Geschrieben am 26. Oktober 2011 von für Bücher, Litmag

David Peace: Damned United

Ein verficktes englisches Märchen

– Brian Clough gilt als einer der erfolgreichsten und charismatischsten Trainer des englischen Fußballs, zahlreiche Triumphe mit Derby County und Nottingham Forest pflastern seine Karriere. Nur bei Leeds United lief alles dramatisch schief: nach nur 44 Tagen hat er sich mit der Mannschaft und dem Clubvorstand überworfen und wird nach einer Niederlagenserie entlassen. Der englische Autor David Peace hat diese Episode in ein mitreißendes Romanporträt verwandelt. Roland Oßwald stellt Trainer und Buch vor.

Brian Howard Clough hat als Spieler 251 Tore in 274 Ligaspielen erzielt. 1962 war das Ligarekord. In seinen zwei Partien für die Englische Nationalmannschaft traf er nicht. Ein Zusammenprall mit dem Torwart Chris Harker beendete am 26. Dezember 1962 Clough’ Karriere als Spieler. Zu diesem Zeitpunkt war er 27 Jahre alt. 1965 trat er in Hartlepool United seine Laufbahn als damals jüngster Trainer der Liga an. 1967 übernahm Clough zusammen mit seinem Assistenztrainer Peter Taylor den Zweitligisten Derby County. Der Club stand an drittletzter Stelle der Tabelle. Und Clough und Taylor beginnen am Baseball Ground alles umzukrempeln. Bis auf vier verkaufen sie alle Stammspieler der ersten Mannschaft. Sie werfen den Clubsekretär raus. Sie entlassen den Platzwart und Chief Scout. Peter Taylor geht auf Suche und wird fündig. Sie verpflichten neu. Sie stellen ein. Sie bauen ein neues Team. In der Folgesaison steigt Derby County in die First Divison auf. Derby beendet die Saison 1968/69 in Divison One als Vierter der Liga. Wegen „finanzieller Unregelmäßigkeiten“ wird der Club vom europäischen Wettbewerb ausgeschlossen und mit einer Strafe von £ 10.000 belegt. Aber die Erfolgsgeschichte ist nicht aufzuhalten. Brian Clough ist nicht aufzuhalten. 1972 holen Clough und Taylor mit Derby County in der 88-jährigen Vereinsgeschichte erstmals die englische Meisterschaft. In fünf Jahren vom drittletzten Platz der Divison Two an die Spitze der Divison One. Brian Clough wird zum Trainer des Jahres gekürt.

Brian Clough ist überall. Er schreibt Zeitungskolumnen und tritt regelmäßig als Kommentator im Fernsehen auf. Besoffen und nüchtern, hart und fair. Brian Clough hat die größte Klappe im britischen Fußball. Er hat die größte Klappe im englischen Sport. Im englischen Fernsehen. Muhammad Ali fragte einmal in einem Interview: „Wer ist dieser Clough?“ Denn Cloughie, wie die Fans ihn nennen, haut Sprüche raus wie: „When I go, God’s going to give up his favourite chair.“ So einen Spruch kann Ali natürlich nicht auf sich beruhen lassen, schließlich beansprucht er den Titel auf das Goldene Großmaul.

1972 sind exzentrische Trainer oder Sportler die Ausnahme. Die englischen Ligatrainer wirken wie Steuerfahnder oder Beamte der Einwanderungsbehörde. In Anzügen von der Stange bringen sie den Spielern Tee in die Kabine. Sie appellieren an das Empire, Glückssakkos und Gott. Sie haben Verträge über zehn und mehr Jahre bei einem Club. Sie halten sich in der Öffentlichkeit bedeckt und bauen hinter der Fassade der Vereine ihre eigenen Imperien auf. Transfersummen von £ 225.000, wie sie Clough und Taylor für Spieler ausgeben, werden in der Branche als größenwahnsinnig oder dumm oder übertrieben abgestempelt, oder alles zusammen.

1974 verlieren Brian Clough und Peter Taylor ihre Jobs bei Derby County. Dem Vereinspräsidenten gingen die Extravaganzen seines Trainergespanns zu weit. Auf dem Höhepunkt ihrer Karrieren bei Derby County rausgeworfen, trennen sich die Wege von Clough und Taylor. Das perfekte Trainerteam wird auseinandergerissen. Aber den frei gewordenen Job als englischer Nationaltrainer bekommt Brian Clough nicht. Niemals. Den bekommt Don Revie von Leeds United. Leeds United, der ewige Kontrahent von Derby County. Don Revie, der ewige Widersacher von Brian Clough. Peter Taylor wechselt zu Brighton & Hove Albion. Und dann geschieht eine Sensation. Clough übernimmt die Stelle von Don Revie bei Leeds.

