sind drei alternierend erzählte Lebensgeschichten – drei Romane, wenn man so will –, die der Mord an Trotzki verbindet. Ramón Mercaders Biographie, wie dieser sie Iván zu Protokoll gegeben hat und die Geschichte Trotzkis im Exil, wie Iván sie sich nach der Lektüre meist verbotener Bücher vorstellt, zeugen ebenso vom Scheitern des Kommunismus wie auch Iváns in Ich-Form erzählte Lebensbeichte. Ihn hat das kubanische Regime gebrochen, denn er wurde getreu stalinistischer Tradition dazu gezwungen, wegen angeblicher konterrevolutionärer Verwirrung seine Schriftstellerkarriere aufzugeben, sich ins innere Exil zurückzuziehen und als Redakteur einer Veterinärzeitschrift zu arbeiten, der mit der Impfung von Hunden sein karges Salär aufbessert.
Die drei eint nicht nur, dass der Kommunismus stalinistischer Prägung ihr Leben zerstört hat – sie eint auch ihre Liebe zu Hunden; jeder der drei ist der Mann, der Hunde liebte. Es sind Mercaders Hunde, die ihn am Strand von Havanna mit Iván zusammenbringen. Und das Schicksal des Hundenarrs Trotzki war an jenem Tag während des spanischen Bürgerkrieges besiegelt, als Ramóns Mutter dessen Hund erschoss, um ihrem Sohn schmerzlich klarzumachen, dass seine Liebe nur der Revolution und Stalin zu gelten habe. Mercader stimmt daraufhin zu, dem russischen Geheimdienst beizutreten und sich auf Trotzkis Ermordung vorzubereiten.

Stalin
Die Geschichte Trotzkis setzt 1929 ein, mit dessen Aufbruch in die von Stalin verfügte Verbannung, die ihn von einem sibirischen Lager zunächst in die Türkei führt. Leonardo Padura lässt Trotzki, wie auch seinen Mörder Mercader, so lebendig werden, dass der Leser mit ihnen fühlt und insgeheim hofft, zumindest im Roman möge die Geschichte einen anderen Verlauf nehmen. Sorgfältig und einfühlsam, ja mitfühlend, arbeitet Padura ihre Charaktere heraus und stellt sie in den historischen Kontext der politisch bewegten Jahre bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges. Er zeichnet Trotzkis verzweifelte Versuche nach, im Exil eine Opposition gegen Stalin zu organisieren, obwohl Stalin viele seiner Anhänger zum Verrat zwingt oder ermorden lässt. Opfer Stalin´scher Bündnispolitik, muss Trotzki erst die Türkei und dann Norwegen und Frankreich verlassen, bis schließlich nur noch Mexiko ihm Asyl gewährt. Der Erzähler begleitet einen früh gealterten Mann, der sich immer wieder gegen den Stalinismus aufbäumt. Nicht zuletzt, weil er erkennt, dass er mit verantwortlich ist für das System, das Stalin unumschränkte Macht gewährt. Padura zeichnet Trotzki als ein Opfer, das auch Täter ist.
Genauso gut, wie er die Diktion des marxistischen Intellektuellen und Politikers Trotzki trifft, findet sich Padura in die Sprache ein, die die jeweilige Identität dem stalinistischen Geheimagenten Ramón Mercader abverlangt. Von Hans-Joachim Hartstein glänzend übersetzt, kommt dieser mal als zärtlicher Liebhaber, mal als Geschäftsmann und mal als ängstlicher Sohn einer übermächtigen Mutter daher.
Aus Sicht Paduras ist auch Mercader nicht nur Täter, sondern ebenfalls Opfer. Die Wirren des spanischen Bürgerkriegs, an dem der junge Mercader auf republikanischer Seite teilgenommen hat, eine Freundin, die nur für die kommunistische Sache lebt und eine von Hass auf die großbürgerliche Gesellschaft zerfressene Mutter bringen den labilen Mann dazu, sich bedingungslos dem Kampf für den Kommunismus zu verschreiben. Der Geliebte der Mutter, ein zunächst für Stalin in Spanien tätiger sowjetischer Geheimagent, unterzieht ihn in einem sowjetischen Ausbildungscamp einer Gehirnwäsche, die der Roman in aller Härte schildert.
Auf Versagen oder Ausbrechen aus dem System steht der Tod. Angst, so stellt Mercaders Agentenführer nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bei einem Treffen mit ihm fest, wurde vom Stalinismus zur Lebensform erhoben, sie ist in jeder Zeile des Buches spürbar, denn sie begleitet die drei Protagonisten, auch Iván.
Aus Angst hat Iván seinen Roman über ihn selbst, Mercader und sein Opfer nie veröffentlicht, er erscheint erst nach seinem Tod, über dessen Umstände hier nichts verraten werden soll.
Nie hat der auf Kuba lebende Leonardo Padura sich so weit vorgewagt mit der Kritik am Kommunismus generell und am kubanischen Regime im speziellen. Und dennoch ist sein Buch in diesen Tagen auch in Havanna auf den Markt gekommen. Dies gibt zu Spekulationen Anlass: Es mag der große Bekanntheitsgrad des Autors im Ausland sein, der die Regierung Raúl Castros daran hindert, sich die Blöße zu geben, ihn zu zensieren. Oder zeichnet sich gar eine Abkehr von den Relikten des Stalinismus ab, die Der Mann, der Hunde liebte anprangert? Nicht nur Kubas Schriftstellern wäre dies zu wünschen.
Eva Karnofsky
Dieser Beitrag ist in längerer Form im Büchermarkt des Deutschlandfunk am 30.März 2011 gesendet worden und ist dort nachzulesen.
Leonardo Padura: Der Mann, der Hunde liebte. (El hombre que amaba a los perros, Barcelona 2009) Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein. Zürich: Unionsverlag 2011. 730 Seiten. 28,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Padura beim Unionsverlag und bei Tusquets.
„Ein perfektes Leben“ und „Das Meer der Illusionen“ bei CULTurMAG besprochen.
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