Geschrieben am 2. Juni 2012 von für Crimemag, Porträts / Interviews

David Ignatius – ein Porträt

Gut oder brillant?

Kein Zweifel, David Ignatius hat ein paar wichtige Polit-Thriller geschrieben. Zumindest thematisch gesehen. Dennoch sind Qualitätsschwankungen unübersehbar. Ist er also nicht nur ein wichtiger Autor, sondern auch einer aus den Top Ten? Susanna Mende hat ihn sich genauer angesehen.

Wer David Ignatius literarisches Werk kennt, hat sofort ein paar Stichworte parat: CIA-Kenner, abenteuerliche Schauplätze meist im Nahen und Mittleren Osten, spannende Plots mit realpolitisch und historisch brisantem Hintergrund. Es handelt sich hierbei um sechs Spionagethriller, die im Zeitraum zwischen 1987 und 2011 erschienen sind, davon auf Deutsch zeitgleich mit dem Original lediglich sein erster Roman „Agents of Innocence“ unter dem etwas reißerischen Titel „Die Wurzeln der Hölle“ (aktuell „Operation Beirut“), der in den USA damals von der Presse hochgelobt wurde.

Außerdem sein Roman „A Firing Offense“ von 1998, der unter dem Titel „Reporter ohne Auftrag“, erschien, allerdings nicht zu den Spionagethrillern zählt.

Erst die prominente Verfilmung seines vierten Romans „Der Mann der niemals lebte“ unter der Regie von Ridley Scott mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle brachte dem amerikanischen Journalisten und Nahost-Experten auch als Schriftsteller die gebührende Aufmerksamkeit, was im deutschsprachigen Raum vor allem dem Hamburger Rowohlt-Verlag zu verdanken ist, der nicht nur die Romanvorlage zum Film veröffentlichte, sondern sich gleich seiner gesamten Thrillerreihe angenommen hat; eine konsequenter Umgang mit einem Autor und seinem Werk, der heutzutage nicht mehr bei vielen Verlagen anzutreffen ist.


Verrat und Loyalität

Der 1950 geborene Ignatius, seit über zwanzig Jahren als Journalist und Kolumnist bei der Washington Post tätig, bleibt seinen Themen als Spannungsautor treu; stets geht es um einen Geheimdiensteinsatz der CIA, um die Zusammenarbeit bzw. das Katz- und Mausspiel mit anderen Diensten, um Verrat an Partnern (den Ignatius’ mit „seduction and abandonment“ umschreibt) und um die Frage der Loyalität des Einzelnen innerhalb einer Organisation, die keinen ethischen Grundsätzen folgt, wie Ignatius in einem Interview selbst feststellt: „ …it (CIA) sometimes has difficulty doing the essential task of an intelligence service, which is stealing the other guys’ secrets. That’s what we sometimes forget—a spy agency’s job is systematically to break the laws of other countries by encouraging their citizens to commit treason. We have layers and layers of legal and congressional oversight, and I guess much of it is necessary, but it doesn’t change that unpleasant reality.“

Dieses Dilemma, das der Autor variiert, ist in seiner Unauflöslichkeit immer dann am schärfsten konturiert und am abgründigsten, wenn Grenzen überschritten werden und die, wie Ignatius suggeriert, unverzichtbaren Einzelkämpfer und Widerständler innerhalb der Organisation die Sache in die Hand nehmen. Diese Figuren und ihr Handeln sind bei Ignatius eine Art Leitmotiv, das sich durch sämtliche Romane zieht und für die Dynamik von entscheidender Bedeutung ist, führt ihr Eingreifen doch häufig zu einer unerwarteten Wendung. Sie sind einerseits das kritische Sprachrohr, das die stümperhafte und ineffiziente Arbeit ihrer Organisation anprangert, andererseits jedoch genau diejenigen, die der politischen Exekutive und dem Kongress mit ihren Alleingängen Kopfzerbrechen bereiten.

Bürokratie

Ignatius zeigt jedoch auch die dramatischen Wandlungen, die die CIA im Laufe der Jahrzehnte erlebt, wie die Organisation zu einem Beamtenapparat verkommt und patriotische Gesinnung nach der Katastrophe von Vietnam von Karrierestreben und persönlicher Abenteuerlust ersetzt werden, einen Wandel, den er in „Das Netzwerk“ , das 1979 spielt, als der Kalte Krieg tobt, an gleich drei Generationen von Mitarbeitern vorführt.

Das Versagen schließlich vor 9/11 und die falschen Informationen, die die Organisation über angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak sammelt, und die schließlich entscheidend für die Invasion sind (siehe Tim Weiners „CIA – Die ganze Geschichte“, zeigen eine Geheimdienstorganisation, die diesen Namen nicht mehr verdient.

