Geschrieben am 10. November 2012 von für Bücher, Crimemag

Edo Popović: Der Aufstand der Ungenießbaren

„Welche Regierung braucht schon glückliche und kluge Menschen?“

Auf der kriminalliterarischen Europa-Karte gibt es ein paar weiße Flecken. Der Balkan gehört dazu. Nicht, weil es dort keine spannenden Bücher und Autoren gäbe, sondern weil sie auf unserem Markt viel zu wenig vorkommen. Das ist schade, wie Elfriede Müller anhand von Edo Popović demonstriert.

Edo Popović ist durch seine Kriegsreportagen und schnoddrigen Romane über die Schwierigkeit des Älterwerdens in einer zerstörten Gesellschaft bekannt. Sein neuer Roman „Der Aufstand der Ungenießbaren“ unterscheidet sich von seinen bisherigen Texten durch den Mangel an Schnoddrigkeit und sein politisches Statement. Ein Statement über die Notwendigkeit und das Scheitern einer Revolte im globalisierten Spätkapitalismus. Der Roman spielt in der nahen Zukunft 2020 mit Rückblenden auf 2005. Die Ungenießbaren sind diejenigen, für die die Gesellschaft keinen Platz mehr hat, diejenigen, die nicht mehr verwertbar sind. Ihre Stärke ist ihre Solidarität und geteilte Lebensfreude. Sie ernähren sich aus Mülltonnen und organisieren kollektive Spiele und Aktionen.

Sie sind bestimmt von Not und einer Antikonsumhaltung. Ihre politischen Ziele sind z. B. die Rekommunalisierung des Wassers: „Wir suchen etwas, das man nicht in ein Geschäft, ein Spektakel, eine Schlagzeile verwandeln kann“. Politik und Wirtschaft sind endgültig miteinander verschmolzen, eine anonyme Holding, die von Steuern, Handel und Maklergeschäften lebt, regiert und lässt die nicht Verwertbaren hinter einer Mauer verelenden. Dorthin sind sie verbannt worden, weil sie innerhalb der Mauer etwas Verbotenes in den wenig verbliebenen öffentlichen Räumen taten: protestieren, betteln, sportlich betätigen, liegen, schlafen, fotografieren, etwas verkaufen, in Mülleimern wühlen, spielen, singen oder sich unterhalten.

Die drei Hauptfiguren Fraktalfrau, Gärtner und der desertierte Icherzähler Vanča erleben das Auf und Ab der Bewegung der Ungenießbaren und deren Militarisierung. Einige Charaktermasken (wie z. B. der Vorstandsvorsitzende der City-Bank) werden innerhalb der Mauer entführt und in der Regel ermordet, nachdem sie über ihr übles und sinnloses Tun aufgeklärt wurden und auch darüber, dass außerhalb der Mauer ganz andere Gesetze gelten.

Die gewaltlose direkte Aktion hat zwar Spaß gemacht, aber die Welt nicht verändert. Der bewaffnete Kampf verändert sie auch nicht, aber dafür die in ihn verwickelten Akteure, die sich immer mehr ihren Gegnern angleichen. Vanča hat die Gruppe verlassen, weil er die Morde nicht duldete und weil Gärtner ihm Fraktalfrau ausgespannt hat. Er war fünf Jahre im Gefängnis, eigentlich war er für zwanzig verurteilt worden, aber da alle öffentlichen Einrichtungen als überflüssig galten und geschlossen wurden, kam er schon nach fünf Jahren auf freien Fuß. Nun arbeitet er für die Witwe eines der Ermordeten und sucht in deren Auftrag seine beiden ehemaligen Mitstreiter.

Helden und Mörder

Popović will keine Helden mehr: „Held ist üblicherweise nur eine andere Bezeichnung für Massenmörder“. Der Krieg hat ihn gelehrt, dass Gewalt nur weitere Gewalt hervorbringt und dass der Jugoslawienkrieg der 90er Jahre nur Sinn für eine kleine herrschende Minderheit hatte, die dadurch ihre Position sicherte, während er ansonsten Sozialstrukturen und menschliche Beziehungen nachhaltig zerstörte. So begegnen sich in einer parabelartigen Parallelgeschichte Jokić, der bosnische Serbe und Vida, der Kroate, die in diesen Kriegen auf zwei Seiten kämpften und eigentlich nicht wissen warum, außer dass ihr Leben dadurch aus den Fugen geriet. Popovićs knappe Sprache birgt zahlreiche semantische Überraschungen, wie die Organisation HUKEIVERBRE (Helden und keine Verbrecher), eine Organisation die seit 1991 zunächst Kroatien und später die mächtige Holding beherrscht: „Die Organisationen, die mit HUKEIVEBRE verwandt sind, sind in der Welt unter verschiedenen Bezeichnungen bekannt: Chicago Boys, IWF, WTO, British Petroleum, CIA, IBM, Weltbank, Wall Street, Halliburton CO, Nokia, das kolumbianische Drogenkartell, Microsoft, der amerikanische Präsident, der britische Premierminister, der französische Präsident und viele andere mehr.“

Der kurze Roman ist die ambitionierte Aufforderung die noch anstehende politisch-ökonomische Aufarbeitung der Jugoslawienkriege zu beginnen und begreift diese als Teil einer Plünderung der Welt und ihrer Reichtümer, wie Wasser und Luft. Popovićs Gesellschaftskritik ist darüber hinaus eine zukunftsgewandte Wachstumskritik, wie sie geschliffener kaum formuliert werden könnte.

Elfriede Müller

Edo Popović: Der Aufstand der Ungenießbaren (Lomljenje Vjetra, 2011). Roman. Aus dem Kroatischen von Alida Bremer. München: Luchterhand 2012. 189 Seiten. 17,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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