Geschrieben am 17. Oktober 2012 von für Bücher, Litmag

Eduardo Mendoza: Katzenkrieg

Ein Gang durch das Prado-Museum kurz vor dem Spanischen Bürgerkrieg

– Spanien arbeitet an seiner Vergangenheit – immer noch. Der Spanische Bürgerkrieg (1936–1939), seit rund zwanzig Jahren eines der beliebtesten literarischen Themen des Landes, wurde einmal mehr Gegenstand eines Romans, nämlich Eduardo Mendozas „Katzenkrieg“ (Premio Planeta 2010). Doris Wieser hat ihn gelesen.

Warum dieses nun doch schon ziemlich weit zurückliegende Ereignis in Spanien immer noch so viele Geister umtreibt, hängt mit der auf den Bürgerkrieg folgenden, bis 1975 andauernden Diktatur des Generals Francisco Franco zusammen, während der den Spaniern eine ganz bestimmte Erinnerungskultur vorgeschrieben wurde: An die Gewinner des Bürgerkriegs, Francos Nationalisten, durfte und musste man sich erinnern, in regelmäßigen Abständen, in einem zeremoniellen, offiziellen Rahmen sowie aufgrund der zahlreichen Erinnerungsorte im öffentlichen Raum; die Verlierer, Vertreter des legitimen republikanischen Staates, schloss man aus der gemeinsamen Erinnerung aus. Auch nach dem Ende der Diktatur konnten die gefallenen, häufig anonym in Massengräbern verscharrten Republikaner nicht sofort rehabilitiert werden. Die Regierung der Transitionsjahre (1975–1982) setzte auf einen Pakt des Vergessens, der die Aussöhnung der Zwei Spanien (las dos Españas) ermöglichen sollte. So dauerte es bis in die 90er-Jahre hinein, bis dieses Thema von einer anderen Warte aus differenzierter und objektiver aufgearbeitet werden konnte.

„Katzenkrieg“ kann vor diesem Hintergrund gelesen werden. Der historische Roman führt auf höchst kurzweilige Weise in die Atmosphäre Madrids wenige Monate vor Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs ein. Perspektiviert wird das Geschehen durch einen Engländer, der als Experte für spanische Malerei nach Madrid gerufen wird, um die Bildbestände des Herzogs von Igualada zu schätzen. Die Sicht des Ausländers ermöglicht auch deutschen Lesern ohne fundiertes historisches Vorwissen einen sanften und überaus unterhaltsamen Einstieg in die politisch angespannte Lage, deren Verwirrungen auf der Ebene der zwischenmenschlichen Beziehungen erfahrbar werden.

Anthony Whitelands lässt sich alsbald völlig naiv in ein kompliziertes Netz verwickeln aus politischen Agitatoren, kommunistischen Spionen, spanischen Adeligen, Polizisten, Angehörigen der englischen Botschaft und an ihm aus unterschiedlichen Gründen interessierten jungen Frauen, deren aller unfreiwilliger Zankapfel er wird. Historische Gestalten reichen dabei fiktiven Figuren die Hand und agieren auf so intimer Ebene miteinander, dass man streckenweise die geheimsten Gründe für den Ausbruch des Bürgerkriegs im Privatleben der Agitatoren vermuten mag. Die Wege einiger von ihnen kreuzen sich im Anwesen des Herzogs von Igualada, allen voran Falange-Gründer José Antonio Primo de Rivera und General Francisco Franco. Hinsichtlich der kollektiven spanischen Erinnerung arbeitet Mendoza anhand dieser Figuren heraus, wie schwierig es ist, über die faschistische Falange schon 1936 auf dieselbe Weise zu urteilen, wie es die Welt nach 1945 über alle faschistischen Bewegungen getan hat. José Antonio wird einerseits als sympathischer, adretter Galant und jugendlicher Hitzkopf dargestellt, der selbst nicht nach Gewalt giert, dessen nicht mehr zu bremsende Gefolgschaft aber immer häufiger blutige Straßenkämpfe gegen linke Parteien anzettelt. Andererseits zeigt uns Mendoza aber auch einen nachtragenden, unreifen und politisch dummen und verantwortungslosen José Antonio, Sohn des gestürzten Diktators Miguel Primo de Rivera. Ähnlich wie Javier Cercas in Soldaten von Salamis (2002) den Falange-Mitgründer Rafael Sánchez Mazas in gewisser Weise rehabilitiert, weil er seine ideologische Entwicklung als logisch und nachvollziehbar, ihre Folgen aber als noch ungewiss darstellt, verfährt Mendoza mit Primo de Rivera, der weder verdammt noch erhöht wird, sondern als Mensch mit inneren Konflikten auftritt, die ihn den Weg einschlagen lassen, den er tatsächlich eingeschlagen hat.

