Geschrieben am 9. April 2011 von für Bücher, Crimemag, Porträts / Interviews

Double Feature zu Dominique Manotti

Dominique Manotti!

von Christian Koch und Christophe Dupuis

Dominique Manotti gehört in der Tat zu den wichtigsten zeitgenössischen Kriminalautorinnen.
Deswegen heute eine doppelte Würdigung bei CrimeMag:
Ein dringender Kauftipp von dem Buchhändler unseres Vertrauens, Christian Koch, vom Berliner „Hammett“.

Nach den beiden eigenständigen Werken „Hartes Pflaster“ und „Letzte Schicht“ liegt nun mit „Roter Glamour“ der erste von zwei Romanen mit der Pariser Polizistin Noria Ghozali vor.

Während bedeutende Wirtschaftslenker, Politiker und andere Schergen in einem noblen Pariser Club einen illegalen Waffendeal mit dem Iran feiern, explodiert ein Transportflugzeug über der Türkei. An Bord der Boeing 747 Cargo befanden sich knapp 1000 Raketen aus eben diesem Waffendeal.

Zeitgleich muss sich die ranglose Polizistin Noria mit Bagatellfällen bitterster Natur abgeben. Etwa mit von Knallfröschen zur Explosion gebrachte Hundehaufen, die von gelangweilten arabischen Jugendlichen angerichtet werden.

Noria, selber maghrebinischer Herkunft, einzige Polizistin in der Dienststelle ohne Festanstellung und von den männlichen Kollegen gemobbt, bleibt aber hartnäckig und sehr ehrgeizig. Genau deswegen bekommt sie auch ihren ersten „echten“ Fall. Eine unbekannte Tote auf einem verlassenen Parkplatz. Schnell wird sie von einer konkurrierenden Polizeibehörde abgeworben und plötzlich bekommt sie es mit der sogenannten politischen Elite zu tun.

Natürlich ist „Roter Glamour“ ein hochpolitischer Kriminalroman, Dominique Manotti kann wohl gar nicht anders, und dafür muss man dankbar sein. Wie schon bei „Letzte Schicht“ (3. Platz Deutscher Krimipreis International 2011) zeigt sie meisterlich die Verflechtungen von Politik, Korruption und illegalen Geschäften. Ihr journalistischer Schreibstil ist ihr Markenzeichen, alles wird ziemlich nüchtern, ziemlich gleichrangig beschrieben. Egal ob das grauer Polizeialltag, eine Geheimdienstoperation, die Politik von Staatspräsident Francois Mitterand oder desillusionierte Vorstadtjugendliche sind. Dadurch lässt sie die Fakten sprechen, verzichtet auf nutzloses Beiwerk und gibt ihren Romanen eine ganz besondere Lebensnähe.

Sehr nützlich sind auch die Vorbemerkungen der Autorin zur französischen Polizeistruktur, denn die ist mit der deutschen kaum zu vergleichen.

Ein famoser Kriminalroman, eine der wichtigsten Autorinnen der letzten Jahre!

Dominique Manotti: Roter Glamour (Nos fantastiques années fric, 2001). Aus dem Französischen  von Andrea Stephani. Hamburg: Argument 2011. 247 Seiten. 12,90 Euro.

Christian Koch

Das nächste Projekt von Manotti steht indes schon an, wir haben anlässlich des „Série noire“-Programms schon darauf hingewiesen.
Unser französischer Freund und Mitarbeiter Christoph Dupuis hat mit Dominique
Manotti und dem Co-Autor des Roman „L’honorable Sociéte“, dem immer noch
geheimnisumwitterten DOA  gesprochen,
Barbara Bonneau hat übersetzt

Gespräch mit Dominique Manotti /DOA

L’honorable Société (Die ehrenwerte Gesellschaft)

Was hat Sie dazu veranlasst, diesen Roman „vierhändig“ zu schreiben und wie hat sich Ihr Projekt entwickelt?

Wir haben uns 2007 kennengelernt, als unsere Romane „Letzte Schicht“ und „Citoyens Clandestins“ (Illegale Bürger) im selben Jahr in der „Série Noire“ erschienen sind. Jedem gefiel das Buch des anderen; wir stellten fest, dass wir eine ähnliche Vision vom Thriller hatten, dass unser Schreibstil ähnliche Bahnen einschlägt und dass wir überhaupt viel gemeinsam haben, was das Film- und Literaturschaffen betrifft. Als wir dann den britischen Fernsehfilm State of Play entdeckten und auch im französischen Fernsehen bei den Serien neue Formate auftauchten, wollten wir auch einen Polit-Thriller versuchen, zumal der französische Sender Canal Plus uns sein Interesse dafür bekundete. Es kamen also eine ganze Reihe günstiger Umständen zusammen.

Als sich dann die redaktionelle Linie des Senders änderte, passte ihm unsere Vision des Projekts nicht mehr. Man verabschiedete sich wegen „künstlerischer Differenzen“ aus dem Vertrag. Aber wir hatten Lust und Energie weiterzumachen. Wir haben unser Projekt in eigene Regie genommen und beschlossen, daraus ein literarisches Abenteuer zu vier Händen zu machen. Aurélien Masson von „Série Noire“ machte mit und nun können wir „L’honorable Sociéte“ als Buch vorstellen.

Zwei Autoren haben nicht unbedingt den gleichen Rhythmus beim Schreiben und sicher nicht die gleiche Art zu arbeiten. Wie hat das bei Ihnen funktioniert?

