Geschrieben am 15. Mai 2013 von für Bücher, Litmag

Jan Lindner: Der Teddy mit den losen Kulleraugen

Jan Lindner_Der Tedy mit den losen KulleraugenFeingewebte Glasfaserstoffe

– Gedichte, so ein oberflächliches Klischee, sind kurze, mehr oder weniger gereimte Textchen, die kein Mensch (außer dem Autor selbst) versteht. Oder sie sind lang, kulturhistorisch wertvoll, ebenso unverständlich und man muss sie auswendig lernen, weil die Deutschlehrerin das so will. Sie werden von Menschen unter zwanzig geschrieben (weil die keine Zeit haben für was Längeres, dafür  jede Menge Probleme, die der Entäußerung bedürfen) oder von welchen jenseits der Sechzig (die sowieso nie Zeit haben, aber endlich mal sagen wollen, wie das Leben geht).
Kann sein.
Muss aber nicht.

Jan Lindners Lyrik entdeckte ich anlässlich einer Lesung der „Lesebühne Leipzig“. Wie auf der CD, die dem Bändchen beiliegt, trug er seine Gedichte frisch, vehement, sprühend, ironisch vor. Ein Grund, die kleine Sammlung von Sonetten, Limericks und Schüttelreimen selbst zu lesen. Aber, meine Güte, wer liest, geschwiege schreibt heute noch Sonette? Gar Sonettkränze? Und wer weiß schon, was das ist? Erfreulich knapp werden die Formen im Anhang erklärt. Dabei muss man das nicht zwingend wissen, um den Texten vergnügt zu folgen. Aber es schadet auch nicht, die barocke Form zu kennen, vielmehr erhöht es den Genuss. Wie Jan Lindner sie nutzt, um dem Unhaltbaren Struktur zu geben, ist überaus gekonnt.

Eben dies ist das Faszinierende an den Gedichten. Unübersichtlich und grenzenlos ist die Welt (geworden?). Alles scheint möglich, alles wird erwartet und kann nicht getan werden, bleibt im Konjunktiv, weil die individuellen, die sozialen und die natürlichen Ressourcen selbstverständlich begrenzt sind. Unsicherheit über die eigene Rolle und die eigene Existenz quält den Einzelnen in dieser rasanten, technisch überbordenden, überfordernden Zeit. Umso konsequenter ist es, Leben, Liebe, Tod in eine strenge, sprachliche Form zu gießen und komisch zu brechen, damit dem Ernst der Verzweiflung über die die Gnadenlosigkeit des Unbegrenztseins, der Heimatlosigkeit und der Verwahrlosung, das Lachen entgegenzusetzen. Das ist Jan Lindner in seinen Gedichten auf zauberische Weise gelungen.

Ein wenig irritierend ist das Vorwort. Ich hätte es mir als Nachwort gewünscht. Der erste Halbsatz: „Dichtung kann verführen …“ als passende Einleitung hätte genügt. Denn etwas Verführerisches haben diese Gedichte.

Gedichte sind blitzend und schillernd bebilderte Geschichten, kunstvoll strukturierte Gebäude, feingewebte Glasfaserstoffe, die die Wirklichkeit konturieren, statt sie zu verschleiern und dem Schrecken vor dem Uferlosen Heim und Lachen geben.
Kann sein.
Muss nicht.
Aber die Gedichte von Jan Lindner sind all dies schon.

Anne Kuhlmeyer

Jan Lindner: Der Teddy mit den losen Kulleraugen. Sonettenkränze und andere fulminante Reimereien mit einem Cover von Dominik Schmitt & einem Vorwort von Björn Haye. Buch mit CD. Periplaneta-Verlag 2013. 83 Seiten, 60 Minuten. 12,50 Euro.

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