Geschrieben am 1. Februar 2012 von für Bücher, Litmag

Christian Kracht/David Woodard: Five Years. Briefwechsel 2004-2009

„My diction reads as if I had zeliged into Holly Golightly“

– Es sei das vorliegende Buch, so die Herausgeber, „das Modell eines Künstlerbriefwechsels“. Was haben wir unter dieser merkwürdigen Formulierung zu verstehen? Im Englischen könnte man das wohl so sagen – „the model of a charmless man“, also ein archetypischer Vertreter seiner Spezies. Aber würde man im Deutschen nicht viel eher vom „Muster(-beispiel)“ einer literarischen Gattung sprechen? Von Joe Paul Kroll

Doch diese auf den ersten Blick etwas unrunde Wendung führt uns vielleicht näher an den Wesenskern dieses Buches heran, als es eine leere Hyperbel vermöchte. Denn „Five Years“ kann man tatsächlich als Modell verstehen, zunächst vielleicht als Modellversuch eines Gesprächs unter Künstlern, schließlich aber auch als bewussten Nachbau eines solchen, als Spiel mit der Form, bis in seine editorische Bearbeitung und verlegerische Verwertung hinein.

Das Buch, von dem hier die Rede ist, dokumentiert die auf Englisch und per E-Mail geführte Korrespondenz zwischen dem Schriftsteller Christian Kracht und David Woodard, seines Zeichens Komponist, Dirigent und Aktionskünstler. Dann wird es auch schon schwierig. Wo der stets an der Gestaltung seiner Bücher beteiligte Kracht im Spiel ist, und wo Woodard das von Bret Easton Ellis geprägte Axiom „the better you look, the more you know“ in Erinnerung ruft, ist es wohl legitim, einen Schritt zurück zu tun und einen Blick aufs Äußere zu werfen:
Da sieht man einen grünlich-grauen Umschlag, dessen einziges Gestaltungselement die Futura ist, eine maßgebliche Schriftart der klassischen Moderne. Erschienen ist das Buch bei einem literaturwissenschaftlichen Kleinverlag. „Five Years“ ist das Simulacrum eines gelehrten Buches, ein literarisches Dokument als Genreübung. Wenn auch die Herausgeber auf dem streng dokumentarischen Charakter beharren und dieser angeblich nur erste Band in dem Moment abbricht, da Kracht eine Veröffentlichung erwägt, umgibt diesen bis auf kleine Anonymisierungen wortgetreu wiedergegebenen Austausch doch zugleich eine Aura des Künstlichen. Wann wird einem Briefband schon eine derart ausführliche Reflexion über die Medialität des Ganzen, über Genre, Kommunikations- und Darreichungsform vorangeschickt?

Der hier publizierte Teil des Briefwechsels fällt ungefähr mit dem Erscheinungszeitraum der von Kracht und seinem Mitstreiter Eckhart Nickel herausgegebenen Zeitschrift „Der Freund“ zusammen, selbst eine teilironische Rekonstruktion einer klassischen Vierteljahresschrift. Ein Beitrag im ersten Heft des „Freundes“ ist es denn auch, der Kracht und Woodard zusammenbringt; es geht um den Versuch der Autorin, Woodard einen Nachbau der Burroughs’schen Dream Machine abzukaufen. Schon dort erscheint Woodard als undurchschaubarer Typ, der seine Kundin lieber in Fantasien über die von der Philosophenschwester Elisabeth Förster-Nietzsche mitbegründete völkische Kolonie Nueva Germania in Paraguay einweiht oder über die Zuchtbegonie „Kimjongilia“ fabuliert, als ihr die psychedelische Leuchte auszuliefern. Neben CK und DW sind NG (= Nueva Germania) und DPRK (= Democratic People’s Republic of Korea) denn auch folgerichtig die einzigen im Siglenverzeichnis aufgeführten Abkürzungen. Im Austausch über diese Obsessionen erwächst nun eine Künstlerfreundschaft.

