Geschrieben am 12. Juni 2010 von für Bücher, Crimemag

Horacio Castellanos Moya: Der schwarze Palast

Chronik eines Umsturzes

Das Bedürfnis nach Aufarbeitung von Gewalterfahrungen äußert sich in der Literatur auf die unterschiedlichste Weise. Vor allem wenn es sich um Formen institutionalisierter Gewalt handelt, sind die literarischen Reaktionen besonders zahlreich und vielschichtig. In Lateinamerika gibt es beispielsweise eine Reihe sogenannter Diktatorenromane, in denen der Tyrann oder Despot im Zentrum der Handlung steht. Eine andere Art über Diktaturen zu schreiben,  präsentiert uns Horacio Castellanos Moya in seinem neusten Roman Der schwarze Palast. Und Doris Wieser präsentiert uns das Buch.

Horacio Castellanos Moya, 1957 in Tegucigalpa/Honduras geboren, wuchs in El Salvador auf und ist zurzeit nicht nur der bekannteste salvadorianische Schriftsteller, sondern auch derjenige, der die Geschichte seines Landes am umfassendsten und überzeugendsten fiktionalisiert. Wer Schwierigkeiten hat, die vielen kleinen mittelamerikanischen Länder geographisch zu verorten, wird nach der Lektüre dieser Romane zumindest eines davon nie wieder aus seinem literarischen Gedächtnis streichen können. Wie seinerzeit Miguel Ángel Asturias durch seine Bananen-Triologie Guatemala zurück auf die kulturelle Weltkarte holte, gelingt dieses Kunststück nun Castellanos Moya für El Salvador durch ein Gesamtwerk, das die unterschiedlichsten sprachlichen Register zieht und sich aus den verschiedensten Traditionen bedient.

Der Kontext

Im El Salvador des 20. Jahrhunderts herrscht – wie in den meisten anderen mittelamerikanischen Ländern – ein Klima von politischer Gewalt. Eine ganze Serie von Staatsstreichen und Guerillakriegen zerfurcht die Erinnerungen der Menschen; unzählige Familien wurden durch Tod und Exil voneinander getrennt. Bei einem Putschversuch im Jahr 1944 versuchten Militärs den faschistischen General Maximiliano Hernández Martínez zu stürzen, der das Land seit 1931 regierte und 1932 ein Blutbad unter aufständischen indigenen Bauern angerichtet hatte (La Matanza). Obwohl der Staatsstreich zunächst niederschlagen werden konnte, musste der General aufgrund des Drucks der Bevölkerung wenige Woche später abdanken. In diesem Kontext spielt Der schwarze Palast.

Das Tagebuch

Horacio Castellanos Moya (Foto: © Iván Giménez)

Der erste Teil des Romans beginnt einige Tage vor dem Putschversuch und endet am Tag der Abdankung des Diktators. Von Kapitel zu Kapitel wechseln sich zwei Handlungsstränge miteinander ab. Einer davon besteht aus den Tagebucheintragungen Haydées, einer Frau in den Vierzigern aus einer betuchten Farmerfamilie. Ihr Mann, Pericles Aragón, ein Journalist, der in jüngeren Jahren Botschafter in Paris und Berater des Generals war, wird aufgrund eines regimekritischen Artikels Tage vor dem Putsch inhaftiert.

Haydée schildert die Ereignisse sehr kleinschrittig aus einer weiblichen, äußerst glaubwürdigen Innenperspektive heraus. Ihr Tagesablauf besteht im Wesentlichen aus Besuchen von und bei ihren Eltern, Verwandten und Freundinnen, Telefonaten, kleinen Besorgungen und dem Warten vor dem Gefängnis. Da sie um das Leben ihres Mannes und ihres am Putsch beteiligten Sohns Clemen bangt, schließt sie sich der studentischen Protestbewegung an. Ihr politischer Aktivismus bildet zum Alltag der reichen Damen, zu den Kaffeekränzchen, Schönheitssalons und Schokoladenkuchen, einen beinahe grotesken Kontrast und zeigt die Brüchigkeit ihres Wohlstands auf.

Da Castellanos Moya den Darstellungsmodus des Tagebuchs wählt, bleibt die Wahrnehmung immer auf das beschränkt, was Haydée durch Mundpropaganda und über die Militärs und Diplomaten im Familien- und Freundeskreis erfährt. Die andere Seite der Macht, die Perspektive des Diktators oder seiner Gefolgsleute, bleibt – anders als in den Diktatorenromanen – außen vor. Auch wenn die Fülle an Details etwas ermüden mag, wirkt Haydées Tagebuch doch gerade dadurch sehr authentisch, sprachlich wie inhaltlich persuasiv, und produziert das, was wir mit Roland Barthes „Realitätseffekt“ nennen.

Die Flüchtlinge

Der andere Handlungsstrang verfolgt den Zivilisten Clemen und den Offizier Jimmy (seinen Cousin) auf der Flucht und ist in einem völlig anderen Duktus verfasst. Durch die große Unmittelbarkeit der Darstellungsweise und das Zurücktreten des Erzählers wirken diese Kapitel wie ein Zweipersonenstück, in dem zwei gegensätzliche Charaktere aufeinandertreffen, durch Schicksal in einer Art verschlossenem Raum aneinander gekettet werden und sich gegenseitig zermürben (Vorbilder dafür gibt es viele). Dadurch entstehen Szenen, die man gerade noch tragisch-komisch aber auch schon fast als Klamauk lesen kann; ästhetisch gesehen eine heikle Gratwanderung angesichts des ernsten Themas.

Das Resümee

Im zweiten Teil, der nur die letzten vierzig Seiten des Romans einnimmt, wird Pericles’ Lebensgeschichte, die die politischen Erfahrungen eines ganzen Jahrhunderts umschließt, durch seinen Freund Chelón aus einer zeitlichen Distanz von knapp dreißig Jahren rekapituliert. Dabei vermischen sich persönliche mit politischen Enttäuschungen und münden in ein ernüchterndes Urteil über El Salvador: „Hier ist immer alles schlimmer, als wir es uns vorstellen können“ (S. 309).

Fazit: Eine äußerst suggestive Chronik eines politischen Umsturzes, erzählt aus der eingeschränkten Perspektive derjenigen, die nur wenig bewegen, aber viel erleiden. Mit glasklarem Realismus, großer Ernsthaftigkeit und gleichzeitig mit der Leichtigkeit einer Farce führt Castellanos Moya in Der schwarze Palast seine Reihe meisterhafter Romane fort.

Die Saga der Familie Aragón wird durch früher publizierte Romane des Autors vervollständigt: In Aragóns Abgang (Rotpunkt 2005, org. Donde no estén ustedes, 2003) erzählt Castellanos Moya die Geschichte Betitos, das heißt Alberto Aragóns, und in Desmonoramiento (2006) ist Clemen Aragón Teil der Nebenhandlung.

Doris Wieser

Horacio Castellanos Moya: Der schwarze Palast (Tirana memoria, 2008).
Aus dem Spanischen von Stefanie Gerhold.
Frankfurt am Main: S. Fischer 2010. 331 Seiten. 19,95 Euro.

| Horacio Castellanos Moya bei S. Fischer
| Interview mit Horacio Castellanos Moya