Velázquez: Die Venus vor dem Spiegel

Velázquez: Die Venus vor dem Spiegel (1648–1651)

Trotz allem bleiben die politischen Umstände ein Nebenkriegsschauplatz angesichts der Tatsache, dass für Anthony Whitelands ein ganz anderes Thema im Vordergrund steht: die spanische Malerei des goldenen Zeitalters, allen voran Diego Velázquez. Während seiner mehrmaligen Besuche im Prado-Museum entwickelt Anthony genussvoll Interpretationsansätze zu einigen der bekanntesten Gemälde des Malers und führt den Leser in entscheidende Momente aus dessen Leben am Hof ein. Der Dreh- und Angelpunkt der Romanintrige besteht schließlich darin, dass Anthony in einem der Gemälde aus der Sammlung des Herzogs von Igualada einen noch unbekannten Velázquez entdeckt zu haben glaubt, ein Fund, der ihn als Kunstexperten mit einem Schlag berühmt machen könnte. Das Gemälde stellt einen weiblichen Akt dar und wird von Anthony mit Bezug auf „Die Venus vor dem Spiegel“ in seiner kunsthistorischen Relevanz als Schlüssel zu Velázquez‘ Biografie eingeschätzt. Wer saß Modell? Handelt es sich bei beiden Gemälden um dieselbe Frau? Ist sie womöglich die Gattin des adeligen Auftraggebers? Hatte Velázquez eine Affäre mit ihr? Neben den politischen Wirren, die Anthonys Aufenthalt in Spanien zu einem Risikounternehmen machen, zieht der Roman aus diesen kunsthistorischen Fragen seine Spannung.

Tizian: Tod des Aktaion (1560)

Das zweite Gemälde, das Anthony immer wieder beschäftigt, ist Tizians „Tod des Aktaion“, auf dessen Kopie er in der Eingangshalle des Anwesens des Herzogs stößt. Aktaion erblickte bei der Jagd in einem Wald unwillentlich die nackte, badende Göttin Diana, wurde zur Strafe von ihr in einen Hirsch verwandelt und daraufhin von seinen eigenen Hunden zerfetzt. Mögliche Bezüge zwischen dem Bild und der Romanhandlung gibt es einige: Aktaion könnte für die spanische Republik stehen, die von innen heraus durch Militär und Falange in einem Bürgerkrieg (durch die eigenen Hunde) zerfleischt wird. Oder mit Aktaion ist Anthony Whitelands gemeint, der sich der Identität der nackten Frau im vermeintlichen Velázquez-Gemälde auf der Spur glaubt, aber Gefahr läuft, zum Gespött seiner Kollegen zu werden, sollte sich herausstellen, dass das Gemälde eine Fälschung ist.

Goya: Riña de gatos (1786-1787)

Und zu guter Letzt, wie einige spanische Rezensenten bereits signalisiert haben, spielt der Titel „Riña de gatos“ auf ein drittes, für den Roman anscheinend zentrales Gemälde an, dieses Mal von Francisco Goya. Obwohl im Roman selbst nie erwähnt, scheint es präsent, insofern es ebenfalls im Prado hängt und Anthony wahrscheinlich mehrmals daran vorbeigeht, ohne ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Was will uns der Autor also damit sagen? Vielleicht, dass Anthony ein Madrid erlebt, in dem man sich mit Katzengejaule zankt? Vielleicht sogar, dass Goyas Gemälde in einer anachronistischen Lektüre José Antonio Primo de Rivera und Francisco Franco darstellt, wie sie sich angiften, bevor sie sich letzten Endes in die Arme fallen, um mit den Republikanern Katz und Maus zu spielen?

So mitreißend und lesenswert der Roman auch ist, sprachlich und erzähltechnisch ist er für unsere heutige Zeit unerhört konventionell. Ein im Wesentlichen auktorialer Erzähler schildert eine nahezu einsträngige Handlung chronologisch. Da ist nichts Illusionsdurchbrechendes, Metadiskursives, nichts Rebellisches, Sperriges, Ambiguisierendes in der Struktur angelegt. Narratologisch unterscheidet den Roman wohl nichts von den realistischen Romanen des 19. Jahrhunderts. Nicht einmal der in Spanien häufig gelobte Humor Mendozas (ja, da gibt es Szenen, in denen eine Prostituierte im Schrank ein Gespräch mithört oder sich Anthony im Haus des Herzogs unbeholfen versteckt, und auch die schlechte Laune des Hotelportiers mag zum Lachen anregen, aber die Lustigkeit hält sich insgesamt in Grenzen) ändert daran etwas, denn humorvoll waren auch schon die ganz großen Realisten.

Warum funktioniert diese illusionistische Art des Schreibens heute wieder? Vielleicht will man sich gerade im Genre des historischen Romans (das ja auch alle erdenklichen illusionsdurchbrechenden Verfahren erprobt und der offiziellen Geschichte unzählige apokryphe, widersprüchliche, kleine Geschichten hinzugefügt hat) wieder stärker auf die Geschichte an sich konzentrieren anstatt auf das Wie ihrer Darstellung.

Daher: Meisterhaft zeitlos erzählt, lässt uns „Katzenkrieg“ genießerisch und selbstvergessen in die spanische Geschichte und Kultur eintauchen. Aber das Schönste daran ist, dass man beim Wiederauftauchen bemerkt, en passant eine Menge gelernt zu haben.

Doris Wieser

Eduardo Mendoza: Katzenkrieg (Riña de gatos, 1936, 2010). Aus dem Spanischen von Peter Schwaar. Nagel & Kimche 2012. 412 Seiten. 24,90 Euro.

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