The Brian Clough Statue in Nottingham

Dramatische Aneinanderreihung dunkler Tourettes

An diesem Punkt im Leben von Brian Clough steigt David Peace mit seinem Roman „Damned United“ ein. Er beschreibt die 44 Tage, denen Clough Leeds United als Trainer vorstand. Ein englisches Märchen, Mittwoch, 31. Juli – Donnerstag, 12. September 1974. Wie gewohnt weiß David Peace detailversessen, wovon er schreibt. Wie bereits im „Red Riding Quartett“, seiner Tetralogie über den Yorkshire Ripper, oder in „GB84“, Peace’ Roman über den berühmten englischen Bergarbeiterstreik 1984, hat der Autor akribisch recherchiert. Wenn es bei David Peace im Buch regnet, dann hat es damals am Tag X, zur Uhrzeit Y auch in Wirklichkeit geregnet. Wenn Peace über Yorkshire und Nordengland schreibt, dann berichtet er aus seiner Heimat und Jugend, von seinen Träumen und Alpträumen als Heranwachsender und junger Mann. Das Nordengland der sechziger und siebziger Jahre ist kalt, grau verregnet, arm und hart im Nehmen. Und David Peace als Brian Clough verdammt alles: Yorkshire, den Yorkshire Himmel, den Regen, Leeds, den Boden, den Matsch, das Hotel, die Spieler, die korrupten Schiedsrichter, das verlogene Präsidium, die Spiele, die Samstage.

Das Pub, die Boulevardpresse und der Fußball sind die beliebteste Abwechslung im britischen Arbeiterleben. David Peace weiß das. Seine Themen drehen sich bis auf die Japan-Trilogie immer darum. Und seine Romane haben Erfolg. Das war nicht immer so. Am Anfang seiner schriftstellerischen Laufbahn erhielt er von den Verlagen nicht nur Absageschreiben, sondern gleich die Aufforderung ihnen in Zukunft überhaupt nichts mehr zuzuschicken. Als er vor 15 Jahren hauptberuflich als Englischlehrer nach Tokio zog, fand er dort einen Agenten und der verkaufte seine Texte. Seitdem sind acht Romane erschienen. Als Autor wurde Peace mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Die Hälfte seiner Romane ist verfilmt worden. Zuletzt „The Damned United“ mit einem brillanten Michael Sheen als Brian Clough. Dieser Erfolg ist erstaunlich, denn Peace’ Bücher zählen eher zum Hartgesottenen. Seine Sätze lesen sich wie eine dramatische Aneinanderreihung dunkler, wohlgeplanter Tourettes:

„Du bist kein Diplomat. Kein Botschafter des Spiels, des englischen Spiels.
»Ich spreche nicht mit betrügerischen verfickten Bastarden«, schreist du.
Kein Diplomat. Kein Botschafter. Kein künftiger Nationaltrainer Englands.
»Betrüger und verfickte Feiglinge!«, brüllst du.
Du hasst Italien. Du hasst Juventus.
Die verfickte alte Dame aus Turin.
Die Hure Europas.
Du wirst dich an ihren Gestank erinnern, den üblen Gestank von Turin. Du wirst dich für den Rest deiner Tage an ihn erinnern.
Den Gestank der Korruption, den üblen Gestank des Untergangs.
Das Ende alles Guten, der Beginn alles Schlechten.“

Mitten im Gehirn von Brian Clough

In „Damned United“ stellt David Peace die Erfolgsjahre von Brian Clough als Trainer bei Derby County dem 44-tägigen Untergang in Leeds gegenüber. In Leeds in der ersten Person geschrieben, in Derby in der von David Peace schon häufig verwendeten zweiten Person geschrieben. Nicht selten wechselt die Perspektive dreimal auf einer Buchseite. Auf diese Weise kriechen Autor und Leser langsam, aber sicher auf 508 Seiten in das Gehirn von Brian Clough:

„Ich sitze allein vorne im Bus auf der Fahrt nach Manchester, und ich kenne das Ergebnis bereits, ehe wir überhaupt angekommen sind.
Kein Geheimnis. Nicht heute. Nicht dort. Nicht an der Maine Road.
Ich bin noch bei keinem Spiel gewesen, bei dem ich das Ergebnis nicht bereits gekannt habe, ehe sich meine Mannschaft umgezogen hat, ehe ein Pfiff ertönt oder ein Ball gespielt worden ist. Ich kenne das Ergebnis, kenne die Antwort.
Weil ich ihre Augen sehe, in ihre Herzen sehe.
Kein Geheimnis. Nicht heute. An keinem Tag. Nicht dort.
Nicht in ihren Augen. Nicht in ihren Herzen.
Kein Geheimnis dort. Nur Antworten.
In den Augen. In den Herzen.
Weil wir in unseren Augen und in unseren Herzen bereits verloren haben, weil wir bereits verdammt sind.“

Nach der Lektüre von „Damned United“ fällt es schwer, im direkten Anschluss ein Buch eines anderen Autors konzentriert zu lesen. David Peaces’ Sprache, ihre dauernde Redundanz, das ständige verfickt hallt noch einige Tage im Inneren nach. Man könnte fast sagen, David Peace ist unfair zu seinen Kollegen. Aber das soll in Zukunft ja nicht mehr so häufig vorkommen, sofern der Autor seine Ankündigung wahr macht und nach dem zehnten Buch mit dem Schreiben aufhört.

Roland Oßwald

David Peace: Damned United. Aus dem Englischen von Thomas Lötz. München: Heyne Verlag 2011. 508 Seiten. 9,99 Euro. Eine Leseprobe finden Sie hier. Brian Clough auf Youtube.