Geschrieben am 8. Dezember 2012 von für Bücher, Crimemag

Christiane Geldmacher: Love@Miriam

Social Media kills

– Christiane Geldmacher hat einen Roman über die tödlichen Aspekte von sozialen Netzwerken geschrieben – oder doch eher über Menschen, die sich dort tummeln? Anne Kuhlmeyer hat „Love@Miriam“ gelesen.

Harry liebt Miriam seit der Schulzeit. Inzwischen sind sie Anfang dreißig und es ist vorbei mit ihnen, seit zwei Jahren und seit dem Tod von Harrys Vater schon. Harry liebt Miriam immer noch. So was soll’s ja geben. Er trifft sie wieder. Auf Facebook. Wenn er sich nur genug ins Zeug legt, wird sie ihren neuen Freund Ben verlassen und zu ihm zurückkehren, da ist er sicher. Harry legt sich ins Zeug. Tag und Nacht. Darüber verliert er seine Arbeit, säuft und ist ausschließlich mit dem Projekt „Miriam“ beschäftigt. Niemand versteht ihn. Nur der Leser blickt in seine Tagebuchaufzeichnungen, seine E-Mails, seine Chatverläufe und begleitet ihn in seiner von absurden Gedankengängen, Illusionen und Verstiegenheiten vernebelten Welt der Obsession. Als er von Ben und dessen Kumpels zusammengeschlagen wird, weil er Ben und Miriam stalkt, erfasst ihn eine unbändige Wut. Und er hat einen Plan …

Heiter bis tödlich

Christiane Geldmachers Debüt kommt leicht, fast heiter im Kommunikationsstil der Social Medias daher. Zunächst erinnert es ein wenig an „Gut gegen Nordwind“ (Daniel Glattauer), doch dann wird alles ganz anders …

Man spielt Spiele auf Facebook, plaudert über Gott und die Welt und versucht, den eigenen sozialen Status zu festigen oder zu heben, Missverständnisse und Kränkungen bleiben nicht aus, ganz wie im richtigen Leben. Witzig, ungewöhnlich in den Text eingearbeitet finden sich Facebook-typische Icons und Symbole.

Ernsthaft komisch wird es, als die Polizei ein Facebook-Profil anlegt, um einen Mord aufzuklären. Dabei sind die Polizisten eine gelungen wohltuende Parodie auf das übliche Ermittlergespann, das fast flächendeckend die Vorstellung von Kriminalroman zum einen und realer Polizeiarbeit zum anderen fälschlich prägt.

Erklärungsfrei

Sehr treffend und völlig erklärungsfrei in Wort und Bild erzählt die Autorin Harrys biografischen Hintergrund. Eine hilflose, unselbständige Mutter neben einem egomanen Vater, der in der alzheimerschen Verblödung versinkt und von ihr und Miriam bis zu seinem Tod zwar abgelehnt, aber dennoch gepflegt wird. Daran zerbricht die Beziehung der jungen Leute. Und an der Sprachlosigkeit und Eiseskälte im familiären Milieu.

Anforderungen an Leistung, Perfektion und Status allerdings bleiben bestehen und spitzen sich in dem Freundschaftsnetz auf Facebook zu. Fehler können sozial tödlich sein und sind verboten. Das Selbstkonzept wird immer abhängiger von der Anzahl der „Freunde“ und den „likes“ unter den Beiträgen. Dabei ist der Roman keine Streitschrift gegen neue Kommunikationsmittel, noch hebt er den erzieherischen Zeigefinger, vielmehr bildet er die zunehmende Entsolidarisierung, das Versagen der Familie, die Einsamkeit unter dem höchst fragwürdigen Ideal der Individualisierung ab.

Christiane Geldmacher gelingt es auf eine unterhaltsam-ironische und plausible Weise, von der Wut, der Kränkung, der Verlassenheit und der Qual zu erzählen, von den hermetischen Bedingungen, unter denen all das reifen kann, um in Gewalt und Tod zu gipfeln, eben nicht nur bei devianten Sonderlingen, sondern bei potenziell jedem.

Anne Kuhlmeyer

Christiane Geldmacher: Love@Miriam. Roman. München: Bookspot Verlag 2012. 220 Seiten. Hardcover. 14,80 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zum Blog von Christiane Geldmacher. Christiane Geldmacher ist ständige Mitarbeiterin von CULTurMAG/CrimeMag.

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