Empörung, Fassungslosigkeit und Häme sind das, was der CIA seither von allen Seiten entgegenschlägt. Ignatius geht in seinem vorletzten Roman „Der Einsatz“ ebenfalls hart mit ihr ins Gericht und zeigt außerdem die erschreckende politische Ignoranz im Weißen Haus, die das Land in einen weiteren Krieg, diesmal mit dem Iran, zu stürzen droht. Die eigentliche Schmach jedoch ist, dass der amerikanische Agent Harry Pappas die Briten um Hilfe bitten muss, weil sie selbst keine Leute in dem Land haben, auf das sie am liebsten Bomben werfen wollen.

Debatte

Natürlich ist der Journalist Ignatius nicht der Autor Ignatius, trotzdem ist man ein wenig erstaunt über die Debatte, die aufgrund einer Kolumne von ihm 2009 in den USA entbrannte, als er wegen seines scharfen Angriffs auf Generalstaatsanwalt Eric Holder ins Visier von Kollegen geriet; Holder hatte laut über eine Untersuchung von Kriegsverbrechen der CIA nachgedacht, und Melvin A. Goodman, selbst viele Jahre Mitarbeiter der CIA, wirft Ignatius in einer Stellungnahme in The Public Record vor:  „Ignatius’ apology for the CIA includes the typical handwringing of CIA clandestine officers whenever there have been CIA abuses. We heard these arguments in the wake of the Vietnam War and we heard them again after the discovery of Iran-contra.“

Goodman nimmt sogar Bezug auf Ignatius’ literarisches Werk und wirft im vor, in „Operation Beirut“ zu sehr die amerikanische bzw. geheimdienstliche Perspektive in den Vordergrund zu stellen.

Ignatius Einblicke in die Arbeit des amerikanischen Geheimdienstes sind tatsächlich umfassend und differenziert. Doch betrachtet man die literarische Umsetzung, wird deutlich, dass er stets einem bestimmten Schema und Blickwinkel folgt; es ist stets die Innenansicht der CIA, die im Vordergrund steht, und es wird ein, wie Ignatius es selbst nennt, „risk taking spirit“ hochgehalten, der hier und da ein wenig nach verborgenen Patriotismus und einer, aus europäischer Sicht, Hemdsärmeligkeit riecht, die im Grunde vom eigentlichen Problem ablenkt, das der ehemalige CIA-Direktor Richard Helms um die Jahrtausendwende folgendermaßen auf den Punkt brachte: „Die einzige verbliebene Supermacht interessiert sich zu wenig für das, was in der Welt vor sich geht, um einen Spionagedienst zu organisieren und zu leiten.“

Widersprüche des Systems

Ignatius nimmt als inhaltliche Grundlage für sein Schreiben die systemimmanenten Widersprüche einer solchen Organisation und deren Scheitern im Einzelfall. Doch sowohl in der Konzeption der Plots als auch der Figuren nimmt er nie so weit Abstand von seinem Thema, um dem Absurden und Wahnsinnigen daran Raum zu geben. Er ist ein Autor, der sich vom Journalisten nie ganz befreit hat, keiner, der Grenzen überschreitet oder scharf überzeichnet, um das Konkrete dahinter umso sichtbarer zu machen. Ironie ist sein Mittel der Brechung, weiter geht er jedoch nicht.

Er ist ein guter Autor, aber eben nicht brillant.

Susanna Mende

Porträtfoto  David Ignatius (Quelle:davidignatius.com)

Bibliographie:

Operation Beirut (Agents of Innocence, 1987). Deutsch von Bernhard Schmid. Hamburg: Rowohlt Verlag, 2011. 588 Seiten. 9,99 Euro.

(Bereits 1988 unter dem Titel „Die Wurzeln der Hölle“ erschienen).

Das Netzwerk (Siro, 1991). Deutsch von Tanja Handels und Thomas Merk. Hamburg: Rowohlt Verlag, 2009. 664 Seiten. 9,95 Euro.

Blutgeld (Bank of Fear, 1995.) Deutsch von Matthias Müller. Hamburg: Rowohlt Verlag, 2010. 491 Seiten. 9,95 Euro.

(Bereits 1998 unter dem Titel „Bank der Angst“ erschienen).

Reporter ohne Auftrag  (A Firing Offense, 1998). Deutsch von Sonja Schuhmacher und Rita Seuß. München: Karl Blessing Verlag, 1997. 409 Seiten. Vergriffen.

The Sun King. Random House Value Publishing, 1999.

Der Mann der niemals lebte (Body of Lies, 2007). Deutsch von Tanja Handels und Thomas Merk. Hamburg: Rowohlt Verlag, 2008. 474 Seiten. 8,95 Euro.

America and the World: Conversations on the Future of American Foreign Policy. Basic Books; First Trade Paper Edition. 2009.

Der Einsatz (The Increment, 2009). Deutsch von Tanja Handels und Thomas Merk. Hamburg: Rowohlt Verlag, 2010. 521 Seiten. 9,95 Euro.

Der Deal (Bloodmoney, 2011). Deutsch von Thomas Merk. Hamburg: Rowohlt Verlag, 2012. 476 Seiten. 9,99 Euro. Zur CrimeMag-Rezension.

Zur Homepage von David Ignatius. Autoreninfo auf kaliber.38.

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