Foto: Momus a.k.a. Nick Currie

Projekte zwischen Kunst und Leben

Bei Woodard ist das, was beim Kunstschaffen herauskommt, nicht das Werk, sondern das Projekt. Wenn Woodard auf Einladung des Massenmörders* Timothy McVeigh diesem ein vor seiner Hinrichtung zu spielendes „Prequiem“ komponiert, dann geht es um viel, aber eben nicht um das Stück selbst. Ähnlich das Projekt, die heruntergekommene Siedlung Nueva Germania durch einen Nachbau in Miniatur des Bayreuther Festspielhauses wiederzubeleben. Hierzu wird auch Christoph Schlingensief eingeladen, der zwar Interesse zeigte, zuletzt aber lieber doch auf eigene Rechnung arbeitete. Doch auch Kracht erscheint in diesem Briefwechsel zuvorderst als Projektkünstler. Von der Entstehung seines 2008 erschienen Romans „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ ist nirgends die Rede, wohl aber von den 2006 bzw. 2007 erschienenen Kollaborationen: „Die totale Erinnerung“, ein Bildband über Nordkorea, und „Metan“, eine Art Verschwörungssatire.†

Was Kracht und Woodard eint, ist vor allem die Faszination an Projekten anderer Art, welche die Grenze zwischen Kunst und Leben zu überwinden suchen – an utopischen Gemeinschaften, deren Realisierung im – oder besser: als – Straflager endet. Damit greifen die Autoren auf einen zentralen Topos der Dekadenzliteratur und der schwarzen Aufklärung zurück. Kracht und Woodard ordnen Nueva Germania und Nordkorea einer Linie zu, die sich von François Rabelais bis Aleister Crowley zieht. Diese Linie trägt den Namen „Thelema“, von Rabelais als einzig der Regel „Tu, was du willst!“ verpflichtete Ordensgemeinschaft der Freien ersonnen. Für diese Spannung zwischen Triebentfesselung und Disziplin, zwischen absoluter Freiheit und absoluter Unterwerfung, stehen auf dem Höhepunkt der Aufklärung die Pole Sade und Kant.

Der Rückgriff auf diese Tradition ist nun seinerseits eine Reminiszenz an das Fin de Siècle, die Blütezeit des Dandytums und der Fantasien vom Künstlerstaat, von Huysmans bis zum George-Kreis. Es war auch die Zeit der stürmischen Künstlerfreundschaften, die hier auf merkwürdige Weise nachhallt: In Krachts immer wieder erwähntem Missfallen, für schwul gehalten zu werden. Es ginge wohl zu weit, zu behaupten, Kracht und Woodard nähmen sich Verlaine und Rimbaud zum Vorbild, aber der enge historische Zusammenhang zwischen Ästhetizismus, Männerbündelei und Homoerotik ist doch zu evident, um nicht eine Klärung erforderlich zu machen.

Thelema und Anti-Thelema

An einer Wiederbegründung Thelemas bei Cefalù auf Sizilien versuchte sich der englische Okkultist und Schwarzkünstler Aleister Crowley. Mit Crowley, und vollends mit seiner Aneignung durch die Beatles oder Jimmy Page, wurde Thelema zum Pop-Mythos. Von dessen Wirklichkeit übrig geblieben ist nur ein schäbiger Kleintourismus.‡ Götter wie Dämonen sind schon längst verschwunden. Nur ein Abglanz des Diabolischen bleibt – so auch, wenn Woodard kokett 666 Dollar Artikelhonorar verlangt oder man den damaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney (gerne mit Satanshörnern karikiert) als Förderer des Nueva-Germania-Projekts gewinnt.

Nordkorea ist hingegen ein Anti-Thelema: Es regiert die Knappheit, die Kargheit, die umfassende Beschränkung der individuellen Freiheit. Der Rest des Hedonismus ist das Massenornament; anstelle von Spiel und Erotik Militarismus und Volksertüchtigung. Man mag das Dialektik der Aufklärung nennen oder schlicht eine Extremform dessen, worauf der Kommunismus immer schon hinausläuft. Kracht jedoch pflegt, vielleicht aus dem Missverständnis heraus, ein Exponent der Spaßgesellschaft zu sein, zu dieser ein äußerst zwiespältiges Verhältnis. Er betrachtet Nordkorea wohl als eine Projektionsfläche nicht nur für das eigene Regime (so dargestellt in „Die totale Erinnerung“), sondern auch für den Rest der Welt, die dort eine Negation des waltenden hedonistischen Prinzips erkennt. Es gibt in Krachts Vorstellung keine Vermittlung zwischen diesen Prinzipien, sondern nur die absolute Umkehr – wie auch der Weg des Protagonisten von „1979“ in Diskotheken beginnt und mit der Läuterung im Arbeitslager endet.

