Geschrieben am 15. März 2017 von für Bücher, Crimemag

Essay: Über James Lee Burke und seine Familie Holland

burkeEine Familie, so groß wie Texas 

James Lee Burke hat seine Romane um die Familie Holland um die eigene Biografie herum aufgebaut.  Lutz Göllner hat diese Familiengeschichte für uns  recherchiert und rekonstruiert. So haben Sie das noch nirgends gelesen.

Es gibt ja Autoren, die entdecken am Ende ihres Lebens, dass ihr Schaffen und Wirken ein großes Gesamtkunstwerk sei. Isaac Asimov war so einer, der von 1984 bis zum Ende seines Lebens 1992 versuchte, seine beiden Hauptwerke, die Roboter-Geschichten und die Foundation-Romane, miteinander zu verknüpfen. Mehr schlecht als recht, mit ganz vielen Beulen und sichtbaren Lötstellen. 

Auf der anderen Seite stehen Schriftsteller, die von Anfang an ihr eigenes Universum schaffen und dieses mit Querverweisen verbinden. Stephen King fällt einem da sofort ein. Aber auch James Lee Burke ist so ein Fall. Gestartet Mitte der 60er Jahre als „neue Stimme des Südens“ musste Burke 20 Jahre warten, bis er die Anerkennung über den Umweg des Thrillers schaffte. Zur Geschichte der Familie Holland jedoch – eine literarische Version der eigenen Sippe – kehrte Burke über die Jahre jedenfalls immer wieder zurück. Wobei zwei Sachen das Lesen erschweren: Burke erzählt diese Saga nicht linear, springt in der Zeit, erforscht die Zweige dieser Familie in alle Richtungen.

burke-lay-down-my-sword-412Und dann heißen die verdammt noch mal alle gleich!

Zum ersten Mal hören wir von der Familie Holland im Roman „Lay Down My Sword And Shield“ aus dem Jahr 1971 (unter dem Titel „Zeit der Ernte“ bei Heyne HardCore für Herbst 2017 in Planung). Es war Burkes dritter Roman, das Buch mit dem sein persönlicher Abstieg begann. Trotz guter Kritiken war „Lay Down …“ ein Flop, für Burke begann eine Zeit der Gelegenheitjobs und des Saufens, die erst 1987 mit „Neonregen“ enden sollte.

In dieser Lebenskrise steckte auch der Texaner Hackberry Holland (II., wie wir später erfahren sollten), Hauptfigur von „Lay Down …“. Er ist traumatisierter Koreakriegsveteran, von Beruf Anwalt, der sich gerne einen hinter die Binde kippt und sich sonst eigentlich lieber um seine Pferde kümmert. Aber Freunde und Familie drängen Hack dazu, ein politisches Amt in Washington anzustreben. Doch als ein alter Militärfreund in die Mühlen der amerikanischen Justiz gerät, übernimmt Hack seinen Fall. Er lernt eine junge Frau kennen, die für die Landarbeitergewerkschaft agitiert und Hack – getrieben von brutalen Flashbacks in die Zeit seiner Verwundung und Kriegsgefangenschaft – muss seine Vergangenheit, seine Gegenwart und seine Zukunft hinterfragen.

burke-two-for-texas_hrEs soll viele Jahre dauern, bis wir ihn wiedersehen.

1982 erschien der Western „Two For Texas“ mit einer ledrigen Hauptfigur namens Son Holland. Son entkommt 1835 aus einem Knast in Louisiana, zusammen mit Hugh Allison, einem Mitglied der berüchtigten Mason-Harp-Bande, einer reizenden Gruppe von Serienmördern, Straßenbanditen und Flusspiraten. Gemeinsam mit einer wunderschönen Indianerin fliehen sie Richtung Texas, wo sich der Patriarch der Holland-Familie Sam Houston und Jim Bowie anschließt und die Schlacht von San Jacinto mitmacht. Später ließ er sich – fast wie seine Zeitgenossen Gus McCrae und Woodrow Call aus den grandiosen „Lonesome Dove“-Romanen von Larry McMurtry – in Montana nieder.

