Geschrieben am 26. Mai 2012 von für Bücher, Crimemag

KickAss

KickAss – Bloody Splinters aus dem täglichen Branchenwahnsinn:

Skandalöser Skandal!?

Wenn gar nichts geht, greift man zum Auto-Alarmismus und schreit: „Skandal!“, in der guten Hoffnung, ein paar Berufsaufreger schreien mit und ein paar Distinktionsgewinn-Jäger finden’s toll. Ach ja … Und gähn! Christian Koch beschreibt ein durchsichtiges Manöver …

Im Februar beziehungsweise im April dieses Jahres sind zwei ganz unterschiedliche Kriminalromane in Deutschland erschienen: „High Life“ des amerikanischen Autors Matthew Stokoe sowie „Das Ende von Alice“ der amerikanischen Autorin Amy Michael Homes. In verschiedenen amerikanischen und deutschen Verlagen veröffentlicht, von verschiedenen Übersetzern ins Deutsche übertragen, mit verschiedenen Zitaten beworben. So steht auf der Buchvorderseite von „High Life“ ein Blurb des allseits bekannten „Literaturexperten“ Ken Bruen: „Wie Schlagring auf Hirn“ (deutschsprachig vom Feinsten!!!).

Bei „Das Ende von Alice“ wird auf der Buchrückseite die Autorin Zadie Smith zitiert mit: „A.M. Homes ist für mich und andere Schriftsteller meiner Generation eine echte Heldin“.

Also alles ganz verschieden; worin besteht aber dennoch eine Verbindung zwischen beiden Werken?

In der jeweiligen deutschen Verlagsbewerbung mit dem Totschlagwort „Skandal“.

Um beide Bücher rankten sich bei Erscheinen in den USA angeblich „Skandale“. So beklagt sich der amerikanische Verleger von „High Life“, Dennis Cooper, über die mangelnde Aufmerksamkeit bei der Erstveröffentlichung (2002). Seinen Angaben im Klappentext zufolge wünschte er dem Roman bei der Wiederveröffentlichung in den USA (2008) ein ähnliches Medienecho, wie es „American Psycho“ von Bret Easton Ellis geschafft hatte. Zumindest Diskussionen wie um „Fight Club“ von Chuck Palahniuk hätte er gerne für diesen „verstörenden, radikalen und faszinierenden“ Roman gehabt. Dass er das Wohlwollen der amerikanischen Literaturkritik kleineren Verlagen gegenüber damals als weniger verkaufsfördernd bewertet denn heutzutage, ist vielleicht ein Übersetzungsfehler, ansonsten zumindest diskussionswürdig bzw. grandios humorvoll!

Bei „Das Ende von Alice“ verrät der Verlag Kiepenheuer & Witsch, dass sich nach Erscheinen in den USA (1996) kein Verlag an die Veröffentlichung im deutschen Sprachraum getraut habe. Und dass die Spannbreite der Reaktionen von „geniales Meisterwerk“ bis „erzürnte Ablehnung“ reichte.

Tja, auch Stokoes Werk löste nach Erscheinen in den USA natürlich einen Skandal aus, so der Arche Verlag.

Schaut man sich im weltweiten Internet um, so stellt man schnell fest, dass beide Bücher zwar beim Erscheinen beachtet bzw. kontrovers diskutiert wurden, aber Skandale sehen anders aus.

Verlage wollen und müssen Bücher verkaufen, keine Frage, legitim und mehr als verständlich. Aufkleber mit „Buch der Woche“, „Krimi des Monats“, „Ladenhündin Polly killt den Ladendieb“ oder „Kommissar Humbugs erster Fall“ scheinen zumindest oftmals zu funktionieren. Aber mit der „Skandalnummer“ haben sich der Arche Verlag wie auch Kiepenheuer & Witsch in puncto Förderung der Verkaufszahlen wohl etwas verspekuliert.

Wenn schon Skandal, dann bitte auch mit präzisieren Begründungen warum und wieso …

Drogenexzesse, sexueller Gebrauch von Leichen, Pornographie pur, sowie Bloßstellung der Glitzerwelt von Los Angeles sind die Schlagworte des Inhaltes bei „High Life“. Pädophilie aus der Sicht eines älteren Täters sowie aus der Sicht einer jungen Täterin bei „Das Ende von Alice“.

Ohne auf die jeweilige Qualität der beiden Romane einzugehen (die durchaus vorhanden ist): Werte  Verlagsmenschen, Ihr müsstet einfach mehr in diesem Genre lesen und somit auch bewerten können! Das Stichwort „Skandal“ ist einfach nur arm! „Der Zauberer“ von Jean-Marc Souvira oder „Die Augen eines Mörders“ von Antonio Muñoz Molina sind nur zwei Beispiele für ernstzunehmende „Vorgängerwerke“ in der Richtung von A. M. Homes’ Roman.

Zu „High Life“ gibt es weitaus mehr vergleichbare Werke, warum auch nicht: Dass die Filmindustrie nicht nur aus „Vorsprechen“, „Castings“ und „Hollywoodklischees“ besteht, ist doch bekannt, oder? Die besser informierten Leser bzw. Liebhaber des Genres erreicht Ihr mit dem Totschlagargument „Skandal“ eh nicht. Die breite Leseröffentlichkeit ebenso nicht, die will Spannung, Unterhaltung und/oder kurzweiliges Lesevergnügen (all das ist ja auch mehr als legitim), die hat auf Exzesse eher weniger Lust.

Meiner Verkaufs- und Leseerfahrung nach entstehen Skandale im Buchmarkt manchmal von selbst, ein andermal (siehe zum Beispiel die „Sachbücher“ von Thilo Sarrazin) werden sie auch gezielt gesteuert. Wenn es klappt, funkt es richtig, wenn nicht, dann eben nicht. Alles ist möglich, alles ist erlaubt, alles ist ja auch Geschäft.

Bei beiden Kriminalromanen hätte ich mir eine andere, ernsthaftere Bewerbung gewünscht. Beide sind nämlich durchaus lesenswert und sicherlich auch skandalös kontrovers zu verstehen.

Christian Koch

A. M. Homes: Das Ende von Alice (The End Of Alice,1996). Deutsch von Ingo Herzke. Köln: Kiepenheuer & Witsch Verlag. Köln 2012. 297 Seiten. 19,99 Euro.
Matthew Stokoe: High Life (High Life, 2002). Roman. Deutsch von Joachim Körber. Zürich-Hamburg: Arche Verlag 2012. 448 Seiten. 19,95 Euro.
Krimibuchhandlung Hammett.

 

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