Geschrieben am 22. Juni 2013 von für Bücher, Crimemag

Gisbert Haefs: Alexanders Erben

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– Der historische Thriller gehört zu den Opfern des Krimibooms. Heruntergewirtschaftet, verblödelt und verdödelt von Myriaden von Freizeitschreibern, die meinen, zur Recherche reiche Wikipedia aus. Aber zum Glück gibt es immer noch Gisbert Haefs, der seinen epochalen Alexander-Zyklus endlich fortsetzt. Sophie Sumburane hat „Alexanders Erben“ gelesen …

Alexander der Große, Mythos und Geschichte in einem. Um kaum eine antike Gestalt ranken sich derart viele Sagen und Erzählungen wie um den König mit den feuerroten Haaren. Einer, der diese und so ziemlich sämtliche gesicherten Fakten rund um die Gestalt kennt, ist Gisbert Haefs, der mit „Alexanders Erben“ nun schon seinen dritten Alexander-Band veröffentlichte.

Als Antike-Thriller könnte man das Buch bezeichnen. Haefs gilt beinahe als Erfinder dieses Genres und wendet sich mit umfangreicher Sachkenntnis und einem großen Ensemble an Figuren an die gebildete Historien-Leserschaft, fern ab von Medicus und Wanderhure. In einem umfassenden Personenregister im Anhang führt der Autor sämtliche Figuren auf – und das sind wirklich ungeheuer viele – und trennt zwischen historischen Persönlichkeiten und fiktiven Charakteren. Aber auch denen, die in der Zeit Alexanders lebten, legt er Dinge in den Mund, die diese Personen sehr wahrscheinlich so nie gesagt haben – wie sollte man das auch wissen. Obwohl der Roman in einer Zeit spielt, in dem es bereits Papyrus und Schriftzeichen gab, wie der Leser durch den Autor erfährt. Ein fiktiver Antike-Thriller, der so passiert sein könnte.

Mit bemerkenswerter Genauigkeit beschreibt Haefs Umgebungen, Handlungen und Kleidung, kein Detail fehlt, ist falsch oder ungenau, sofern man es heute genau kennt. Von der eingeführten Fischblase zur Verhütung, über die Tatsache, dass in Ägypten Bier getrunken wurde bis hin zum Rechnen der Zeit in „Monden“. Es gibt ja leider viel zu viele (Kriminal-)Romane, in denen Herrschaften des Mittelalters Geburtstag feiern, Fanta trinken und auf ihre Armbanduhr sehen … zumindest fast. Haefs Roman ist dagegen eine Wohltat für die geneigten Leser, die sich in den Figurenstrukturen und der historischen Welt des Alexanders zurecht finden.

Dichtung & Wahrheit

Schon zu Beginn des Buches macht Haefs mit einem Großteil der Figuren vertraut: Vollversammlung der Fürsten, ehemaligen Feldherren Alexanders, hohen Offizieren, Provinzherren und allen, die sonst noch denken, sie hätten etwas zu sagen.

Alexander der Große ist gestorben, von der Donau bis zur Adria, vom Nil bis zum Indus reicht das Reich, welches er 322 vor Christi hinterlässt. Aber wem? Sein Sohn ist erst sechs, außerdem Kind einer Asiatin, und überhaupt scheint das Reich viel zu groß, um von nur einem Mann regiert zu werden. Alexander versuchte, Ethnien und Nationalitäten zu einen, vermählte seine Verwandten und Freunde in einer Massenhochzeit mit Fürstinnen fremder Völker, all dies droht sich nun aufzulösen. Und so entbrennt das Unvermeidliche: ein Bruderkrieg.

Doch vorher versucht man es diplomatisch, der Leser wird von der ersten Seite an in den Fürstensaal geschickt, darf antiken Gesprächen lauschen, kann Entscheidungsstrukturen und Figurenzusammenhänge verstehen. Und dies ist wichtig für den Verlauf der Geschichte, für das Verstehen der Motivationen und das Nachvollziehen scheinbar leicht erfüllbarer Träume einzelner Protagonisten.

Der fahrende Sänger

Die Machthaber einigen sich also nicht, teilen das Reich unter den Wichtigsten auf, um dann gegeneinander Krieg zu führen und immer wieder gemachte Absprachen zu brechen und Bündnisse zu wechseln. In verschiedenen Handlungssträngen, die alle zwischen 322 v.Ch. und etwa 275 v.Ch. spielen, folgt Haefs verschiedenen Hauptfiguren, deren erzählte Zeiten jedoch nicht parallel oder gleich schnell verlaufen. Diese Figuren folgen in Zeiten des Krieges, in denen schon Überleben an sich schwer genug ist, ihren Träumen.

Autor Gisbert Haefs (© Meyer Originals)

Autor Gisbert Haefs (© Meyer Originals)

Der Musiker und Sänger Dymas möchte den Rand der Welt sehen und reist durchs Reich. In Zeiten von Krieg und wechselnden Bündnissen, verhilft ihm zur Rettung immer wieder, dass jeder ihn, den Hofmusiker des großen Alexanders, erkennt. Die Tochter des Fischers Sokrates, Kassandra, lebt zunächst als Dirne in Milet, fällt Sklavenhändlern in die Hände und trifft so auf ihren Retter. Die asiatische Steppenkriegerin Tomyris will ihren ermordeten Vater rächen und den heiligen Dolch ihres Volkes finden, um sich so selbst zur Fürstin zu machen, doch kommt dann, wie so oft im Leben, alles anders.

Immer wieder gibt es unerwartete Wendungen, wechseln sich Schlachten und Feste ab, laufen Stränge zusammen und wieder auseinander, bis der eindrucksvoll angelegte Spannungsbogen seinen Höhepunkt erreicht. Die Figuren treffen sich durch eine wunderbar angelegte Fügung des Schicksals im Feldherrenzelt des Perdikkas, der die ganze Macht für sich wollte, und schreiben Geschichte.

Alles in allem ein Antike-Thriller, der dem Leser viel gibt, Spannung bietet, und nie ins Triviale abgleitet. Einzelne Figuren fallen aus düsterem Elend auf die Seite von ungeheuren Schätzen, begehen Giftmorde und Liebschaften am selben Abend. Beeindruckend sind die immer wieder klugen Denkweisen vor allem der Frauen, die den Erwartungen der Männer entgegen stehen und das scheinbar Unvermeidliche verhindern. Die Geschichte erfordert aber auch viel Mitdenken und vielleicht auch mal Zurückblättern.

Sehr eindrucksvoll schildert der Erzähler Haefs die Antike Gesellschaft, das Leben und Lieben. Sehr genau kennt er die unterschiedlichen Lebensweisen, verschiedener Nationalitäten des selben Reiches, lässt einen Nord-Afrikaner nicht die gleiche Sprache sprechen wie einen Asiaten und nutzt diese Vielfalt gar für die Anlage der ironischen Figur Bodbal.
Seine Sprache ist historisch, sowohl in den Dialogen als auch im Erzählen, nah an den Menschen, die er in seinem Text bewegt. Und trotzdem auch immer wieder voller Sprachwitz.

Haefs Roman „Alexanders Erben“ bildet ein Stück Antike ab, wie es in keinem anderen Historien-Thriller/Krimi zu finden ist.

Sophie Sumburane

Gisbert Haefs: Alexanders Erben. München: Heyne 2013. 396 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Gisbert Haefs im Gespräch beim WDR.

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