Geschrieben am 28. März 2012 von für Bücher, Litmag

Karl-Markus Gauß: Ruhm am Nachmittag

Beherzt gegen den Zeitgeist

– Die neuen Aufzeichnungen von Karl-Markus Gauß werden zur passenden „Nachttischlektüre“ geadelt. Gauß schreibt einfach gut, kennt sich in Europa aus und pflegt das intellektuelle „Gegen-den-Strom-Schwimmen“. Von Carl Wilhelm Macke

Irgendwie hat der Begriff „Nachttischliteratur“ einen negativen Akzent. Man etikettiert damit Bücher, die man kurz vor dem Einschlafen zur Hand nimmt. Die zu lesen vielleicht nicht allzu viel intellektueller Anstrengung bedarf. Die den Lesern dabei helfen, langsam aus dem Alltagstrubel hinüberzugleiten in den Schlaf. Meditationsbücher, möglichst mit Fotografien von Sonnenuntergängen und bunten Fischerbooten vor Capri. Bände mit eingängigen Gedichten über die Liebe, den Rhythmus des Lebens und die Unschuld der Tiere. Autobiografien von Menschen aus der ersten und zweiten Reihe der Zeitgeschichte. Große Literatur aber, die dicken Wälzer der Klassiker, liegen vermutlich seltener auf den Nachttischen neben dem Bett.

Wer aber weder mit der Lektüre seichter Lebensratgeber noch mit der oft schweren Kost der Klassiker einschlafen möchte, kann sich auch Alternativen für die Zeit zwischen Tag und Nacht aussuchen. Die jetzt schon auf einige Bände angewachsenen Aufzeichnungen von Karl-Markus Gauß etwa eignen sich ganz ausgezeichnet als eine Art literarischer Brücke zwischen der Geschichte draußen vor der Tür, inmitten der Gesellschaft und der Ruhe in den eigenen vier Wänden. Zwischen dem Alltag mit seinen Gewohnheiten, seinen oft monströsen Banalitäten, auch seinen immer wieder neuen Entdeckungen und der Nacht, in der man von diesen Aufgeregtheiten und Zumutungen wenigstens für wenige Stunden Abstand zu gewinnen versucht.

Das alles findet man in „Ruhm am Nachmittag“ von Gauß und deshalb sind sie auch eine so passende „Nachttischlektüre“. Gauß schreibt einfach gut, kennt sich in Europa, vornehmlich in dessen Randgebieten, hervorragend aus, liebt das intellektuelle Gegen-den-Strom-Schwimmen und pflegt eine große Treue zu vergessenen Schriftstellern. Er hat ein bewundernswert „absolutes Gehör“, wenn wieder einmal irgendwelche Zeitgeistklänge zu vernehmen sind. In dem neuen Band mit Aufzeichnungen aus jüngerer Zeit gibt es viele Beobachtungen und Reflexionen, die den Leser zum Nachdenken anstoßen. So lässt er sich an einer Stelle sehr klug über die neuen „Fundamental-Atheisten“ aus. Man kann ja über den Atheismus streiten, schreibt er da, aber man solle sich in Acht nehmen vor den Atheisten, die nur akzeptieren, was sich wissenschaftlich beweisen lässt. „Was für ein Argument! Als ließe sich … Gerechtigkeit, Liebe, Schönheit, Freiheit wissenschaftlich beweisen.“

Festhalten an Werten

Gauß kann sich herrlich befreiend über das Phänomen des Zeitgeistes aufregen, den andere überhaupt nicht mehr als provokant wahrnehmen. An einer Stelle etwa beschreibt er, wie er einmal in die High-Society-Spalten der Salzburger Tageszeitung geriet. Man hatte ein Foto von ihm abgedruckt, das ihn als „feixenden älteren Schmerbauch-Herrn“ bei einem Bücherfest zeigt. Eingerahmt ist das Bild „von der Foto-Reportage über das Kaviar-Festessen zugunsten der Welthungerhilfe der Baronin Mucki von Trüschlingen … Es bleibt der Zeitung meiner Heimatstadt überlassen, mich zwangsweise in die Kohorte ihrer allezeit bereiten Grinser zu pressen“. Wütend, so entnehmen wir seinen Aufzeichnungen, hat Gauß daraufhin den Chefredakteur angerufen und sich diese Präsentation verbeten. Der Chefredakteur scheint sein Anliegen überhaupt nicht verstanden zu haben. Dieses blanke Unverständnis ist für Gauß nur allzu gut erklärbar. „Wer sich der freiheitlich-demokratischen Spaßordnung entzieht, weil er diesen Spaß für quälend unlustig und zudem für ein Mittel hält, die Demokratie im Dauerbeschuss mit nichtigen Nachrichten, trivialen Geschichten, öden Witzen, mit dem täglichen Lobpreis von Charity und Rabauke zu beschädigen, bekommt bald zu spüren, wie böse deren Propagandisten werden können.“

Hartnäckig, manchmal auch verzweifelt, versucht Karl-Markus Gauß noch an einer Agenda der Werte festzuhalten, um nicht ganz vom Strom des Gleichgültigen und der gegenüber allen Weltproblemen Gleichgültigen mitgerissen zu werden. Gegen das zunehmende Ausbleichen alter bürgerlicher Ideale angesichts einer Machtokkupation dummer „Money-Maker erinnert Gauß an Schriftsteller wie den Ungarn Sándor Márai, den Italiener slowenischer Herkunft Boris Pahor oder an den heute fast gänzlich vergessenen Österreicher Richard Bermann. „Wie kann ein Autor, der so gut geschrieben und so viel gut Geschriebenes veröffentlicht hat, so gründlich vergessen werden?“ So sehr sich Gauß erregen kann über Phänomene der Gegenwartskultur – im Mittelpunkt dabei immer wieder die Diktatur von TV-Banalitäten –, so sehr kann er sich auch immer wieder in klugen und liebevollen Plädoyers für Menschen einsetzen, die von der Dampfwalze des Kommerzes brutal an den Rand gedrängt werden. Von den sogenannten europäischen Minderheitenkulturen versteht kaum jemand so viel wie Karl-Markus Gauß. Sehr lesenswert in diesem Band ist auch das Porträt des iranischen Schriftstellers Amir Hassan Cheheltan.

Und in seinen politischen Einwürfen, manchmal polemisch-provokativ, versteht es der Autor klar und deutlich Partei zu ergreifen, ohne sich irgendeiner Partei unterzuordnen. Der ehemalige konservative österreichische Bundeskanzler Schüssel wird genauso scharf abgefertigt wie der ehemalige sozialdemokratische Bundeskanzler Gusenbauer, der heute zu einer „Beute“ seiner „Gier nach Geld, Einfluss und Macht geworden sei. Die modische Solidarität linker Intellektueller mit Palästina ist ihm genauso zuwider wie der dumme, aggressive Ausländerhass der in Österreich einflussreichen Rechtspopulisten.

Kurz, man liest diese eigensinnigen Aufzeichnungen des Autors gerne, weil sie immer auch den Leser ernst nehmen und zu einem eigenen Urteil anregen wollen. Das vollkommene Fehlen von Zynismus, Verbitterung oder apokalyptischen Endzeitbeschwörungen nimmt man mit Erleichterung zur Kenntnis. Man klappt das Buch zu. Legt es auf seinen Nachttisch – und freut sich nach einem angenehmen Schlaf wieder auf die Abendlektüre am Ende des kommenden Tages.

Carl Wilhelm Macke

Karl-Markus Gauß: Ruhm am Nachmittag. Wien: Zsolnay Verlag 2012. 283 Seiten. 19,90 Euro.

Tags :