Geschrieben am 1. Juni 2013 von für Bücher, Crimemag

Jörg Isringhaus: Ein fremder Feind

Jörg_Isringhaus_Ein_fremder_FeindHitlers Sohn

– Eigentlich ist das Dritte Reich nicht ihr bevorzugtes Krimi- und Thrillerthema. Doch wenn es dabei auch um Lateinamerika und dann ganz speziell noch um Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires geht, weicht sie auch mal von ihren ehernen Grundsätzen ab. Für den Nazi-Zeit-Thriller „Ein fremder Feind“ von Jörg Isringhaus hat sich dies jedoch nicht gelohnt, findet Eva Karnofsky.

Als ich gleich beim ersten Durchblättern die Kapitelüberschrift „Buenos Aires, 27. Juli 1940, Avenida Alvarez“ las, sträubten sich mir schon die Nackenhaare. Erstens schreibt man bei aller dichterischen Freiheit Álvarez mit einem Akzent auf dem ersten A und zweitens gibt es die Avenida nicht. Sollte der Autor die Avenida Álvarez Thomas meinen, so liegt sie drittens nicht im Zentrum, wie es im Text heißt, sondern führt geschätzte zehn Kilometer weiter nordwestlich durch Palermo Viejo und Belgrano. Sorry, lieber Kollege Jörg Isringhaus, ich habe dort um die Ecke gewohnt, und es ärgert mich, wenn mit anderen Ländern, wenn sie weit weg sind, ohne Not schludrig umgegangen wird. Auch im Roman. Sie würden sich wahrscheinlich auch ärgern, erfände ich ohne Not eine Straße in Düsseldorf, wo Sie als Redakteur der Rheinischen Post arbeiten.

Was sonst noch über Argentinien und seine Hauptstadt in dem Thriller „Ein fremder Feind“ zu finden ist, bleibt so allgemein, dass kaum etwas falsch zu machen war.

Nazis sell

Doch nun zur Handlung, die im Oktober 1935 einsetzt und sich über fünf Jahre erstreckt. Ein allwissender Erzähler berichtet abwechselnd aus der Perspektive des geläuterten, ehemaligen Nazis Richard Krauss, der nun als Agent des britischen Geheimdienstes Adolf Hitler ermorden soll, und über dessen Gegenspieler Heinrich Hansen.

Letzterer begleitet im Roman den SS-Mann, Amazonasforscher und Dokumentarfilmer Otto Schulz-Kampfhenkel auf seiner Expedition in das Gebiet um den brasilianischen Jary-Fluss, weil Hansen nach der Ermordung eines Mannes, den er zuvor sexuell missbraucht hat, Deutschland sicherheitshalber verlassen will.

Der Autor stützt sich bei den Kapiteln, die am Rio Jary spielen, sowie bei der Beschreibung der Person Schulz-Kampfhenkel vor allem auf den von diesem verfassten Bericht „Rätsel der Urwaldhölle“. Schulz-Kampfhenkels Schulfreund Heinrich Hansen ist jedoch wie Richard Krauss eine fiktive Figur.

Der Teil des Romans, den der Autor am Jary ansiedelt, erfüllt vor allem die Funktion, zu zeigen, wie sich Hansen im Urwald immer mehr zu dem eiskalten Serienkiller entwickelt, dem Krauss später in Deutschland begegnet und der „der weiße Indianer“ genannt wird. Hansen verliert – und Isringhaus schildert dies einigermaßen schlüssig, wenn auch viel zu lang – im Amazonasgebiet jegliche Tötungshemmung, weil er unter den aus nationalsozialistischer Sicht minderwertigen Indianern glaubt, sich austoben zu können. Er versorgt sich mit allerlei tödlichen Giften, von denen Curare noch zu den harmloseren zählt und er verfällt immer mehr der Idee Schulz-Kampfhenkels, Hitler müsse sich Französisch-Guayana aneignen, um sich von dort aus ganz Südamerika mit all seinen Bodenschätzen untertan zu machen. Und Hansen möchte der Statthalter von diesem Nazi-Guayana werden.

Und dann auch noch Göring …

Zu diesem Zweck macht er sich an Luftwaffenchef Hermann Göring heran. Der möchte seine Nichte Oda aushorchen, ohne sie zu foltern, denn Oda hat gemeinsam mit Richard Krauss Hitlers heimlichen Sohn Philipp entführt und versteckt. Da kommt dann Hansen mit seinen Amazonasgiften ins Spiel und damit Krauss ins Gehege und es beginnt die wilde Jagd: Erst ist Hansen hinter Krauss her, dann wird der Spieß umgedreht, aber immer fließt reichlich Blut. Zunächst geht’s durch Deutschland, dann über den Teich nach Buenos Aires, schließlich lockt Hansen den Feind an den Rio Jary.

Die Idee mit Hitlers Sohn ist schon etwas schräg, aber dass Krauss und Oda fortwährend ihr Leben riskieren, damit der Bub nicht unter den Einfluss seines Vaters gerät, geht dann gar nicht mehr. Erst recht nicht, wenn man bedenkt, wie viele Kinder im Zweiten Weltkrieg ihr Leben lassen mussten.

Wenn dann ein kleines Metallplättchen mit einem draufgekritzelten Judenstern Krauss das Leben rettet und sich ein Jaguar an Hansen rächt, weil der mal einen seiner Artgenossen getötet hat (indianische Mythen, klar), ärgere ich mich, dass ich nicht spätestens bei Sätzen wie „Hochmut nahm der Dschungel schnell übel“ oder „sein Inneres fühlte sich an, als hätte er einen Eisberg verschluckt“ das Buch beiseitegelegt habe.

Eva Karnofsky

Jörg Isringhaus: Ein fremder Feind. Roman. Berlin: Aufbau Taschenbuch 2013. 477 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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