Geschrieben am 9. Oktober 2013 von für Bücher, Litmag

Ivica Djikic: Ich träumte von Elefanten

Ivica Djikic_Ich träumte von ElefantenDer Alptraum, ein Leben

– Auch 20 Jahre nach den schrecklichen Ereignissen auf dem Balkan zieht der Westen es vor, nicht so genau hinzusehen. Ivica Djikic hält seinen Lesern jedoch die Wahrheit wie einen Spiegel vor. Sein Roman ist so schwer verdaulich wie unabdingbar. Von Andreas Pittler

Bosko Krstanovic arbeitet für den kroatischen Geheimdienst. Er sieht sich als Patriot, der seinem Lande dienen will. Daneben jedoch hütet er ein Geheimnis. Er ist der Sohn von Andrija Susic, einem jener Männer, die in den Balkankriegen buchstäblich im Blut wateten. Susic, Angehöriger einer kroatischen Einheit, die nicht weniger Kriegsverbrechen beging als die jeweilige Gegenseite, wird plötzlich vor seinem Haus erschossen. Und Krstanovic beginnt zu recherchieren. Dezent natürlich, denn niemand soll wissen, dass der Ermordete sein Vater war.

Über seine Verbindungen gelangt Krstanovic alsbald an brisante Informationen. Sein Vater, so heißt es, wollte gegenüber den Medien auspacken, wollte von den Verbrechen, die von kroatischer Seite im jugoslawischen Bürgerkrieg begangen wurden, umfassend Zeugnis ablegen. Und genau damit, so bedeutet man dem Sohn, habe Susic sein Todesurteil selbst unterschrieben.

Das erscheint Krstanovic mehr als plausibel, denn das Zagreb des Jahres 1999, in dem der Roman spielt, wimmelt von ehemaligen Kriegsverbrechern, die im Windschatten des nationalistischen Autokraten Franjo Tudjman in hohe und höchste Funktionen aufgestiegen sind. Sie alle haben viel zu verlieren (wie sich später am Fall des Generals Gotovina ja auch in der Wirklichkeit zeigte), sodass sie jemanden wie Susic nicht am Leben lassen können.

Abgründe

Gegengeschnitten sind die Recherchen Krstanovics mit Berichten von Susic selbst, der recht leidenschaftslos von den Machenschaften seiner Einheit erzählt. Das Morden gleicht simpler Büroroutine. Man geht zur Arbeit, bringt ein paar Menschen um, und trifft sich später auf einen Schnaps und ein paar Zigaretten. Und wenn man auf der „Gegenseite“ zufällig jemand aus alten Tagen kennt, dann schließt man schon einmal, egal was die Generalstäbe sagen, eine Art Privatfrieden, tauscht Gefangene aus und erkundigt sich beiläufig nach dem Befinden der jeweiligen Angehörigen. Das Kriegshandwerk hat nichts Glorreiches an sich, es ist kalt, menschenverachtend und zynisch.

Das freilich kommt Susic gar nicht in den Sinn. Sein Gewissen regt sich erst, als sein Kommandant zwei Elefanten sinnlos quält. Dafür will Susic Buße tun, und so erwirkt er von Tudjman die Berechtigung, für das überlebende Elefantenweibchen sorgen zu dürfen. Ironischerweise ist es just dieses Tier, das Susic erst dazu treibt, mit seinem Wissen an die Öffentlichkeit zu gehen: er braucht Geld, um für den Dickhäuter weiter Futter kaufen zu können.

Djikic als lakonischer Historiker

Ivica Djikic beschreibt all diese menschlichen Abgründe mit einer nachgerade bemerkenswerten Lakonie. In einer Gesellschaft, der sämtliche Werte abhandengekommen sind, tut jeder nur noch, was ihm opportun erscheint. Solange man nicht fragt, ob, was man tut, auch richtig ist, scheint man sicher. Doch wenn erst einmal die Saat des Zweifels aufzugehen scheint, ist man schnell ein toter Mann. Dabei sind die Übergänge nicht nur für die menschliche Existenz fließend. Ob der Staat nun sozialistisch, demokratisch oder autoritär genannt werden kann, ist alles nur eine Frage der Betrachtung, oder, genauer gesagt, des Standpunkts, den man einnimmt – bzw. auf den man gestellt wurde.

Djikic hat schon 2003 in seiner Heimat für Furore gesorgt, als er seinen Debutroman „Cirkus Columbia“ vorlegte, der sich mit dem Zerfall der jugoslawischen Gesellschaft kurz vor dem Bürgerkrieg befasst. Der Roman wurde 2010 erfolgreich verfilmt, wobei der Streifen sogar in die engere Auswahl für eine Oscar-Nominierung gekommen war.

Galt sein Debut schon als ebenso gelungen wie kontrovers, so wird „Ich träumte von Elefanten“ die Haltungen gegenüber dem Autor weiter polarisieren. Kritik aus nationalistischen Kreisen ist quasi vorgegeben, die Zivilgesellschaft hingegen feiert Djikics Mut, die Dinge beim Namen zu nennen.

Djikic als Zankapfel

Die südslawische Sichtweise auf Djikic kann irgendwie als symptomatisch für die problematische Gemengelage im ehemaligen Jugoslawien gelten. Nicht einmal beim Geburtsdatum sind sich die Völker einig. Laut den kroatischen und serbischen Quellen wurde er 1976 geboren, folgt man aber den bosnischen, so ist er ein Jahr jünger. Und betrachtet man die Fotos, die es von Djikic gibt, so würde man eher mit einem Geburtsjahr um 1970 rechnen. Dafür spräche auch, dass Djikic, glaubt man den diversen Viten, bereits 1994 (mithin also mit 17) Redakteur der angesehenen Tageszeitung „Slobodna Dalmacija“ gewesen sein soll.

Erste Meriten verdiente er sich jedenfalls Mitte der 90er Jahre bei der „Feral Tribune“, einer nahezu genialen Satirezeitschrift im Stil von „Titanic“. Den beißenden Humor des Blattes löste Djikic in seinen Biografien über den seinerzeitigen kroatischen Präsidenten Stipe Mesic und den umstrittenen General Ante Gotovina durch scharfe Kritik ab. Für Djikic ist nicht einfach eine Seite an den Ereignissen im jugoslawischen Raum schuld, sondern er zeigt auf, wie jede Partei bewusst auf den tödlichen Konflikt zusteuerte, in der Absicht, selbst am meisten dabei zu profitieren.

Die 90er Jahre, die mitten in Europa eine kurz zuvor noch als völlig unmöglich angesehene Katastrophe brachten, werden noch lange die Historiker beschäftigen. Doch mitunter sind es – wie im vorliegenden Fall – die Schriftsteller, die den Menschen die Augen öffnen und aufzeigen, was damals geschah – und wie es dazu kommen konnte.

Andreas Pittler

Ivica Djikic: Ich träumte von Elefanten. Kunstmann, München 2013. 237 Seiten. 19,95 Euro.

Tags :