„Viele Charaktere der Holland-Serie basieren auf der Familie meiner Mutter“, gibt James Lee Burke auf Anfrage zu, „der Patriarch der Familie war Sam Morgan Hollan (ohne „d“), ein konförderierter Soldat, ein Streuner und Revolverheld.“

518I377c3QL._SX311_BO1,204,203,200_Über Sons Sohn Sam Morgan Holland wissen wir nur wenig und das auch noch nur aus zweiter Hand. Billy Bob Holland – zu dem kommen wir später, gemach – erzählt in „Cimarron Rose“ („Dunkler Strom“) die Geschichte seines Vorfahren. Er war ein konförderierter Soldat, ein Cowboy während der Zeit der Rekonstruktion nach dem Bürgerkrieg, ein gewalttätiger Säufer, der gern zur Knarre griff. Und er verliebte sich in Rose Dunn, die „Cimarron Rose“, für die er die Pistolen an den Nagel hängte und Prediger auf dem Chisholm Viehtrieb und in New Mexico wurde.

Seinem Sohn Hackberry I. begegnen wir 1985 erstmals in der Kurzgeschichte „Hack“. Der Band „The Convict“ enthält dann auch eine sehr hübsche Short Story über Hack II., den Enkel: „Uncle Sidney And The Mexicans“. Hier erzählt Burke eine Geschichte zwischen den Kriegen aus dem Jahr 1947, als Hack noch ein junger, optimistischer Mann war.

Erst zwölf Jahre später kam James Lee Burke auf die Familie Holland zurück. Die Serie um Dave Robicheaux lief gut und hatte gleich mehrere Preise eingefahren. Aber Burke wollte schon immer mehr sein, als nur ein gefälliger Krimi-Autor. Also schuf Burke den ehemaligen Texas Ranger Billy Bob Holland, der als Anwalt arbeitet und der jüngere Cousin von Hack II. ist. Vier Romane entstanden zwischen 1997 und 2004 um Billy Bob: der bereits erwähnte „Cimarron Rose“ wurde gefolgt von „Heartwood“ („Feuerregen“), „Bitterroot“ („Die Glut des Zorns“ [Scheiße, wer hat sich bei Goldmann diese blöden deutschen Titel ausgedacht?]) und „In The Moon Of Red Ponies“ (keine deutsche Veröffentlichung).

In der Zwischenzeit hat auch Hackberry II., der Protagonist aus „Lay Down My Sword And Shield“, seinen Frieden mit dieser Welt gemacht. Er ist Sheriff in einer kleinen Stadt an der mexikanischen Grenze, inzwischen über 70 Jahre alt, aber immer noch so attraktiv, dass sich eine jüngere Kollegin, die seine Enkelin sein könnte, in ihn verliebt. Dass texanische Grenzgebiet, in dem er in „Rain Gods“ („Regengötter“) und „Feast Day Of Fools“ („Glut und Asche“) stoisch seinen Dienst versieht, mag der Arsch der Welt sein, aber trotzdem wird er hier in ein hochaktuelles Flüchtlingsdrama verstrickt, nur um in der Fortsetzung gegen Fremdenhass und Rassismus anzutreten.

51ytRYG-e-L._SX328_BO1,204,203,200_Hatte JLB sich bisher immer nur auf einzelne Mitglieder der Familie Holland beschränkt, so sind die letzten drei Romane mit breiteren Strichen gemalt. In „Wayfaring Stranger“ („Fremdes Land“), „House Of The Rising Sun“ („Vater und Sohn“) und „The Jealous Kind“ (noch kein deutscher Titel) geht es um nichts geringeres als um die erste Hälfte des Amerikanischen Jahrhunderts. Nur erzählt Burke dies nicht in linearer Form. „Auch Hackberry Hollan war einer meiner Vorfahren“, so Burke weiter, „meine Großmutter war Alafair Hollan, nach der meine jüngste Tochter benannt wurde. Und der Protagonist von ‚Wayfaring Stranger‘ war ein Tribute an meinen geliebten Cousin Weldon.“ Was Burke freilich beibehält, das ist der Ton, der auch seine anderen Romane auszeichnete. Burke ist kein Nostalgiker, er redet seinen Lesern nicht ein, dass früher alles besser gewesen wäre. Aber es ist dieser lyrische, trauernde Tonfall, der Burkes Prosa immer wiedererkennbar macht, Trauer über den Verlust einer Welt, die vielleicht nicht schöner, aber mit Sicherheit einfacher war als die kalte, graue Gegenwart.

Der erste Teil der Trilogie, benannt nach einem Song, den Johnny Cash berühmt gemacht hat, spielt in Texas im Jahr 1934. Der 16jährige Weldon Holland und sein Großvater Hack, ein ehemaliger Texas Ranger, der John Wesley Hardin jagte, begegnen Bonnie und Clyde und obwohl Bonnie Parker im echten Leben wohl eine pickelvernarbte, syphilisverseuchte Ruine war, verliebt sich Weldon in sie. Zehn Jahre treffen wir Weldon als Lieutenant in der Ardennenoffensive wieder. Zusammen mit seinem Freund Hershel Pine befreit er ein deutsches Konzentrationslager und lernt die Überlebende Spanienkämpferin Rosita Lowenstein kennen. Nach dem Krieg werden sie alle Geschäftspartner und steigen in Houston ins Ölbusiness ein. Ein Roman, so groß wie Texas.

