Geschrieben am 21. Januar 2012 von für Bücher, Crimemag

Domingo Villar: Strand der Ertrunkenen

Auf hohem Niveau

– Das Böse ist immer und überall. Auch in Galizien. Dort spielen die Kriminalromane von Domingo Villar, aber das ist kein Aufruf, sie als Regio-Krimis zu verstehen.
Corla Bauer über den „Strand der Ertrunkenen“.

In dem kleinen Dorf Panxon an der galizischen Küste wird die Leiche eines Fischers angeschwemmt. Das Besondere: Die Hände des Ertrunkenen waren mit einem Plastikband gefesselt, was auf den ersten Blick wie ein Freitod nach Seemannsart schließen lässt. Doch Leo Caldas, der ermittelnde Inspektor der Polizei Vigo, glaubt aufgrund einiger Ungereimtheiten nicht an einen Selbstmord und rollt den Fall, unterstützt von seinem Assistenten Rafael Estevez, dem etwas groben Aragonesen, komplett auf.


Dazu müssen sich die beiden Großstädter mit den Dorfbewohnern und deren Geschichten, Persönlichkeiten und Eigenheiten eingehend auseinandersetzen. Auch als alles ein wenig haarsträubend wird, weil der Geist eines ertrunkenen Kapitäns zurückgekehrt sein und Rache geübt haben soll, behält Inspektor Caldas die Ruhe und einen klaren Kopf. So geht er allen Widrigkeiten zum Trotz Detail für Detail nach und stößt schließlich – dank seiner Findigkeit und Kombinationsgabe – auf einen zweiten ungeklärten Kriminalfall, der mit der Vergangenheit des Ertrunkenen in Verbindung steht. Wie ein zu entwirrendes Knäuel arbeiten sich die beiden Polizisten Stück für Stück voran, verfolgen manchmal einen Faden, der ins Leere läuft und bemerken, dass alles noch sehr viel komplizierter und komplexer ist, als es zunächst aussieht. Hartnäckigkeit und Ehrgeiz führen den Inspektor und seinen Assistenten auf die richtige Spur, der sie zunächst ganz vorsichtig nachgehen und den Täter erst einmal in ihre Ermittlungen einbeziehen, um ihn dann behutsam in die Enge zu treiben.

Domingo Villar (Quelle: Unionsverlag)

Unaufgeregt

Das ganze Szenario ist so unaufgeregt menschlich und überaus spannend auf höchstem sprachlich-literarischen Niveau erzählt, dass sich der geneigte Leser dem Bann dieses Buches kaum entziehen und es nur schwerlich aus der Hand legen kann. Besonders versöhnlich ist Gewöhnlichkeit und Fehlbarkeit des „Helden“ Leo Caldas, der mit seinem eigenen Leben eigentlich genug Arbeit hat und sich davon manchmal ebenso überfordert fühlt wie von seinem Job. Leos stürmischer und aufbrausender Assistent ist der Gegenpart, so dass die daraus resultierenden Konflikte etwas herrlich lebhaft persönliches haben. Das ganze Personalensemble wirkt – ebenso wie das nordspanische Lokalkolorit – sehr authentisch.

Der Roman ist hervorragend aufgebaut und durchstrukturiert, alle Details, Personen und Handlungsstränge werden von Anfang bis Ende durchgehalten und schlüssig zusammen geführt, ohne hölzern oder konstruiert zu wirken. Die Sprache ist leichtfüßig und abwechslungsreich, lebendig. Es menschelt immer wieder, so dass der Leser Vertrauen findet und Beziehungen zu den Protagonisten aufbauen kann. Es ist möglich, in den Roman einzutauchen, sich treiben zu lassen und trotzdem in den sicheren Hafen einzulaufen, nämlich den Fall zu klären, den Mörder zu finden. Der Mörder ist kein schrecklicher, gewissenloser Schurke, sondern ein Mensch, den man durchaus schon kennen gelernt und Vertrauen geschenkt hat. Seine Beweggründe und Ängste werden nachvollziehbar und doch überrascht die Kaltblütigkeit seines Tuns.

Der Roman ist ganz hervorragendes Lesefutter: Unterhaltung auf höchstem Niveau. Domingo Villar ist ein Glücksstern am Krimihimmel, der junge spanische Schriftsteller ist bereits für sein Debüt mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet worden. Der vorliegende Roman ist sein zweites Werk, denn Inspektor Caldas gab mit „Wasserblaue Augen“ seinen Einstand in den Kreis spanischer Ermittler und wurde begeistert aufgenommen.
Hochgradig lesensempfehlenswert!

Corla Bauer

Domingo Villar:  Strand der Ertrunkenen (La playa de los abogados, 2009). Zürich: Unionsverlag metro 2011/2010, Deutsch von Carsten Regling. 477 Seiten,  12.90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

 

 

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