Eigentlich war es gar nicht so schwierig. Wir haben zwar nicht die gleiche Weltanschauung und sehen die Welt nicht aus dem gleichen Blickwinkel, was ein Problem hätte sein können, wir haben uns einander ergänzt. Neben der gegenseitigen Hochachtung haben wir beide den Wunsch, einen tiefen Einblick in die Dinge zu bekommen, um sie dann in eine Fiktion einzubauen, die sie so verständlich wie möglich wiedergibt. Dabei beschränken wir uns auf das Wesentliche und  halten einen schnellen Erzählrhythmus ein. Sobald das klar war, war es relativ einfach für uns, den Plot zu gestalten und einen ersten Entwurf in Form einer Detailbearbeitung zu erstellen.

Für DOA kam dann die wichtige Entscheidung, auch in der Gegenwart zu schreiben, um sich auf das gleiche Terrain wie Dominique Manotti zu begeben. Da wir eine mehrstimmige Erzählweise vorgesehen hatten, haben wir die Figuren unter uns aufgeteilt und sind dann parallel vorgegangen. In regelmäßigen Abständen haben wir die fertigen Seiten aufeinander abgestimmt. Wir haben uns gegengelesen und korrigiert. Im heutigen Text kann man fast nicht mehr feststellen, wer welche Abschnitte geschrieben hat. Alle, die es versucht haben, haben sich geirrt. Selbst uns fällt es schwer, unsere Seiten wiederzuerkennen.

Die einzige wirkliche Schwierigkeit war, unseren Schreibrhythmus synchron zu halten.

In Ihrem Thriller geht es um den sogenannten Ökoterrorismus. Was heißt das für Sie?

Unsere westlichen Gesellschaften haben kein Ideal mehr und bieten den Bürgern kein anderes Projekt mehr an, als Geld zu machen, so viel und so schnell wie möglich, auf jeden Fall mehr als der Nachbar. Wenn eine Gesellschaft so weit verfallen ist, kann sie kaum überleben. Man braucht etwas, was sie zusammenkittet und ihr Kohäsion verleiht. Zumindest zeitweilig kann Angst so ein Kitt für die Gesellschaft sein, wenn man richtig damit manipuliert. Zunächst Angst vor Dieben und vor Räubern. Doch wenn man der Bedrohung einen sozialen und politischen Zusammenhalt geben will, gibt es noch etwas Besseres: das Schüren der Angst vor den Ghettos, den Ökoterroristen, den Islamisten …

Eine Figur des Romans „L’honorable Sociéte“ ist Scoarnec, ein gebildeter Typ, der sich seine Gedanken macht. Vielleicht verquer, aber er denkt“. Macht man sich heutzutage verdächtig, wenn man sich Gedanken macht?

Ja. Und doch brauchen wir dringend denkende Menschen. Hier und da hört man immerhin Neuartiges, man hat kaum den Eindruck, dass grundlegend neu gedacht wird. Die alten Fragen des 19. Jh. sind noch aktuell, unsere alten Antworten darauf gelten nicht mehr. Es gibt keine starken gemeinschaftlichen Strukturen, in denen philosophiert und debattiert wird. Wer Antworten sucht, fühlt sich isoliert und verwundbar. Außerdem braucht man dazu Zeit. Die Versuchung ist groß, diese Leute mit allen Mitteln abzuqualifizieren, bevor sie mehr werden und ein neues Gesellschaftsprojekt anbieten.

Ihr Buch ist präzise, detailliert und erzählt vom Abdriften der staatlichen Ordnung, von Mauscheleien … und man überrascht sich selbst damit, dass man auf einen Meinungsumschwung hofft. Aber wie  einer der Journalisten in Ihrem Buch so richtig sagt: Große Ursachen, kleine Wirkung. Was muss passieren, dass sich etwas bewegt? Wenn man bedenkt, was alles unternommen wird, um J. Assange zum Schweigen zu bringen …

Das ist etwas ganz anderes, Julian Assange bietet kein neues Gesellschaftsmodell oder strebt nicht nach einer gesellschaftlichen Umwälzung. Er ist kein Hoffnungsträger und hat keinerlei neue Idee anzubieten. Er positioniert sich bloß als Aufklärer, der die Undurchsichtigkeit der Staaten durchbrechen will – das heißt, nur einiger Staaten. Und das an der Spitze der Organisation Wikileaks, die selbst sehr undurchsichtig ist. „Macht, was ich sage …“

Wann sich etwas bewegen wird? Schwer zu sagen. Wenn die Verzweiflung ihren Höhepunkt erreicht und eine für die Massen überzeugende Alternative da ist, selbst wenn sie möglicherweise gefährlich sein könnte. Diese beiden Voraussetzungen sind zur Zeit jedoch nicht gegeben.

Sie sitzen beide wieder an Ihrem eigenen Schreibtisch und ich warte schon auf Ihre nächsten Bücher. Haben Sie die Absicht, wieder einmal vierhändig zu schreiben?

Warum nicht? Es war eine gute Erfahrung für uns und das Ergebnis ist ordentlich ausgefallen. Aber um wieder zu zweit zu schreiben, müssen die richtigen Voraussetzungen erst wieder zusammentreffen. Jedenfalls haben wir nicht die Absicht, das gemeinsame Schreiben zu einer Gewohnheit werden zu lassen.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Christophe Dupuis

Christophe Dupuis ist  Buchhändler in Langon, Aquitanien, und seit über 15 Jahren mit allem befasst, was Kriminalliteratur angeht. Seine Interviews und Newsletter zum französischen Betrieb wirken weit über Frankreich hinaus. Nur ein Buch hat er noch nicht geschrieben. Zu seiner Buchhandlung entre2noirs geht es hier.
Elfriede  Müller über Manottis „Letzte Schicht“ bei CULTurMAG

Tags :