Auch der mittlere Teil wurde nach einem berühmten Folksong benannt. Mit „House Of The Rising Sun“ springt Burke vom Jahr 1891 und der Geschichte um Butch und Sundance, in die Schützengräben des 1. Weltkriegs, hin zum Ende der mexikanischen Revolution 1919. Der Patriarch Hack Holland – obwohl ungebildet – weiß, dass er ein Dinosaurier ist. Nur mit dem Unterschied: Er sieht den Kometen – das 20. Jahrhundert – kommen. Hack sucht seinen Sohn Ishmael, zu dem er den Kontakt verloren hat und kommt dabei auch in den mexikanischen Puff, der dem Roman seinen Titel gibt. Übernatürliche Elemente spielen eine wichtige Rolle und eigentlich erwartet man, dass Hack im nächsten Augenblich dem jungen Indiana Jones trifft.

511Vl8omLtL._SX273_BO1,204,203,200_burke-james-lee-burke-half-of-paradise-pocket066Mit „The Jealous Kind“ schließlich – ein Song von Ray Charles‘ Album „True To Life“ – springt Burke ins Jahr 1952 und schließt gleich mehrere Kreise. In einem fernen Land in Asien tobt ein neuer Krieg und in den USA wird Jagd auf Kommunisten gemacht, als der junge Aaron Holland Broussard, ebenfalls ein Enkel von Hack I. und damit der Cousin von Weldon und Billy Bob, sich in Valerie Epstein, Tochter eines ehemaligen OSS-Spions verliebt. Die Musik dieser Zeit, R&B, der frühe Rock’n’Roll, Honky-Tonk-Country und dreckiger Jazz spielt eine wichtige Rolle, als sich Aaron mit den amerikanischen Geheimdiensten und dem Vegas-Mob anlegt.

Und damit schließt Burke gleich mehrere Kreise, denn bereits sein erster Roman, „Half Of Paradise“ aus dem Jahr 1965, hatte Avery Broussard zum Helden. In einem Knast im Louisiana der Prohibitionszeit trifft dieser Sohn einer alten, reichen Plantagenfamilie auf den schwarzen Boxer Toussaint Boudreaux und den alten Countrymusiker J.P. Winfield. Und – Überraschung! – es gibt in diesem Buch sogar einen gewissen Robicheaux, auch wenn er nicht Dave heißt. Auch wenn die Kritiker das Buch damals hoch gelobt haben („Die neue Stimme des Südens“) – und auch wenn sich alle Themen, die Burke auch später bearbeitet hat hier schon finden – aus heutiger Sicht – mit 50 Jahren Abstand – ist „Half Of Paradise“ nur ein interessantes Debüt, ein Roman ohne Plot und mit Figuren, die nur eine Mutter lieben kann.

James Lee Burke scheint seine Holland-Akten wieder zu schließen, zumindest zeitweise. Im Moment sitzt er jedenfalls am ersten Drittel eines neuen Dave-Robicheaux-Romans, des 21. dann, der „The Wayward Wind“ heißen soll.

Lutz Göllner

(mit Dank an Markus Naegele und James Lee Burke)

Die Holland-Bücher von James Lee Burke

1965 Half Of Paradise
1971 Lay Down My Sword And Shield (als „Zeit der Ernte“ angekündigt bei Heyne)
1982 Two For Texas
1985 The Convict And Other Stories
1997 Cimarron Rose („Dunkler Strom“, Goldmann 1999)
1999 Heartwood („Feuerregen“, Goldmann 2002)
2001 Bitterroot („Die Glut des Zorns“, Goldmann 2004)
2004 In The Moon Of Red Ponies
2009 Rain Gods („Regengötter“, Heyne 2014)
2011 Feast Day Of Fools („Glut und Asche“, Heyne 2015)
2014 Wayfaring Stranger („Fremdes Land“, Heyne 2016)
2015 House Of The Rising Sun („Vater und Sohn“, Heyne 2016)
2016 The Jealous Kind (geplant bei Heyne 2017/18)

Zu den Anfängen von James Lee Burke und seinen frühen Romanen siehe auch die CrimeMag-Recherche von Alf Mayer.

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