Schon Thelema enthält diese Dialektik, sie stellt sich aber anders dar: Nicht durch Umschlagen von einem Extrem ins andere, sondern als Orden der Freigeister, als Regiment der Libertinage. Thelema setzt „freie Menschen von edler Geburt“ voraus.§ War damit in der frühen Neuzeit ein ständisches Erziehungsideal gemeint, lag im späten 19. Jahrhundert eine biologische Lösung näher. Wo Ordnung entstehen sollte, musste zunächst Zucht sein. Eines von vielen Projekten dieser Art war die von Bernhard Förster als Brutstätte rassereiner Arier begründete Siedlung Nueva Germania. Förster aber brachte sich schließlich um, und die Siedlung verfiel, zumal in den Andeutungen Krachts und Woodards, durch Inzucht, Wahnsinn und Tropenkrankheiten. Sie ist nun ein rettungswürdiges Relikt und Folie für künstlerische Projekte. Als ein solches mag es denn auch von Anfang an verstanden werden, nur dass Förster die Sphären von Leben und Kunst nicht zu trennen vermochte. Damit wird er vollends zum Teil des Komplexes Wagner – Nietzsche – Hitler innerhalb der deutschen Geistesgeschichte.

So wird dem deutschen Missverständnis, in solchen künstlerischen (und daher tendenziell frivolen, allemal freien) Aneignungen kontaminierten Materials gleich eine politische Sympathiebekundung für „Rechts“ erkennen zu wollen, unweigerlich Vorschub geleistet. Doch einen für den „Freund“ bestimmten Artikel Woodards über den Prozess gegen den Holocaust-Leugner Ernst Zündel lehnt Kracht wegen vermeintlich antisemitischer Tendenzen ab. Aber auch das gehört zu seinem Maskenspiel: Einmal zierte den „Freund“ das Porträt Moshe Dayans, eine andere Ausgabe war Anne Frank gewidmet – und eine dritte Papst Benedikt XVI., der als Kritiker des Hedonismus reüssiert, wo dem Theologen nur noch Gleichgültigkeit entgegenschlägt.

Christian Kracht by Anthony Shouan-Shawn (2007)

Faszinierender Briefband

Solche Fragen faszinieren in diesem Briefband auch dann noch, wenn der romanhafte Spannungsbogen, von dem der Künstler Momus auf der Umschlagrückseite schwärmt, schon nachgelassen hat. Denn er verliert sich bisweilen im Kleinen oder wird von Artikeln, Manifesten und Briefen Dritter aufgebrochen. Doch auch im Kleinen finden sich noch einige Pointen: Krachts Seitenhieb auf „what is perhaps the saddest, smallest and most limited of viewpoints – the German centrist anti-neocon left“, oder die beiläufig geäußerte Kritik eines Markenartikels, die zugleich auf den frühen Kracht von „Faserland“ verweist: „… ,Robe di Kappa‘, one of the most despicable ‚sportswear‘ labels in Europe.“ Famos sind manche Betreffzeilen, besonders aber das Englisch von Kracht, der immer wieder mit niedlich-archaischen Wendungen wie „bolshie“ oder „toodeloo“ trumpfen kann.

Es ist eine spezifische Gedankenwelt, die Kracht und Woodard Gegenstand ihrer geteilten Obsession ist. Man mag diese nun verstörend oder gar trivial finden, man mag sogar die Herangehensweise der beiden für unangemessen halten – das Vexierspiel, das sie hier inszenieren, hat jedoch ein näheres Eingehen verdient. Denn es ist auch dies ein Versuch, Leben und Kunst zusammenzuführen.

Joe Paul Kroll

* An einer Stelle im „Freund“ (Nr. 7, S. 34) wird McVeigh, dessen Bombe in Oklahoma City 168 Menschen tötete, auch als „Bürgerschreck“ tituliert. Die Klaviatur der Ironie wurde in der Zeitschrift gelegentlich mit dem Holzhammer bearbeitet.
† „Metan“ wurde übrigens als „erster Teil der Trilogie“ angekündigt. Es bleibt also abzuwarten, ob das Versprechen eines zweiten Briefbands auch als eine Art Scherz zu verstehen ist.
‡ Vgl. Kracht und Woodard, „Cefalù oder der Geist der Goldenen Dämmerung“, FAZ Nr. 71 (24. März 2007), S. Z3.
§ Rabelais, „Gargantua“, Kap. 57, übersetzt von K. und L. Wächter.

Christian Kracht/David Woodard: Five Years. Briefwechsel 2004-2009. Vol. 1: 2004-2007. Herausgegeben von Johannes Birgfeld und Claude D. Conter. Hannover: Wehrhahn Verlag 2011. 248 Seiten. 19,80 Euro. Mehr zum Buch hier, zur Homepage von Christian Kracht hier.

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